Hattingen. Die Ökozelle ist das größte private Naturschutzprojekt Hattingens. Der Verein kritisiert: In der Stadt fehlt nicht Geld, sondern Konsequenz.

Das größte private Hattinger Naturschutzprojekt feiert Geburtstag. Seit zehn Jahren gibt es die Ökozelle „Hölter Kamp“. Ehrenamtliche setzen sich hier für den Naturschutz ein – und wünschen sich, dass der bei Kommunen, aber zum Beispiel auch in Familien mehr in den Fokus gerückt wird. „Für den Naturschutz fehlt nicht das Geld, sondern die Leute, die etwas tun“, betont Thomas Griesohn-Pflieger, Vorsitzender des Vereins Naturschutz Hattingen. Er mahnt, dass sich der Klimawandel auch im Paradies Ökozelle längst deutlich zeige.

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„Viele Leute kennen keine zehn Vogelarten mehr und vielleicht noch fünf Insekten“, bedauert der Naturliebhaber. Er ist überzeugt, alle Kinder seien zunächst interessiert an Tieren etc., bekämen aber zu oft beigebracht, dass Tiere im Fernsehen süß sind, draußen aber „igitt“. Sie entfremden sich von der Natur. „Es ist schrecklich, wie Kindern die Biophilie ausgetrieben wird. Aber ohne ein aufmerksames und liebendes Auge auf die Natur wird das mit der Rettung des Planeten nichts.“

So sieht gelebter Naturschutz in Hattingen aus: In der Ökozelle Hölter Kamp am Schlangenbusch in Holthausen wird er seit zehn Jahren betrieben.
So sieht gelebter Naturschutz in Hattingen aus: In der Ökozelle Hölter Kamp am Schlangenbusch in Holthausen wird er seit zehn Jahren betrieben. © FUNKE Foto Services | Uwe Ernst

Und dass die dringend nötig ist, unterstreicht er mit Beispielen aus der Ökozelle. Obwohl in dem mittlerweile gut vier Hektar großen Gebiet seit zehn Jahren intensiv Naturschutz betrieben wird, sind die Auswirkungen der Klimakrise deutlich. „Wir haben einen brutalen Schmetterlingstod“, erklärt Griesohn-Pflieger. Wo früher 50 bis 60 Schmetterlinge zehn verschiedener Arten zu sehen waren, tauchen heute oft nur noch ein oder zwei Falter einer Art auf. Auch Bockkäfer seien deutlich weniger geworden, Vögel wie die Goldammer verschwinden, Hummeln gebe es in diesem Jahr extrem wenig.

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Dabei erkennt er, dass viele Leute etwas für den Naturschutz tun wollen. Dabei fallen sie leider auch auf Geldmacherei herein. So hält der Naturexperte zum Beispiel nichts von den Insektenhotels, die in Baumärkten verkauft werden. Er mahnt, dass zum Beispiel ausgefranste Bohrlöcher, in denen Bienen nisten sollen, den Tieren die Flügel zerreißen, angebliche Nistziegelsteine hätten ebenfalls oft zu scharfe Kanten, in sogenannten Schmetterlingsschlitzen habe er noch nie einen Falter entdeckt und so weiter. „Dabei sind die Leute, die so etwas kaufen, ja guter Dinge“ weiß er.

Vom Glyphosat-Acker zur Öko-Wiese

Die Ökozelle in Holthausen ist am Wendehammer der Straße Schlangenbusch zu finden. Sie startete als Ausgleichsfläche der HWG für die Bauten am Hölter Busch. Wird eine Fläche versiegelt, muss eine Ausgleichsfläche geschaffen werden. „Aber es ist ein Irrglaube, dass das ein echter Ausgleich ist, denn die Natur zieht ja nicht um“, betont Thomas Griesohn-Pflieger.

Nachdem die HWG die Fläche zur Verfügung stellte, wird sie seit zehn Jahren ehrenamtlich gepflegt. Die Wohnungsgenossenschaft unterstützt den Verein – zum Beispiel mit der Anschaffung eines Balkenmähers und Abfuhr der Mahd. Im Gegenzug schulen die Ehrenamtlichen Mitarbeiter der HWG im naturgerechten Gärtnern und beraten bei Naturschutzfragen.

Auf einem benachbarten Acker wurde noch vor wenigen Jahren das Herbizid Glyphosat eingesetzt. Inzwischen ist der Acker seit fünf Jahren als „Kämpchenwiese“ in die Ökozelle eingebunden und eine Streuobstwiese mit Steinhaufen, Tümpeln, Holzhaufen, Hecken und mehr.

Kritik übt er aber vor allem an der Stadtführung und der Politik: „Die Bedrohungslage ist in den Köpfen nicht angekommen.“. Zwar gebe es Fortschritte, räumt er ein, „aber die sind nicht konsequent“. Politik und Verwaltung seien vielfach zu behäbig. Blühstreifen begrüßt er sehr, betont aber, dass Insekten nur etwas davon haben, wenn auch spezielles regional angepasstes Saatgut verwendet wird – wie in der Ökozelle. Hattingen habe viel Grünfläche, sei aber nicht bunt – und genau das sei nötig.

Auch, wenn an den Henrichsteichen, wo es noch viele heimische Pflanzen gebe, mit einem Mulchmäher gemäht werde, statt mit einem deutlich weniger zerstörerischen Balkenmäher, sind „90 Prozent der Lebewesen danach tot“.

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Mittel für Klimaschutzprojekte gebe es, betont der ehemalige Stadtsprecher. Vielfach sei eine ökologische Bewirtschaftung sogar auf Dauer preiswerter, weiß er. Was es brauche, sei eine konsequente Strategie. „Warum nicht mal eine Ratssitzung nur zum Klima- und Naturschutz veranstalten“, fragt er.

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In der Ökozelle wird naturfreundliche Bewirtschaftung seit nunmehr zehn Jahren vorgelebt – und ständig lernen auch die Ehrenamtlichen dazu. Am Wochenende konnte sich bei Tag der Artenvielfalt jeder ein Bild davon machen. Dabei hörten die Mitglieder des Vereins Naturschutz Hattingen von den etwa 80 Besuchern viel Unzufriedenheit mit naturfeindlichen Umtrieben generell und vor allem in der Stadt Hattingen.