Hattingen. Menschen, Material, Maschinen: Für sie gab’s auf der Henrichshütte Hattingen Luftschutzräume und Bunker. Spannend sind die unter den Erztaschen.
Wer sich auf den kleinen Balkon am Möllergraben im Industriemuseum Henrichshütte stellt, blickt auf einen der Luftschutzräume aus dem Zweiten Weltkrieg – gelegen unter den Erztaschen. Vergessen sind sie inzwischen fast – und haben doch schon Kultur beherbergt.
Neben Stollen und Bunkern auf dem Gelände dienten auch diese Luftschutzräume als Schutz gegen Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg. „Stellen Sie sich darauf ein, dass es dreckig ist“, hatte Museumschef Robert Laube vor dem Besichtigungstermin gesagt. Und ist selbst erstaunt, dass „hier kein Wasser drin steht, es so sauber ist“. Seit Jahren war er nicht mehr in den Räumen.
Unter den Erztaschen der Henrichshütte Hattingen waren Luftschutzräume
Dabei erlebten hier einst die Nachtschnittchen ihre Geburtsstunde. Udo Schnieders von der Sparkasse und Robert Laube holten sie 2008 nach Hattingen – in die 1907 bis 1911 gebaute Möllerung, in den so genannten „Keller 8“. Doch seit der Loveparade-Katastrophe war die Möllerung als Spielort, der schon damals regelmäßig mit dem Henrichs wechselte, tabu.
WAZ-Serie- Bunker und Luftschutzstollen
Die Luftschutzräume in den Erztaschen zählen laut Wilfried Maehler und Michael Ide vom Studienkreis Bochumer Bunker zu den außergewöhnlichen Luftschutzanlagen. Denn bestehende Hohlräume zwischen den Trichtern sind hier umfunktioniert zu Luftschutzzwecken.
Schutzräume für Menschen, Material, Maschinen
17 solcher Hohlräume, vor dem Krieg laut Laube „Lagerräume für beispielsweise Schmierstoffe“, gibt es zu den 16 Förderprofilen. Sie unterscheiden sich optisch: Die großen Profile dienten der Förderung aus den Erztaschen, die kleinen Zwischenprofile sind es, die zu Luftschutzräumen umgestaltet wurden.
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1938 entstanden zunächst zwei Luftschutzräume für Menschen, um 1940 eine Ausweichbefehlsstelle. Ab Mai 1943 wurden die verbliebenen Erztaschenhohlräume als Sachluftschutzräume hergerichtet. Auch die Betriebskrankenkasse hatte einen Raum. „Davon haben wir noch das Schild“, so Laube. Es gab Schutzräume für Ostarbeiter, in einem waren Kopierabteilung und Mikroverfilmung, in anderen Ersatzteile. „Menschen, Maschinen, Material: Das alles galt es auf der Hütte zu schützen“, erklärt Laube.
Ausstattung unterschied sich stark
Die Ausstattung unterschied sich stark: Manche Räume verfügten über einen Notausgang oder eine Splitterwand, andere hatten Abzweige oder starke Wände, einzelne eine Gasschleuse – unter den Trichtern erschließt sich eine regelrechte Unterwelt.
Buch: Henrichshütte im Zweiten Weltkrieg
„Die Henrichshütte Hattingen im 2. Weltkrieg – Werkluftschutz und Bunker in einem Rüstungsbetrieb“ heißt ein Buch im DIN-A4-Format von Wilfried Maehler und Michael Ide, das es auch im Industriemuseum Henrichshütte zu kaufen gibt.
Auf 145 Seiten beschreibt das Autorenduo vom Studienkreis Bochumer Bunker e.V. den Werkluftschutz und die Bunker genau. Das Buch kostet 19,90 Euro.
In die gelangt, wer über den Graben der Möllerung schreitet – am vom Hochofen entferntesten Punkt – und so zu einem hüfthohen, abgeschlossenen Tor kommt. Ein Helm schützt den Kopf, wenn es durch immer wieder niedrige Durchbrüche hin geht zu einem der Luftschutzräume, der im Zweiten Weltkrieg „gedacht war für Akten“.
Illegales Graffito
Die rostige Eisentür steht offen, ist festgemacht an einem Eisentor, auf der noch die letzten Buchstaben des Wortes Vorsicht zu lesen sind. Im Profil nebenan steht gerade die riesige Katze des magischen Lichterparks Lumagica. Eine modernes Eisengittertür schützt den Raum vor dem Zutritt Unbefugter.
Und doch muss hier jemand unbefugt eingedrungen sein. „Heil Hitler“ ist an die Wand gesprüht, gleich gegenüber dem Schriftzug „Rauchen verboten“. „Wäre das hier öffentlich zugängig, wäre das längst weg.“ So etwas an die Wand eines Ortes zu sprühen, der ein klares Indiz für ein Schreckenssystem sei, das Menschen umgebracht habe, sei die „Speerspitz der Idiotie“, so Laube.
Leuchten lassen sich nicht einschalten
Doch das ist schon der zweite Raum, dessen Höhe und halbovale Form bestimmt ist von den Erztaschen, also den Trichtern oben, und an dessen Wand eine rostige Heizung hängt. Lang gestreckt ist er, deutlich länger als der Vorraum, von dem aus spärlich Licht eindringt. Leuchten sind an der Decke, lassen sich aber nicht einschalten.
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Ein Tisch verrottet rechts neben dem Durchgang zum dritten Raum, dieser ebenfalls mit Heizung. Rot leuchtet ein kleiner Warnkegel neben einem Loch im Boden. „Das hat man wohl gegraben, damit Wasser ablaufen kann“, mutmaßt Laube. Aber auch die Drainage in der „Etage darüber“ habe wohl dafür gesorgt, dass es hier relativ trocken sei.
Toilette lässt sich erahnen
Im vierten Raum – auch er wie die vorherigen beiden etwa sechs Meter breit, elf Meter lang und an der höchsten Stelle drei Meter hoch – zeigt sich gleich links eine verrostete, bizarr wirkende Lüftungsanlage. Im hinteren Teil ist eine Trennwand hochgemauert. „Dahinter war wohl eine Toilette.“ Kurz davor führt links ein Durchgang hinüber in weitere Hohlräume unter den Erztaschen. Diese Unterwelt wirkt wie ein Labyrinth – in das die Kreaturen – Phönix, Raubkatze und Fledermäuse – des magischen Lichterparks Lumagica bald faszinierend Licht bringen.