Herne. Die Polizeihochschule kommt, weitere Projekte sind in Herne-Mitte in Planung. Was tun gegen einen Verkehrskollaps? Erste Vorschläge liegen vor.
Herne wird Standort der Hochschule für Öffentliche Verwaltung! So überschäumend die Freude nach Ende des von Gelsenkirchen angefachten Rechtsstreit war, so groß sind nun die Herausforderungen für die Verkehrsplaner, die sich durch Ansiedlung der Landeseinrichtung sowie durch weitere Vorhaben in Herne-Mitte stellen. Der von der Stadt zunächst favorisierten Tunnellösung im Bereich Westring/Cranger Straße/Bahnhof hat OB Frank Dudda nach heftigem Gegenwind aus der Politik im WAZ-Interview eine Absage erteilt. Und nun? Die Grünen machen einen ersten Aufschlag und legen nach intensiven Beratungen zahlreiche Vorschläge und Visionen auf den Tisch.
+++ Die Absage des OB: Dudda sagt Nein zu XXL-Tunnelprojekt am Bahnhof +++
„Wir müssen die Verkehrsführung in Herne-Mitte grundlegend neu denken!“ Unter diesen Leitgedanken stellt der Kreisverband ein Papier, das unter anderem von den Grünen Alfred Apel, Rolf Ahrens, Sabine von der Beck und Peter Liedtke erarbeitet worden ist. Am Anfang steht zunächst einmal die Absage an die Vorschläge, die der Gutachter der Stadt vorgelegt hat. Ein Vorwurf: Die Fokussierung auf das Auto bleibe erhalten, ein Umschwenken auf den ÖPNV und das Rad als Verkehrsträger werde wegen fehlender politischer Unterstützung und finanzieller Mittel nicht für möglich gehalten. Die Grünen betonen allerdings gleichzeitig, dass auch Lösungen für den motorisierten Individualverkehr nötig seien, „weil wir ihn nicht verdrängen wollen“.
Auch an der großen Tunnel-Variante arbeiten sich die Grünen (noch einmal) ab. Die lange Bauzeit hätte zu erheblichen Einschränkungen beim Busverkehr in Herne-Mitte und Sodingen geführt und letztlich sogar die Existenz der HCR gefährden können, heißt es.
Wie könnte es nach Einschätzung der Grünen besser laufen? Große Linien, aber auch sehr konkrete Vorschläge für eine Priorisierung von ÖPNV, Schiene und Fuß- und Radverkehr gibt die Partei vor. Einige Punkte will die Ratsfraktion nach der Sommerpause in den Ausschuss für Digitalisierung, Infrastruktur und Mobilität einbringen, andere verstehen sie als Anstoß für weitere Diskussionen.
Und das sind einige der Forderungen, Vorschläge und Anregungen der Grünen:
– Autobahn: Der Ausbau der A 43 sollte genutzt werden, um den Durchgangsverkehr von den Bundesstraßen auf die Autobahn zu verlagern.
– Bahnhof: Verdichtung von S-Bahnverbindungen auf einen 15-Minuten-Takt.
– Funkenbergquartier: Ein eigener Haltepunkt sei erforderlich. Auch die Einführung autonom fahrender Kleinbusse - ein „Funkenberghüpfer“ - sei denkbar.
– U 35: Taktverdichtung in den Hauptverkehrszeiten und Einsatz von dreizügiger Traktion.
– Buslinien: Die Linien 390 und 391 sollten ausgebaut werden, weil die Projekte Zahnklinik und Shamrockpark auf bzw. an diesen Linien liegen.
– Rad- und Fußverbindungen vom Bahnhof: Der Raum zwischen dem Ostausgang des Bahnhofs und der Fabrikstraße sowie die Fabrikstraße selbst müssten zu einem attraktiven Rad- und Fußweg ausgebaut werden. Und: Die Errichtung einer neuen Rad- und Fußwegebrücke über der Baumstraße sei erforderlich.
– Busbahnhof: Der bisherige Busbahnhof sei nicht ausbaufähig und könne nicht noch mehr Busse abwickeln. Ein zweiter Busbahnhof an einem neuen Südausgang des Bahnhofs könne die Nahverkehrskapazität deutlich erhöhen. Erforderlich wären dafür ein umfangreicher Straßenumbau im Bereich Von-der-Heydt-Straße/Poststraße und zusätzliche Grundstücke (zum Beispiel die Fläche des Discounters Netto).
In gleich mehreren Punkten widmen sich die Grünen dem Westring. Ein Ansatz: Der Nahverkehr lasse sich dort deutlich beschleunigen durch Umwandlung einer Fahrspur in eine reine Busspur, konkret ab der Von-der-Heydt-Straße. Da die heutige Verkehrsbelastung des Westrings bei etwa 25.400 Pkw und Lkw inklusive Bussen liege, müssten die verbleibenden Spuren nach Einrichtung der Busspuren den heutigen sowie künftige Verkehre abwickeln. Die Kapazität reiche aber wohl nur für 20.000 Fahrzeuge, deshalb wären zwei weitere Maßnahmen notwendig.
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Zum einen: der Bau eines Rings für den Fuß- und Radverkehr über dem Kreuzungsbereich, wie es ihn im holländischen Eindhoven (sehr viel größer) bereits gebe. Eine weitere Entlastung des Westrings könnte durch Lenkung des Zielverkehrs „Innenstadt“ in zu bauende Parkhäuser zum Beispiel im Bereich der Autobahnabfahrten erreicht werden. „Wir gehen davon aus, dass viele Menschen weiterhin ihr Auto nutzen werden“, so die Grünen. Der Nahverkehr in der Großstadtregion Ruhrgebiet sei keineswegs auf einem Leistungsniveau, das für alle akzeptabel sei: „Diesem Umstand müssen wir Rechnung tragen.“
Für den Fall, dass die aufgezeigten Alternativen nicht realisierbar sind oder nicht genügend Entlastung bringen, müsse es einen Plan B geben. Hier schwebt den Grünen eine alternative, aber kleinere Tunnellösung vor, konkret: ein separater Bustunnel oder ein verlängerter Tunnel unter dem Westring.
Fazit der Grünen: „Nur eine neue und radikalere Herangehensweise an die verkehrlichen Gegebenheiten im Großraum der Innenstadt Herne kann noch die Entwicklung aller Projekte sichern, zukünftigen Projekten Entwicklungschancen bieten und gleichzeitig neue Lebensqualität durch weniger Autoverkehr in die Innenstadt bringen.“
>>> Der Stand des Verfahrens
Das Bebauungsplanverfahren für das Funkenbergquartier in Herne-Mitte - hier soll die Polizeihochschule errichtet werden - läuft zurzeit. Die verkehrliche Erschließung ist ein Teil dieses Plans.
Das Verkehrsgutachten sei noch in einer frühen Phase, es fehlten wichtige Punkte wie unter anderem Bauzeiten- und Kostenschätzungen sowie eine Planung für die Verkehrsführung während der Bauzeit, erklären die Grünen. Ohne eine belastbare und sichere Verkehrserschließung könne der Bebauungsplan nicht in Kraft treten.
Der städtische Auftrag an den Verkehrsgutachter umfasse nicht nur das Projekt Funkenbergquartier, sondern alle derzeitigen und künftigen Projekte, die die Verkehrsknotenpunkte im Umfeld des Bahnhofs belasten. Dieses Vorgehen sei grundsätzlich zu begrüßen: „Die Verwaltung sieht die Probleme durch die Ballung von Projekten im Stadtmittelpunkt und stellt sich diesen“, so die Grünen.
Die Stadt berichtet auf Anfrage der WAZ, dass in Zusammenhang mit dem Aufstellungsverfahren für den Bebauungsplan zurzeit ein neues Verkehrsgutachten erarbeitet werden. Und: Eine Tunnellösung sei nicht mehr Gegenstand der Untersuchung.