Hattingen. Die Wasserkraftwerke an der Birschel Mühle und in Stiepel/Grenze Blankenstein sorgen bei Naturschützenden für Verdruss. Die Gründe dafür.
Versteckt liegt das Wasserkraftwerk an der Birschel Mühle in Hattingen. Was romantisch aussieht, ist für die Lebewesen in der Ruhr eine Katastrophe, sagen Naturschützende.
Als „großes Problem für das ganze Flusssystem - gerade in Hattingen“, sieht Olaf Niepagenkemper, Beauftragter des Fischereiverbandes NRW e.V. für die Bearbeitung der Wasserrahmenrichtlinie, die Turbinen der Wasserkraftwerke.
Naturschützende: Wasserkraftwerke der Ruhr sind für Fische katastrophal
Die an der Birschel Mühle und in Stiepel/Grenze Blankenstein bezeichnet Naturschützer Martin Maschka als „zwei Fischhäcksler“. Niepagenkemper: „Schon bei einem 15-Millimeter-Rechen passen 92 Prozent der Fische bis 36 Zentimeter durch“. Viele Fische kommen laut Maschka erst gar nicht zu den Laichplätzen. „Außerdem sind viele Anlagen nicht auf dem neuesten Stand“, sagt Maschka, der die Fischbestände der Ruhr von der Quelle bis zur Mündung untersucht hat.
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Beim 1910 als Pumpwerk für die Wasserbeschaffung in Stiepel neben der Schleuse Blankenstein errichteten und 1996 modernisierten Wasserkraftwerk treibt das Wasser vier Turbinen an, Generatoren wandeln diese Energie in Strom um. Das Ergebnis: etwa 4.928.334 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Betreiber ist die WMR Wasserbeschaffung und Energieerzeugung mittlere Ruhr GmbH, Gesellschafter sind zu je 50 Prozent Gelsenwasser und Stadtwerke Bochum. Es gibt eine Fischaufstiegsanlage aus mehreren Stufen, einen Feinrechen vor den Turbineneinlaufkanälen, eine flussabwärts gerichtete Abstiegsanlage für Aale, ein so genanntes Zick-Zack-Rohr, sagt Heidrun Becker, Sprecherin von Gelsenwasser.
Bezirksregierung sah in Bekanntmachung keine nachteiligen Folgen für die Umwelt
Im Sommer 2018 machte die Bezirksregierung Arnsberg bekannt, dass der Anlagenbetreiber, der inzwischen in Karlsruhe sitzt und auf Nachfragen der WAZ jetzt nicht reagiert hat, an der Birschel Mühle den Weiterbetrieb der Wasserkraftanlage plane, den Fischschutz verbessern wolle. Energie wird hier erzeugt durch den Aufstau der Ruhr und die Wasserableitung durch die Wasserkraftanlage. Die Landesregierung NRW wolle erneuerbare Energien ausbauen, heißt es in der Bekanntmachung, der Standort sei von einer Studie aus dem Jahr 2014 zum Weiterbetrieb vorgeschlagen worden. Gebaut werden solle: ein Fischaufstieg, eine Rechenanlage mit einem Stababstand von 17 Millimeter, ein Bypass nach Ebel/Gluch für den Fischabstieg.
Appell von Wissenschaftlern
„Energiewende nicht auf Kosten der aquatischen Biodiversität“ heißt es in einem Memorandum deutscher Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler zum „politischen Zielkonflikt Klimaschutz versus Biodiversitätsschutz bei der Wasserkraft“ von Ende November 2021.
65 Forschende aus 30 wissenschaftlichen Institutionen empfehlen dringend, die staatliche Förderung der „über 7800 unwirtschafftlichen, umweltschädlichen und nicht ökologisch sanierbaren Kleinwasserkradtwerke über das Erneuerbare-Energien-Gesetz oder Subventionen zu beenden“. Großwasserkraftwerke sollen nur im Einklang mit dem Wasserhaushaltsgesetz gefördert werden.
Die Kleinwasserkraftwerke trügen nur weniger als 0,5 Prozent zur Stromproduktion und damit kaum zur Energiewende bei, stellten aber mit ihren Wehren und Turbinen eine wesentliche Ursache dafür dar, dass Deutschland Umweltziele im Biodiversitäts- und Gewässerschutz verfehle - wie die verbindlichen EU-Ziele der Längsdurchgängigkeit und des „guten ökologischen Zustands“ der Fließgewässer (gemäß EG-Wasserrahmenrichtlinie).
„Zum Schutzgut Wasser ist zu sagen, dass durch die Schaffung der Durchgängigkeit sich die ökologischen Verhältnisse in der Ruhr erheblich gegenüber dem jetzigen Zustand verbessern und langfristig zu deutlichen Verbesserungen in der Fischfauna führen wird. Negative Einflüsse auf Boden, Luft und Klima sind durch das Vorhaben nicht zu erkennen. Als Fazit ist festzustellen, dass die geplante Maßnahme keine absehbaren, nachteiligen Folgen für die Umwelt verursacht“, heißt es in der Bekanntmachung.
Naturschützende: Fließgewässer leiden unter Stauungen der Ruhr
Niepagenkemper aber sagt: Die Staukette durch die vielen Wasserkraftwerke der Ruhr sei ein Problem. „Nach fünf, sechs, sieben Wehren ist Feierabend für die Fische.“ Die von der Europäischen Union vorgeschriebenen Wasserrahmenrichtlinien könnten derzeit so für die Ruhr nicht eingehalten werden. Das Fließgewässer leide unter den Stauungen, die die Fließgeschwindkeit verringerten. Die Folge: mehr Faulschlamm, der wiederum Methangas ausstoße. „Das ist 25 Prozent klimaschädlicher als CO2“, betont Niepagenkemper. Und: Durch die langsamere Fließgeschwindigkeit erwärme sich das Wasser stärker, warmes Wasser wiederum bedeute weniger Sauerstoff im Wasser - und damit schlechtere Bedingungen für Fische.
Denn beispielsweise die Quappe mag es kühl und sauerstoffreich. Die Fischbestände werden laut Maschka durch diese Anlagen drastisch reduziert, sie stören die Wanderroute von Lachs, Aal, Quappe, Barbe, Bachforelle und Barbe.
Fische kommen zum Laichen zurück - und kämpfen gegen Turbinen
Es seien zwar wieder Fische in der Ruhr, die „lange Zeit verschollen waren“, wie die Nase. „Sie ist quasi ein Putzfische, hält die Kiesstellen sauber, die andere Fische zum Laichen nutzen“, so Maschka. Aber sie kämpften gegen die Turbinen.
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Wie der Aal. Er wandert bis zum Atlantik, kehrt zum Laichen zurück. Aber oft komme er an den Laichplätzen wegen der Turbinen gar nicht erst an. Viele der gebauten Fischtreppen erachtet er als ungeeignet, weil der Strömungsdruck der Anlage stärker sei - und so die Fische dennoch in die Turbine gerieten.
Vorschlag: schwimmende Wasserräder zur Energiegewinnung
Dieser grüner Strom werde, so Maschka, als umweltfreundlich verkauft, aber „er ist blutrot“. In anderen Ländern würden andere Methoden genutzt - wie schwimmende Wasserräder. Maschka fordert ein Umdenken und „keine Turbinenkraftwerke in Gewässern“. Selbst wenn Fische nicht kleingehäckselt oder verletzt würden, „powert sie die Anstrengung an den Turbinen aus“.
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