Herne. Turbulenzen um die Forensik, Umbau des Kulturzentrums, im Zentrum der Macht: Horst Tschöke blickt zurück auf 50 Jahre bei der Stadt Herne.

Fast ein halbes Jahrhundert hat Horst Tschöke in der Herner Verwaltung, der SPD-Ratsfraktion und bei Stadttöchtern gearbeitet. Zum 1. Januar 2022 geht der Chef von Entsorgung Herne in den Ruhestand. Mit der WAZ sprach der 65-Jährigen über seine bewegte Verwaltungslaufbahn.

Davor

Horst Tschöke ist kein Kind des Ruhrgebiets, sondern der Ostsee: Geboren 1956 in Warnemünde, zogen seine Eltern 1961 kurz vor dem Mauerbau mit ihm aus der damaligen DDR nach Wanne-Eickel. Warum gerade das Ruhrgebiet? Sie hätten hier bereits Verwandte gehabt, sagt Tschöke. Sein Vater, ein Werkzeugmacher, habe schnell beruflich Fuß fassen können. Wie der Vater ...

Sie haben am 1. August 1972 als 16-Jähriger bei der Verwaltung von Wanne-Eickel als Stadtassistent-Anwärter begonnen. Was war ihr Ziel innerhalb der Verwaltung, wo wollte der junge Auszubildende Horst Tschöke mal hin?

Ich hatte damals noch kein großes Ziel. Ich hatte mehrere Ausbildungsstellen zur Auswahl und habe mich für die Stadt Wanne-Eickel entschieden, meinem damaligen Wohnort.

Aus Sicht eines 16-Jährigen klingt es nicht gerade spannend, bei einer Stadtverwaltung zu arbeiten. Was hat damals den Ausschlag bei der Berufswahl gegeben – die Sicherheit?

Nein. Ich wollte nicht unbedingt im Handwerk tätig sein, sondern eher im Bürobereich. Nach meinem Studium von 1979 bis 1982 an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung habe ich noch mal kurz überlegt, ob ich nicht vielleicht Lehrer werden sollte. Ich habe mich aber dagegen entschieden. Und es ist ja dann auch alles ganz gut gelaufen …

Horst Tschöke blickt zurück auf ein bewegtes Verwaltungsleben in Wanne-Eickel und Herne. Er war in zentralen Positionen bei der Stadt, der SPD-Fraktion und zwei Stadttöchtern beschäftigt.
Horst Tschöke blickt zurück auf ein bewegtes Verwaltungsleben in Wanne-Eickel und Herne. Er war in zentralen Positionen bei der Stadt, der SPD-Fraktion und zwei Stadttöchtern beschäftigt. © FUNKE Foto Services | Gero Helm

Sie haben 1972 in Wanne-Eickel kurz vor der Stadtehe mit Herne ihre Ausbildung begonnen. War das eine spannende Zeit oder hat man das als junger Mensch gar nicht so wahrgenommen?

Das war damals durchaus eine spannende Zeit, weil man in einen neuen Bereich kam und neue Kollegen kennenlernte.

Gab es einen Unterschied in den Verwaltungskulturen von Wanne-Eickel und Herne? Haben Sie gar einen Kulturschock erleiden müssen?

Nein (lacht). Vielleicht war es für mich auch nicht so problematisch wie für einen Ur-Wanne-Eickeler, weil ich ja schon als Kind aus Warnemünde ins Ruhrgebiet gekommen bin. Wo ich wohne, fühle ich mich wohl – ob das nun Wanne-Eickel oder Herne ist.

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Sie haben eine recht steile Karriere hingelegt. Sind sie stets berufen worden oder mussten sie sich bewerben?

Ich bin eigentlich nach meinem Studium an der Fachhochschule im Jahr 1982 immer gefragt worden. Ich war zunächst Sachbearbeiter im Büro des Oberstadtdirektors und ab 1984 persönlicher Referent des Oberstadtdirektors – zunächst bei Dr. Raddatz, dann bei seinem Nachfolger Dr. Kirchhof.

Die kommunale Doppelspitze

Bis in die 90er-Jahre wurden Herne und alle anderen NRW-Städte von einer Doppelspitze regiert: An der Spitze der Verwaltung stand der hauptberufliche Oberstadtdirektor, an seiner Seite der ehrenamtliche und vom Rat gewählte Oberbürgermeister. Eingeführt worden war dieses System von der britischen Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg. Die 1994 beschlossene Reform sah die Einführung eines hauptamtlichen und direkt gewählten Oberbürgermeisters vor.

Ist es spannend, im Zentrum der Macht zu arbeiten?

Natürlich, man bekommt dort erheblich mehr über die wesentlichen Themen und die Strukturen in der Verwaltung mit. Und man erhält eine wesentlich breitere Sicht der Dinge. Das war auch das, was ich wollte.

Sie sind 1989 in die Geschäftsführung der SPD-Ratsfraktion gewechselt, die in Herne als Karriere-Sprungbrett gilt. War das der Grund für diesen Schritt?

Wolfgang Becker wurde 1996 der erste hauptamtliche Oberbürgermeister Hernes. Bis 2004 stand der Sozialdemokrat an der Spitze der Stadt.
Wolfgang Becker wurde 1996 der erste hauptamtliche Oberbürgermeister Hernes. Bis 2004 stand der Sozialdemokrat an der Spitze der Stadt. © WAZ | Jens-Martin Gorny

Ich bin auch damals gefragt worden – von SPD-Fraktionschef Wolfgang Becker, der später Oberbürgermeister wurde. Ich fand es spannend, bei der SPD-Fraktion auch die politische Seite mitgestalten zu dürfen. Das waren wichtige Erfahrungen für meine weitere berufliche Laufbahn.

Seit wann sind Sie Mitglied in der SPD?

Seit 1985. Ich bin im SPD-Ortsverein Horsthausen; dort haben wir bis Januar 2021 gewohnt. Ich habe auch stets im Vorstand des Ortsvereins mitgearbeitet. Mehr war aber nie mein Bestreben.

Sie waren nach Ihrer Zeit bei der SPD ab 1996 Leiter des Zentralbereiches Verwaltungsvorstand unter dem ersten hauptamtlichen Oberbürgermeister Wolfgang Becker und dann ab 2001 zwölf Jahre lang Betriebsleiter bei GMH, dem städtischen Gebäudemanagement. 2013 sind Sie dann völlig überraschend Vorstand bei Entsorgung Herne geworden. Weil es dort mehr Geld gab, weil Sie in dieser Position weniger in der Schusslinie standen oder weil Sie das als Herausforderung empfunden haben?

Weil mich Oberbürgermeister Horst Schiereck gefragt hat! Es gab damals die unleidige öffentliche Diskussion um die Nachfolge des damaligen Chefs von Entsorgung Herne, Bernd Westemeyer. Der OB wollte das beenden und hat mich deshalb persönlich gefragt, ob ich das machen würde. Ich habe einen Tag mit meiner Frau überlegt und dann zugesagt – obwohl ich auch sehr gerne beim Gebäudemanagement gearbeitet habe. Der Rat hat dann der Bestellung durch den Verwaltungsrat von Entsorgung Herne zugestimmt.

Was machte denn für Sie den Reiz beim Gebäudemanagement aus?

Ein Gebäude zu bauen, zu sanieren, zu verändern – das ist schon eine tolle Sache, die in Herne aber leider immer durch die schlechte Haushaltslage geprägt war und ist. Der Sanierungsstau war schon damals groß, es konnte immer nur das Notwendigste gemacht werden. Wir konnten den Nutzern von Sporthallen, Schulen oder Kindergärten überhaupt nicht gerecht werden. Das änderte sich ein wenig, als wir 22 Millionen Euro aus einem Konjunkturpaket des Bundes erhielten. Das war aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Hand aufs Herz: War das häusliche Mülltrennen vor Ihrem Wechsel zu Entsorgung Herne der größte Berührungspunkt mit der Abfallwirtschaft?

Ja, das kann man beinahe so sagen. Aber auch bei Abbruch und Sanierung von Gebäuden fallen Bauabfälle oder zahlreiche Schadstoffe an, die strikt zu trennen oder gesichert zu entsorgen sind.

Was ist wichtiger – Führungsstärke oder Fachwissen?

Ich habe bei meiner persönlichen Vorstellung im Verwaltungsrat von Entsorgung Herne gesagt: Ich muss nicht der Experte in allen Fachgebieten sein. Das wäre fatal, denn es gibt in jedem Unternehmen ausgewiesene Fachleute. Deshalb ist es für einen Vorstand wichtig, sich mit dem vorhandenen Fachwissen auseinanderzusetzen und daraus gemeinsam eine Problemlösung, eine Meinung oder Ziele für das Unternehmen festzulegen.

Wenn Sie auf die knapp 50 Jahre zurückblicken: Können Sie sagen, welche Station die schönste war?

Nö, kann ich nicht (lacht). In jeder Station gab es schöne, aber auch schwierige Zeiten. Ich habe mich überall sehr wohl gefühlt. Ich habe gestalten können, das war sehr bereichernd. Es hat mir auch viel Spaß gemacht, Menschen kennenzulernen, die sehr engagiert waren. Es gehörte allerdings auch dazu, dass man in jeder Position mit Problemen umgehen musste.

Was war denn die größte Herausforderung?

Mit Blick auf den Stressfaktor war es sicherlich eine ganz besondere Herausforderung, das Kulturzentrum in einem vorgegeben Zeitraum bis zu einer Eröffnungsveranstaltung mit dem Stargast Götz Alsmann zu sanieren. Das war ein Kraftakt.

Am 22. Oktober 2010 feierte die Stadt am Willi-Pohlmann-Platz nach dem Umbau und der Modernisierung des Kulturzentrums Wiedereröffnung. Für Horst Tschöke, damals Chef des städtischen Gebäudemanagements, war es ein Höhepunkt seiner Verwaltungslaufbahn.
Am 22. Oktober 2010 feierte die Stadt am Willi-Pohlmann-Platz nach dem Umbau und der Modernisierung des Kulturzentrums Wiedereröffnung. Für Horst Tschöke, damals Chef des städtischen Gebäudemanagements, war es ein Höhepunkt seiner Verwaltungslaufbahn. © WAZ FotoPool | Olaf Ziegler

Ich sage mal aus meiner persönlichen Sicht: Das hat sich gelohnt.

Ja, das sehe ich genauso. Das neue Kulturzentrum war und ist eine Bereicherung für Herne.

Das Kulturzentrum

Das 1976 in Herne eingeweihte Kulturzentrum wurde 2010 saniert, umgebaut, modernisiert und dann im Oktober wiedereröffnet. Neben einem umfassenden Lichtkonzept im Außenbereich und im Saal erhielt das Haus unter anderem luftige Konstruktionen im Eingangsbereich und einen Loungebereich im Foyer. Dank fahrbarer Böden und einer absenkbaren Zwischenwand lässt sich der Saal für die unterschiedlichster Veranstaltungsformen nutzen - von Kabarett & Konzert über Parteitage und Galasitzungen im Karneval bis hin zu Festivals wie „Tage alter Musik“.

Gibt es eine Erfahrung, auf die Sie lieber verzichtet hätten?

(überlegt) Es gibt sicherlich Erfahrungen, die man lieber nicht gemacht hätte. Dazu zählen Korruptionsverfahren und insbesondere die Diskussion um den Standort der neuen Forensik. Ich war damals Leiter des Zentralbereichs Verwaltungsvorstand unter Oberbürgermeister Wolfgang Becker.

Worum ging es konkret?

Die damalige Landesministerin Birgit Fischer hatte Wolfgang Becker in einem Vier-Augen-Gespräch und unter absoluter Vertraulichkeit mitgeteilt, dass die Entscheidung für den Standort Wanne gefallen sei. Wenige Tage später hat sie dann öffentlich erklärt, dass sie den Oberbürgermeister ja bereits informiert habe. Das war nicht okay und führte zu Empörung, massiver Kritik und zahlreichen Anfeindungen gegen Wolfgang Becker. Und es führte zu großem Ärger zwischen Verwaltung und Politik.

Be einem Besuch von NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement entlud sich 2001 der Protest gegen die Ansiedlung der Forensik in Wanne-Eickel.
Be einem Besuch von NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement entlud sich 2001 der Protest gegen die Ansiedlung der Forensik in Wanne-Eickel. © WAZ-BILD

Und worauf blicken Sie mit besonderer Freude zurück?

Die Wiedereröffnungen des Kulturzentrums und von Schloss Strünkede in meiner Zeit beim Gebäudemanagement. Die jüngste Auszeichnung für den Wertstoffhof durch die Deutsche Umwelthilfe war ebenfalls eine tolle Sache. Und spannend fand ich auch ab 2017 die Umstellung des Fuhrparks von Entsorgung Herne auf alternative und emissionsfreie Antriebe. Den weiteren Meilenstein in unserer Entwicklung für 2021 konnten die wir wegen Lieferengpässen der Zulieferer leider noch nicht erreichen. Aber 13 Abfallsammelfahrzeuge mit Brennstoffzellen für Wasserstoff sind bestellt. Die Lieferung ist für das 1. Halbjahr 2022 angekündigt. Dann wird Entsorgung Herne emissionsfrei und viel leiser in unserer Stadt unterwegs sein. Die weitere Umstellung soll bis 2030 erfolgen, wenn einsatzfähige Technik vorhanden ist und wir Fördermittel bekommen.

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Danach

Bereits im Januar sind Horst Tschöke und seine Frau von Horsthausen nach Constantin in einen neu gebauten Bungalow gezogen. Hier will der Pensionär nicht nur Haus und Garten in Schuss halten, sondern auch so häufig wie möglich die drei („glücklich verheirateten“) Kinder und fünf Enkelkinder („es sollen noch mehr werden“) empfangen. Weiterhin pflegen will er sein ehrenamtliches Engagement. Aktuell ist Horst Tschöke Schatzmeister im Partnerschaftsverein der Stadt, Mitglied der Herner Kulturinitiative und im Aufsichtsrat der Diakonie. „Und offen für weiteres Engagement bin ich auch.“

>>> WEITERE INFOS: Chef von 400 Mitarbeitenden

Bei Entsorgung Herne war Horst Tschöke zuletzt Chef für 225 Mitarbeitende. Sein Nachfolger Carsten Sußmann, bisher Vorstand beim kommunalen Entsorgungsbetrieb in Bottrop, tritt zum 2. Januar den Dienst an.

Im gewerblichen Bereich Tschöke Amtszeit erstmals auch Frauen eingestellt worden, konkret: in der Straßenreinigung. „Das hat sich bewährt.“

Über Praktika hat der städtische Betrieb Frauen auch für die Müllabfuhr gewinnen wollen, was aber (vorerst) gescheitert ist.

Beim städtischen Gebäudemanagement (GMH) arbeiteten zuvor unter Horst Tschöke rund 400 Menschen.