Herne. . Die Herner Tafel besteht seit zehn Jahren. Im WAZ-Interview erläutern Wolfgang Becker und Ulrich Koch, warum sie immer nötiger gebraucht wird.

  • Nachfrage bei Tafel hat sich deutlich erhöht. Etwa 3000 Menschen sind registriert
  • Verein steht langsam vor dem Dilemma, dass es nicht genug Helfer gibt, um Bedarf zu decken
  • Organisatoren freuen sich, dass es in all den Jahren gelungen ist, das System am Laufen zu halten

Die Herner Tafel feiert runden Geburtstag. Seit zehn Jahren verteilt sie in der Stadt Lebensmittel an bedürftige Menschen. Der Gründungsvorsitzende Wolfgang Becker und Ulrich Koch, aktueller Vorsitzender des Vereins, blicken im Gespräch mit WAZ-Redakteur Tobias Bolsmann auf die Anfänge zurück und erläutern aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen.

Zehn Jahre Tafel, ist das eigentlich ein Grund zum Feiern? Im Grunde müssten Sie ja darauf hinarbeiten, dass sich die Tafel auflösen kann.

Becker: Ja, sicher. Das haben wir auch am Anfang geglaubt, dass das Modell irgendwann ausläuft und man uns nicht mehr braucht. Die Erfahrung, die wir machen mussten, ist die, dass wir immer nötiger gebraucht werden.

Koch: Wir sehen schon über die Jahre, dass der Teil der bedürftigen Bürger leider nicht in dem Maße kleiner wird, wie wir uns das mal erhofft haben. Nicht nur auf Grund der aktuellen Entwicklungen mit den Flüchtlingen. Das hat die Nachfrage auch bei uns dramatisch erhöht. Wir liegen inzwischen bei knapp 3000 registrierten Menschen.

Mit wie vielen haben Sie angefangen?

Becker: Als wir anfingen, die Lebensmittel auszuteilen, waren es vielleicht 200. Zu Anfang sind die Lebensmittel aus einem Anhänger heraus verteilt worden, am Heisterkamp und am Buschmannshof und später an der Kreuzkirche.

Koch: Wir haben mit der Zeit die Systematik verändert. Zu Anfang gab es fertig gepackte Pakete, was dazu geführt hat, das Leute Dinge bekamen, die sie gar nicht haben wollten. Heute ist die Ausgabe fast wie ein kleiner Bauernladen.

Dass es zu Beginn so wenige waren, lag wahrscheinlich auch daran, dass das Angebot erstmal bekannt werden musste...

Becker... sicher. Aber es hat wohl auch daran gelegen, dass sich manche geschämt haben.

Ist das immer noch ein Faktor?

Becker: Ich glaube schon. Deshalb ist es gut, dass wir unser Verteilzentrum dort haben, wo es etwas abseits liegt.

Koch: Keiner macht das gerne. Egal in welcher privaten oder wirtschaftlichen Situation er ist, er findet das nicht toll.

Sind stolz, dass die Arbeit de Tafel in den zehn Jahren so gut geklappt hat:  Ulrich Koch (l.) und Wolfgang Becker.
Sind stolz, dass die Arbeit de Tafel in den zehn Jahren so gut geklappt hat: Ulrich Koch (l.) und Wolfgang Becker. © Udo Gottschalk

Wenn Sie sagen, dass es keiner gerne macht, müsste man dann nicht davon ausgehen, dass es eine deutlich größere Dunkelziffer gibt?

Beide: So ist das.

Koch: Wir haben knapp 3000 registrierte Menschen, davon kommt die Hälfte regelmäßig. Es gibt viel mehr Anspruchsberechtigte, als zur Tafel kommen. Und nicht jeder, der anspruchsberechtigt ist, lässt sich bei uns registrieren. Weil man es eben nicht gerne macht. Wir können aber überhaupt nicht den Trend erkennen, dass es ausläuft. Unsere Zahlen sind im Prinzip nur die Spitze eines Eisbergs. Das wäre uns eine echte Feier wert, wenn wir sagen könnten, wir haben keine Kundschaft mehr, wir haben alles erreicht. Aber danach sieht momentan überhaupt nicht aus.

Gibt es weitere Probleme?

Koch: Wir laufen in ein gewisses Dilemma hinein, dass wir tendenziell steigende Zahlen haben, aber nicht wissen, ob wir genug Kräfte haben, den Bedarf zu decken. Da haben wir eine zunehmende Herausforderung. Es wird immer schwieriger, Leute zu finden, die bereit sind, sich zu engagieren. Aber am Ende brauchen sie die zuverlässige Hand vor Ort, und das ist zurzeit eine Frage, bei der wir nach einer Lösung suchen.

Inwiefern spielt bei der Tafel das Thema Hartz IV eine Rolle?

Becker: Als wir angefangen haben, gab es ja schon Hartz IV, und Hartz IV wurde von den Menschen häufig als Grund genannt, warum sie zur Tafel kommen.

Wie ist bei der Tafel die Spendenentwicklung? Schließlich gibt es in Herne ja eine Reihe von weiteren gemeinnützigen Vereinen und Organisationen, die auf Spenden angewiesen sind.

Becker: Zur Gründung standen wir vor dem Nichts. Wir mussten die Tafel aus dem Boden stampfen. Da brauchten wir die Unterstützung von Unternehmen und Organisationen, den städtischen Töchtern oder Handwerkern. Da sind wir auf offene Ohren gestoßen.

Koch: Natürlich hat man nie genug Spenden. Wir haben eine Infrastruktur und Fahrzeuge, die wir unterhalten müssen. Das kostet eine Menge Geld. Und man spürt schon eine gewisse Konkurrenz der Organisationen untereinander. Außerdem sind Unternehmen sparsamer geworden. Andererseits spenden Unternehmen zu Weihnachten eher an soziale Einrichtungen, als Präsente zu machen. Wir haben rund 30 000 Euro laufende Kosten pro Jahr. Spenden sind schon eine Herausforderung, aber wie gesagt: Akuter ist die Frage, ob wir genug Leute finden, die mit anpacken.

Wie steht es um die Bereitschaft der Lebensmittelmärkte, Ware an die Tafel abzugeben?

Koch: Früher gab es eher das Problem, dass man die Ware schnell abholen musste, es wird aber im Moment insgesamt schwieriger, weil die Märkte besser organisiert sind.

Becker: Die Märkte kalkulieren heute genauer und gezielter. Die Ware wird über den Scanner gezogen, und die Märkte haben sofort den Überblick, was fehlt oder nachgekauft werden muss. So bleibt immer etwas weniger übrig, was die Tafeln abholen können. Allerdings profitieren wir von den großen Betrieben, die in Herne sind. Und die Produkte, die die Tafel ausgibt, sind gut und hochwertig.

Zurück zum Jubiläum: Einen kleinen Festakt veranstalten sie aber doch...

Koch: ...ja, am 5. Oktober, in dem gebotenen kleine Rahmen, weil sich tatsächlich die Frage stellt, ob die zehn Jahre ein Grund zum Feiern sind. Was man sagen kann: Wir sind stolz, dass es bis jetzt so gut geklappt hat. Aber an der Situation der Menschen können wir nichts ändern, wir kurieren quasi an Symptomen. Es ist einerseits unerfreulich, dass die Zahlen all die Jahre nicht runtergehen, andererseits freuen wir uns, dass es uns all die Jahre gelungen ist, so ein System am Laufen zu halten.

>> TAFEL BRAUCHT NEUES FAHRZEUG

Als die Herner Tafel vor zehn Jahren gegründet wurde, war es die 700. Tafel in Deutschland. „Diese Zahl stimmt mich nachdenklich“, sagte damals Gerd Häuser, Bundesvorsitzender der Tafeln.

Wer die Arbeit der Herner Tafel unterstützen möchte, kann unter WAN 58 70 56 oder per Mail, kontakt@herner-tafel.de, Kontakt aufnehmen. Die Tafel benötigt regelmäßige Unterstützung beim Einsammeln, Sortieren und Verteilen der Lebensmittel.

Ein akutes Problem der Tafel ist ein kaputter Transportwagen. Ein neues Fahrzeug kostet - inklusive Kühlsystem - rund 50 000 Euro.