Gladbeck. Erdoğan bleibt nach der Stichwahl türkischer Präsident. Auch Deutsch-Türken in Gladbeck haben ihn gewählt. Das sind Erklärungsversuche.
Müzeyyen Dreessen macht keinen Hehl daraus, wie enttäuscht sie von der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist. Aber sie hatte diesen Ausgang der Stichwahl befürchtet – wie andere Menschen in Gladbeck auch.
So gesteht Tecer Ceylan, Vorsitzender des lokalen Kulturvereins der Aleviten: „Ich habe dieses Wahlergebnis zum Teil erwartet.“ Der 53-Jährige, der seit seinem zweiten Lebensjahr in Gladbeck lebt, gesteht: „Wir hatten trotzdem gehofft, dass die Demokratie gewinnt.“ Dieser Wunsch sei nun nicht in Erfüllung gegangen, aber „hoffen darf man ja weiter“.
Gladbecker: Mangelnde Integration unter jungen Menschen
Der Vorsitzende des Gladbecker Kulturvereins betont: „Aleviten sind Demokratie-Anhänger.“ Dass dies Erdoğan abgesprochen wird, ist offensichtlich den in Deutschland wohnenden Menschen mit türkischen Wurzeln nicht bewusst. „Deren Integration hat wohl nicht so gut geklappt wie erhofft.“ Gerade Kinder und Jugendliche seien von türkischen Medien und Communitys beeinflusst.
Kein Geheimnis: Moscheevereine stehen unter der Hand Erdoğans und werden vom türkischen Staat bezahlt. Realität sei auch, dass der Journalismus in dem Land mit Hauptstadt Ankara nicht frei sei. Gleiches gelte für die Aleviten: „Sie werden unterdrückt.“
Während an vielen Orten deutschlandweit, auch in Gladbeck, Erdoğan-Wähler den Sieg des Wieder-Präsidenten mehr oder minder lautstark feierten, meint Müzeyyen Dreessen: „Ein Präsident, der 48 Prozent der Bevölkerung gegen sich hat, müsste eigentlich schauen, wie er versöhnen kann; stattdessen denkt er schon an die Kommunalwahlen im kommenden Jahr und fragt gestern Abend seine Anhänger: ,Sind wir bereit, nächstes Jahr auch Istanbul zu erobern?’“
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Er habe es nicht verkraftet, gerade Istanbul und weitere Großstädte bei der vorigen Kommunalwahl an die Opposition verloren zu haben. „Nachtragend und ihnen das Wasser abgrabend regiert er nun weiter, mit einem Parlament und einer Allianz, die beide nun stark rassistisch und islamistisch besetzt sind. Für die Zukunft des Landes leider keine gute Wahl. Es hat den Anschein einer Demokratie, aber seit Jahren hat er alle Strukturen unter seine Kontrolle gebracht, entscheidende Positionen mit seinen Vertrauten und Verwandten besetzt. Es gibt keine freie Presse und keine freie Justiz mehr. Die Opposition ist teilweise im Gefängnis“, so die Gladbeckerin Dreessen.
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Die Bedingungen für den Wahlkampf seien nicht gerecht und fair gewesen. Dreessen, die als Achtjährige mit ihrer Familie nach Deutschland gekommen ist: „Ohne die Stimmen der Auslandstürken und der Syrer im Land, von denen er viele noch schnell eingebürgert hat, hätte er trotzdem verloren. Freunde sagen mir, dass sie das schlimm finden, dass Auslandstürken über ihr Schicksal bestimmen, obwohl sie nicht dort leben.“
Sie kann den Rückhalt Erdoğans in Deutschland, gerade im Ruhrgebiet erklären, aber nicht nachvollziehen. Er habe zu Beginn seiner Amtszeit reformiert, in Infrastruktur und das Sozialsystem investiert. Das spiele ebenso eine Rolle für die Wahlentscheidung wie die Ausgrenzungserfahrung von Deutsch-Türken hierzulande.