Gladbeck. Weltweit sind 90 Fälle des Mohr Tranebjaerg Syndroms bekannt. Vor vier Jahren erhielt Jan Wengelnik diese Diagnose. So geht es dem Gladbecker.

Jan Wengelnik ist 26 Jahre alt. Wie die meisten jungen Menschen steckt er voller Ideen, Wünsche und Zukunftspläne. Er begeistert sich für viele Dinge – von Fußball bis zur Philosophie. Immanuel Kant ist sein Lieblingsphilosoph. Erst vor kurzem hat Jan Wengelnik außerdem seine Liebe zur bildenden Kunst entdeckt. Beweis dafür: Die vielen selbstgemalten Bilder, die überall in seinem Zuhause in Schultendorf an den Wänden hängen oder, noch in Warteposition, in den Ecken in allen Zimmern stehen.

Aber: Was für andere junge Menschen ganz selbstverständlich erscheint, muss Jan Wengelnik sich in der Regel schwer erarbeiten. Der junge Gladbecker hat das Mohr Tranebjaerg Syndrom (MTS). Das ist eine Entwicklungsstörung, die nur Jungen betrifft. Symptome sind der Gehörverlust, der schon in früher Kindheit einsetzt; im Erwachsenenalter dann gefolgt von einer neurologischen Bewegungsstörung mit unwillkürlichen Muskelkontraktionen (Dystonie) sowie Ataxie (Erkrankung des Gehirns und des Rückenmarks).

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Der Gladbecker Jan Wengelnik hat MTS – weltweit sind nur 90 Fälle bekannt

„Ja, da hab ich mir wirklich eine ganz besondere Krankheit ausgesucht“, sagt der 26-Jährige, und er beweist mit diesem Satz den ihm so eigenen Humor. Weltweit gibt es laut Wikipedia gerade einmal 90 bekannte Fälle. Das schränkt die Wahrscheinlichkeit sehr ein, dass sich die Pharmaindustrie in absehbarer Zeit mit MTS und der Entwicklung möglicher Behandlungsmethoden beschäftigen wird.

Jan Wengelnik weiß das – und geht sein Leben dennoch, oder vielleicht auch gerade deshalb, positiv an. Und das, obwohl bereits eine lange Zeit des Leidens und der Krankenhausaufenthalte hinter ihm liegt. Das Gehörproblem, erklärt seine Mutter Iris Wengelnik, fiel der Familie auf, als Jan drei Jahre alt war. Es war der Startpunkt seiner Odyssee mit unzähligen Behandlungsmethoden.

Kein Arzt konnte sagen, was dem Gladbecker wirklich fehlt

Dieses Bild hat Jan Wengelnik am PC erstellt. Es zeigt ihn selbst, vor einem seiner Bilder. Der Gladbecker leidet an dem Mohr Tranebjaerg Syndromn.
Dieses Bild hat Jan Wengelnik am PC erstellt. Es zeigt ihn selbst, vor einem seiner Bilder. Der Gladbecker leidet an dem Mohr Tranebjaerg Syndromn. © Jan Wengelnik

„Kein Arzt konnte wirklich sagen, was Jan fehlt, es war einfach schrecklich.“ Die Diagnose MTS wurde dann tatsächlich erst vor gut vier Jahren gestellt. Mehr oder weniger durch Zufall. Weil der Professor an der Uniklinik Essen, bei dem der junge Gladbecker damals in Behandlung war, gerade zu dem Zeitpunkt Kontakt zur Uniklinik in Freiburg hatte. Dort wusste man tatsächlich mehr über die Krankheit, weil dort drei Patienten mit MTS betreut wurden. Seitdem fährt auch Iris Wengelnik mit ihrem Sohn regelmäßig nach Freiburg in die Klinik. 2019 stand für Jan eine OP an, bei der ihm ein Hirnschrittmacher eingesetzt wurde. Der bewirkt, dass die neurologischen Probleme eingedämmt werden.

Gerne würde sich der 26-Jährige mit anderen Betroffenen austauschen. „Aber das ist so gut wie unmöglich. 90 Fälle weltweit, wie will man da den Kontakt herstellen?“, sagt er. Eine Zeit lang war der Gladbecker in einer Facebookgruppe, die sich mit der Krankheit beschäftigt. „Da bin ich jedoch ganz schnell wieder rausgegangen, bei dem Blödsinn, der da unterwegs war.“

An der Uni Essen hat Jan Wengelnik über seine Krankheit gesprochen – am Tag der seltenen Krankheiten

Dafür hat der Gladbecker in diesem Jahr den Tag der seltenen Krankheiten am 28. Februar genutzt, um auf seine Krankheit aufmerksam zu machen. An der Uni fand nämlich eine Veranstaltung dazu statt, und Jan Wengelnik war dazu eingeladen. „Ich habe über das Mohr Tranebjaerg Syndrom, mein Leben damit und meine Kunst gesprochen. Das hat sehr gutgetan“, sagt er stolz.

Überhaupt die Kunst – sie ist ihm enorm wichtig. Und das aus gleich zwei Gründen. Zu Acrylfarben, Pinsel und Schwamm greift Jan nämlich, um seinen Emotionen Ausdruck zu verleihen. Abstrakte, farbgewaltige Bilder kommen dabei heraus. Die würde der Gladbecker künftig auch gern einer breiteren Öffentlichkeit zeigen. Deshalb ist er aktuell auf der Suche nach einem Atelier, das gleichzeitig auch noch eine andere bedeutende Aufgabe erfüllen soll. „In dem Kunstraum soll es auch um Inklusion gehen. Menschen mit und ohne Behinderung sollen miteinander in Kontakt kommen, miteinander Kaffee trinken, reden, Grenzen überwinden!“

Der Gladbecker hat auch schon Ausgrenzung erleben müssen

Dieser Aspekt ist Jan eine wahre Herzensangelegenheit. Er hat nämlich selbst schon Ausgrenzung erfahren. Beim Sport zum Beispiel. Damals, als er noch Sport betreiben konnte, die Leute ihn aber wegen seines Andersseins einfach ignoriert haben. Das war eine schmerzhafte Erfahrung. Genauso wie die Kündigung seines Jobs nach einem halben Jahr als Fachinformatiker in einer kleinen Firma im Wiesenbusch.

Unterkriegen lässt sich der 26-Jährige von solchen Erfahrungen aber nicht. „Sein Lebensmut ist einfach unfassbar“, sagt seine Mutter. Jan ist IT-begeistert, hat an einer Schule für Gehörlose Abi gemacht, im Anschluss noch eine Fachhochschule besucht und soziale Arbeit studiert. Ach ja, 2017 hat er außerdem auch eine Lehre zum Landwirt begonnen. Die musste er dann aber abbrechen. Es war die Zeit, als seine Augenkrämpfe begannen...

Auf der Suche nach einem passenden Atelierraum

Um so wichtiger ist Jan Wengelnik nun die Kunst. Ein passender Atelierraum war ihm vor kurzem fast schon sicher. Doch dann zerschlugen sich die Pläne urplötzlich. Nun hilft ihm aber die Wirtschaftsförderung der Stadt bei der weiteren Suche. Und Jan ist optimistisch wie stets: „Es muss einfach klappen!“

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So, wie beispielsweise auch seine Bemühungen, soziale Kontakte zu knüpfen. Das ist, zugegeben, für den 26-Jährigen keine einfache Kiste. Dafür nur ein Beispiel: Vor einiger Zeit hat er gleich mehrere Gladbecker Sportvereine wegen einer Mitgliedschaft angeschrieben. Geantwortet hat lediglich der Fußballverein Adler Ellinghorst. Da ist Jan Wengelnik seitdem auch Mitglied, genießt die „tolle Gemeinschaft“ mit den anderen Fans, die ihn so nehmen wie er ist. Einfach als einen ganz normalen Menschen, der seine Mannschaft anfeuert, gern auch zu Auswärtsspielen mitfährt und mit seinen Vereinskollegen auch mal ein Bierchen trinkt.