Hattingen. Bei der Erinnerung an Hattingens schwerste Bombardements im März 1945 bekommt Irmgard Rolke noch heute „das Frieren“. Die damals 15-Jährige „hatte immer viel Angst vor den Bomben, war zuvor oft alleine in den Bunker am Rathausplatz gerannt. Dort hatte ich einen Stammplatz.“

„Vorher, das war ja im Vergleich alles nur Geplänkel. Die Angriffe im März 1945, das waren die schlimmsten“, erinnert sich Irmgard Rolke. Und bekommt heute noch „das Frieren“, wenn sie an die Bombenangriffe zurückdenkt. „Es läuft mir eiskalt über den Rücken.“

Glücklicherweise war die damals 15-Jährige nicht daheim, als die Bomben fielen, denn das Haus an der Hüttenstraße „Nummer 14 oder 24, das weiß ich nicht mehr genau,“ wurde zerstört.

Am Nachmittag war es ganz dunkel

„Wir waren gerade auf dem Weg zur Schneiderin Melitta Schulte, bei der ich nach dem Pflichtjahr gerne meine Lehre machen wollte. Sie machte viel mit Blüten und Stickerei, das gefiel mir. Um 15 Uhr hatte ich den Vorstellungstermin in ihrem Atelier.“ Das sei neben der Lichtburg gewesen. „Plötzlich heulten die Sirenen, ich war wie elektrisiert. Ich hatte immer viel Angst vor den Bomben, war zuvor oft alleine in den Bunker am Rathausplatz gerannt. Dort hatte ich einen Stammplatz. Ich war auch mal in den Stollen. Meine Mutter war nie mitgekommen, sie war bei meinem Vater, der an einem Hirntumor litt, geblieben.“

In den Rathausplatz-Bunker flüchteten sich Mutter und Tochter jetzt gemeinsam. „Dort haben wir uns mit anderen unterhalten. Einmal hat es gerumst, als eine Bombe seitlich getroffen hat.“ Als sie rauskamen, „lag Hattingen in Schutt und Asche“, so Irmgard Rolke. Das Bild werde sie nie vergessen. Obwohl es erst Nachmittag war, sei es „ganz dunkel gewesen, es war wie ein Vulkanausbruch“.

In ihr Gedächtnis eingebrannt sind auch die Toten, die sie erblickte, als sie aus dem Bunker kam. „Der heutige Parkplatz am Rathaus war ja früher der Hof des Lyzeums. Dort in der Halle waren damals russische Gefangene untergebracht. Die waren wohl in ihrer Not und Angst auch losgelaufen, um Schutz zu suchen.“ Oft hatte sie gesehen, wie es am Himmel geblitzt hatte, wenn andere Orte angegriffen wurden. „Ich habe damals schon andere gefragt, ob wir den Krieg verlieren.“

Vom Bunker aus liefen Mutter und Tochter nach Hause. Das Haus war „komplett zerstört, bis zur ersten Etage zusammengebrochen. Mein Vater war schon vorher gestorben, sonst wäre er in den Trümmern umgekommen. Die Phosphorbomben hatten alles verbrannt.“ Einige Dinge holten beide noch aus dem Keller, „aber die sind dann gestohlen worden“. Unter kam Irmgard Rolke mit ihrer Mutter zunächst bei einem Bekannten des Vaters in der Bismarckstraße. „Danach wurden wir bei einer Familie im Rosental untergebracht, ich habe dort das Kriegsende erlebt, gesehen, wie Gefangene über die Straße an der Lembeck abtransportiert wurden.“ Kein einfacher Wohnort für die Jugendliche. „Die Granaten kamen von Altendorf rüber.“

Ins Zentrum zu kommen oder aus dem Zentrum zurück, war damals nicht einfach, erinnert sie sich. Denn dort waren Soldaten, mal wurde mal von der einen, mal von der anderen Seite geschossen. Außerdem töteten auch Tiefflieger viele Menschen. „Wo heute die Post ist, waren damals Gärten mit Furchen dazwischen. Einmal habe ich mich in einen Garten geschmissen, als die Tiefflieger kamen“, so Irmgard Rolke, deren Mama Kranführerin auf der Henrichshütte war. Und weil das Schneideratelier nach dem Angriff auch nicht mehr existierte, arbeitete auch die 15-Jährige in der Henrichshütte. „Ich habe an der Drehbank Schrott gedreht. Das könnte ich heute noch“, sagt die Winz-Baakerin.

Jahrelang nach dem Krieg hatte Irmgard Rolke schlechte Träume. „Ich bin nachts wach geworden, dachte, ich hätte Sirenen gehört. Egal, woran ich später litt, meine Mutter hat immer gesagt, das seien die Nerven, weil ich so viel mitbekommen hätte.“