Gladbeck / Maastricht. In Maastricht wurde eine vierspurige Straße unter die Erde verlegt. Oberirdisch entstand ein neues Quartier. Kann Gladbeck davon lernen?

Der breite Boulevard, den sich Fußgänger und Radfahrer teilen, eingerahmt von Bäumen, dazu zwei schmale Fahrstreifen für die Autofahrer – es ist fast idyllisch hier in Maastrichts neuem Zentrum. Dass gerade einmal zwei Meter unterhalb der Erde eine Blechlawine durch einen doppelstöckigen Tunnel rollt, davon ist hier oben an der Sonne nichts zu merken. Dass hier einmal die vierspurige Schnellstraße die Stadt geteilt hat – wer das nicht weiß, dem fällt es heute nicht mehr auf.

IDie Situation vor dem Bau des Tunnels in Maastricht. Die A2 durchschnitt die Stadt, die Lärmschutzwände wirkten zusätzlich trennend.
IDie Situation vor dem Bau des Tunnels in Maastricht. Die A2 durchschnitt die Stadt, die Lärmschutzwände wirkten zusätzlich trennend. © Projectbureau A2 Maastricht | Aron Nijs Fotografie

Den Gladbeckern jedoch dürfte die Parallele zur Bundesstraße 224 aufgefallen sein, die hier die Stadt teilt und die – so ist der Plan – beim Bau der A52 auch in einem Tunnel verschwinden soll. Naheliegend, dass sich nun eine Delegation des Rates und der Stadtverwaltung auf den Weg gemacht hat, um sich die niederländische Lösung anzuschauen. Vor Ort informierten Verantwortliche des „Grünen Läufers“ – so der Name der Trasse auf dem Tunnel – über Bau- und Planungsphase.

Parallelen zur B224 in Gladbeck sind auffällig

Die Situation vor Ort: Der Abschnitt der niederländischen A2 gehört zur internationalen Verkehrsverbindung zwischen Maastricht und Marseille. Sie führte mitten durch die Stadt, sechs Ampelkreuzungen führten zusätzlich zu Verdruss. Bis zu 80.000 Fahrzeuge pro Tag quälten sich durch diesen Engpass. Zum Vergleich: Auf dem Gladbecker Abschnitt der B 224 sind es nach Angaben der Stadtverwaltung 40.000.

Der Blick von oben auf die Situation in Gladbeck. Hier ist erkennbar, wie die B224 die Stadt durchschneidet.
Der Blick von oben auf die Situation in Gladbeck. Hier ist erkennbar, wie die B224 die Stadt durchschneidet. © FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Zurück nach Maastricht: Lärmschutzwände bewirkten zudem die Teilung der Stadt. Eine Forderung seit Jahren war dann auch die Beseitigung der „Berliner Mauer“. Ein langwieriges Projekt, das nun vor seinem Ende steht. Der Tunnel wurde 2016 eröffnet, nun ist auch der grüne Läufer auf dem Tunnel Realität geworden. „Nächste Woche schließen wir nach 20 Jahren die Türen des Projektbüros“, berichtet Joes Geurts, einer der Supervisoren des Projekts. In dieser Zeit wurde der Tunnel gebaut, die Oberfläche gestaltet, entlang des Tunnels wurden 11.000 neue Wohnungen errichtet – und zwar Sozial- genauso wie Eigentumswohnungen.

Verantwortliche in Maastricht sprechen von einem neuen Stadtviertel

Die Verantwortlichen sprechen von einem neuen Stadtviertel. 1,2 Milliarden Euro sind für das Projekt geflossen, rund 850 Millionen entfielen auf den Tunnelbau. Eine Summe, die für Gladbeck nicht ansatzweise im Raum steht. Doch sehen die Verantwortlichen in den Niederlanden vielfachen Nutzen für die Stadt. So habe man vor rund zehn Jahren ausgerechnet, dass der Tunnelbau im Umfeld Investitionen von rund 450 Millionen Euro ausgelöst hätten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Rund 450 Wohnungen mussten abgerissen werden, einen Großteil der Besitzer habe man entschädigt, lediglich in zwei Fällen seien die Eigentümer enteignet worden.

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Aber am Ende sei es gelungen, die gesamte Gegend aufzuwerten, sagt Joes Geurts. „Wer in Maastricht wohnen wollte, hat ein Haus im Westen gesucht. Auf der anderen Seite wurde man geboren.“ Etwas drastischer formuliert: Im Umfeld der Autobahn wollte niemand leben. Das habe sich aber nun komplett gewandelt. Längst rollen rund 92 Prozent des Verkehrs unterirdisch durch den König-Willem-Alexander-Tunnel. Anfangs sei man davon ausgegangen, 75 Prozent des Verkehrs unter die Erde zu bringen. Oberirdisch seien am Tag noch 5000 bis 8000 Fahrzeuge unterwegs.

Auslastung des Tunnels in Maastricht liegt bei 60 bis 70 Prozent

Wichtig für die Gladbecker Vertreter: Wie stark ist der Tunnel ausgelastet, stößt er bereits an Kapazitätsgrenzen? Das konnten die niederländischen Gastgeber verneinen. Bei so einem auf 100 Jahre angelegten Bauwerk habe man großzügig geplant, die derzeitige Auslastung liege bei 60 bis 70 Prozent.

Joes Geurts (r.) und Fred Humblé, erläutern das Projekt. Sie stehen auf dem breiten, von Bäumen gesäumten Boulevard, oberhalb der A2, der Fußgängern und Radlern gehört.
Joes Geurts (r.) und Fred Humblé, erläutern das Projekt. Sie stehen auf dem breiten, von Bäumen gesäumten Boulevard, oberhalb der A2, der Fußgängern und Radlern gehört. © WAZ | Matthias Düngelhoff

Architekt und Landschaftsplaner Fred Humblé erläuterte dann die Bauphase. Die unterscheidet sich in einigen Punkten von dem, was Ratsmitglieder und Verwaltung aus Deutschland gewohnt sind. Denn man habe den ausführenden Firmen viele Freiheiten gelassen – beim Tunnelbau wie auch beim späteren Wohnungsbau. Man habe Qualitäten – quasi Anforderungen definiert – wie die Firmen diese erreicht haben, habe man jedoch in deren Ermessen gestellt. Auch bei Änderungen während der Bauphase sei man flexibel gewesen. „Die Firmen mussten uns nur beweisen, dass das Budget und die vorgegebene Qualität eingehalten werden.“

Gebäude entlang des Grünen Läufers sind vielfältig

Ansonsten sei der klare Vorsatz gewesen, nicht alles vorzuschreiben. Das zeigt sich auch bei der Bebauung rund um den Tunnel. Die Gebäude sehen vollkommen unterschiedlich aus, es gibt Hochhäuser, ebenso Einfamilienhäuser, auch die Fassaden haben verschiedene Farben und sind aus diversen Materialien. Und doch fügt es sich am Ende harmonisch zusammen.

Humblé spricht viel von Vertrauen, das auf allen Seiten gegeben sein musste. Die Verantwortung für das alles lag schließlich auch bei einem Projektbüro, das von Stadt, Land und Baufirmen getragen worden sei. Alle drei Parteien hätten Mitarbeiter entsandt, und man habe viel voneinander lernen können. Drei Supervisoren hätten letztlich die Oberaufsicht gehabt und seien außerdem ansprechbar für die Belange der Bürger gewesen. Die habe man in allen Schritten mitgenommen. Joes Geurs: „Es gab auch die klare Zusage, dass wir bei allen Fragen und Anliegen innerhalb von 48 Stunden eine Antwort liefern, bei komplizierteren innerhalb einer Woche.“

Verbindung in die Landschaft

Er ist der Überzeugung, dass ein solches Mammutprojekt nicht innerhalb bestehender Strukturen abgewickelt werden könne. Wichtig aus Humblés Sicht: Gerade bei der Gestaltung der neu gewonnenen Fläche in der Stadt sei es wichtig, nicht nur Stadtplaner zu beteiligen, sondern auch Landschaftsplaner. Das, so Stadtbaurat Volker Kreuzer, sei ebenfalls bei der Gladbecker Ausschreibung so vorgesehen.

In Maastricht ist es dann auch gelungen, dass der grüne Läufer schließlich in der umgebenden Landschaft aufgeht. In einer Brücke überquert er die Autobahn, und über diesen grünen Läufer erreicht die Stadtbevölkerung nun umliegende Gutshöfe, die zu beliebten Ausflugszielen geworden sind. Insofern sind sich Fred Hamblé und Joes Geust einig: „Wir haben hier viel Lebensqualität gewonnen.“

Wie die Gladbecker Delegation auf das Maastrichter Modell reagiert hat, welche Probleme sie auch sehen, das lesen Sie hier.