Herne. Die Corona-Inzidenz ist in Herne nach der Cranger Kirmes deutlich gestiegen. War Crange ein Superspreader-Event? Das sagt die Stadt.

  • Corona-Inzidenz in Herne ist während und nach der Cranger Kirmes kontinuierlich gestiegen.
  • Stadt Herne sieht keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Inzidenz und Crange.
  • Gesundheitsamt: Es gibt Indizien dafür, dass Kirmes oder Schützenfest die Inzidenz in die Höhe treiben.

Ein kleiner, pinker Flatschen, mitten im roten Ruhrgebiet. Hier hat nicht etwa Die Linke einen Wahlkreis gewonnen, nein, die Stadt Herne hat sich den unrühmlichen zweiten Platz der deutschlandweiten 7-Tage-Corona-Inzidenzen erkämpft – auf der Übersichtskarte des Robert-Koch-Instituts dargestellt in Pink.

Genau 715,6 beträgt Hernes Inzidenz am frühen Mittwochmorgen, 24. August. Das schlägt nur der Landkreis Kassel mit 784,8. Der Weg, den Herne zu dieser, im aktuellen Vergleich hohen Inzidenz genommen hat, ist verdächtig – auch wenn es weder Sherlock Holmes noch Batman bedarf, um dem mutmaßlichen Ursprung auf die Schliche zu kommen.

Cranger Kirmes in Herne: Inzidenzzahlen legen Zusammenhang nah

Am 4. August schlummerte die Inzidenz noch bei hohen, aber unspektakulären 512. Aber, am 4. August, war da nicht was? Genau, der Startschuss für die Cranger Kirmes. Am 17. August, drei Tage nach dem fulminanten Finale, steht die Inzidenz schon bei 628. Einen Tag später bei 705. Am 22. August erreicht die Inzidenz ihre vorläufige Spitze von 783. Seit dem 6. August war eine kontinuierliche Steigerung zu beobachten.

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Im Internet, zum Beispiel auf Facebook oder Twitter, haben die Nutzer längst die Cranger Kirmes als sogenanntes „Superspreader-Event“ ausgemacht. So postet Twitter-Nutzer „Daniel in der Löwengrube“ etwa ein Bild der Inzidenzkurve und kommentiert schnippisch: „Die Cranger Kirmes residierte neulich in Herne. Aber hat ja nichts mit nichts zu tun.“ Schon Ende Juli vermutete der Herner Allgemeinmediziner Markus Bruckhaus-Walter, dass die Cranger Kirmes die Inzidenzzahlen nach oben treiben könnte: „Auch nach der Cranger Kirmes ist zu erwarten, dass die Zahlen weiter steigen.“

Cranger Kirmes und Corona: Gesundheitsamt relativiert

War denn die Cranger Kirmes 2022, mit knappen vier Millionen Besuchern, nun tatsächlich ein Superspreader-Event? „Einen Nachweis, dass die Steigerung in Herne konkret auf die Cranger Kirmes zurückzuführen ist, gibt es nicht“, erklärt eine Sprecherin des NRW-Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf Anfrage. Aber: „Es gibt Indizien dafür, dass Großereignisse wie Kirmes oder Schützenfest zu Steigerungen der Inzidenz führen.“

So richtig will sich das Ministerium also nicht zu der Möglichkeit eines Cranger-Kirmes-Superspreader-Events äußern – und relativiert weiter. „Genauso wenig kann der Nachweis geführt werden, dass nicht auch andere Großereignisse in der Umgebung von Herne mit zur Steigerung der Inzidenz beigetragen haben.“

Stadt Herne sieht keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Crange und Corona

Die Cranger Kirmes unterliege, nach den geltenden Vorgaben der Coronaschutzverordnung, keinen Beschränkungen, erläutert die Sprecherin. Es obliege deswegen der Eigenverantwortung jedes Einzelnen, „ob und unter welchen Rahmenbedingungen“ er an einem solchen Ereignis teilnehme. Wer in den zehn Tagen Crange zu einem beliebigen Zeitpunkt über den Kirmesplatz flaniert ist, hat gesehen, dass eine Maske jedenfalls nicht zu den „Rahmenbedingungen“ gehörte, die die Besucher für sich festgelegt haben. Besonders in den Zelten und an den Gastronomieständen drängten sich die Menschen dicht an dicht.

Viel Getümmel: Auf der Cranger Kirmes in Herne waren in zehn Tagen 3,9 Millionen Menschen unterwegs.
Viel Getümmel: Auf der Cranger Kirmes in Herne waren in zehn Tagen 3,9 Millionen Menschen unterwegs. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Dass die Cranger Kirmes ein möglicher Auslöser des Anstiegs der Inzidenz in Herne gewesen sein kann, sieht auch Stadtsprecher Christoph Hüsken so. „Dass die Cranger Kirmes, wie zum Beispiel auch Bochum Total oder jedes ländliche Schützenfest, zu einem Anstieg des Inzidenzwertes beitragen kann, war und ist unbestritten.“ Allerdings: Genauso, sagt Hüsken, könnten auch „Faktoren wie Reiserückkehrer, der Schulstart oder Großveranstaltungen außerhalb Hernes“ zu der Inzidenz beigetragen haben.

Besucher wussten um höheres Infektionsrisiko

Im Sommerinterview mit der WAZ-Redaktion vor der Cranger Kirmes sagte Oberbürgermeister Frank Dudda, dass die Cranger Kirmes „kein besonderer Corona-Treiber“ werde. Jetzt, nach der Kirmes, sieht sich die Stadt in dieser Annahme bestätigt und rechnet vor: „In Herne wurden vom 4. August bis heute rund 2400 Corona-Fälle gemeldet. Selbst wenn man alle in Herne gemeldeten Infektionen in dem besagten Zeitraum in Relation zu 3,9 Millionen Kirmesgästen setzt, muss man auch nach der Kirmes zu dem Ergebnis kommen, dass Crange kein besonderer Corona-Treiber war. Dieses Zahlenbeispiel zeigt, dass wir letztlich nur über Zusammenhänge spekulieren können.“

Keine Berührungsängste: Beim WAZ-Schlagerherz auf der Cranger Kirmes in Herne kamen sich die Besucher ganz nah.
Keine Berührungsängste: Beim WAZ-Schlagerherz auf der Cranger Kirmes in Herne kamen sich die Besucher ganz nah. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Wer allerdings, so Hüsken weiter, beim WAZ-Schlagerherz oder bei der DJ-Veranstaltung mit DJ Robin und Schürze in der Cranger Festhalle auf den Bänken getanzt habe, „wusste oder sollte es zumindest gewusst haben, dass er sich einem höheren Infektionsrisiko aussetzt als bei einem Gang an der frischen Luft durch die Budengassen“. Zudem habe der OB in seinem Interview explizit gesagt, dass er nicht ausschließe, dass es in Zusammenhang mit Crange zu Corona-Erkrankungen kommen werde.

>> CORONA IN HERNE: ZWEI ALTERSGRUPPEN BESONDERS BETROFFEN

  • In Herne sind, Stand 24. August, besonders viele Menschen der Altersgruppen 15 bis 34 Jahre und 35 bis 59 Jahre coronainfiziert.
  • Die 15- bis 34-Jährigen weisen eine Inzidenz von 923 auf, die 35- bis 59-Jährigen eine Inzidenz von 832.
  • In absoluten Zahlen sind das 340 beziehungsweise 444 Infizierte. Die beiden Gruppen machen also weit über die Hälfte der insgesamt 1117 Infizierten in der Stadt aus.