Gladbeck. Die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund ist an Gladbecker Schulen teils hoch. Rektoren begründen, warum sie eine Migrationsquote ablehnen.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Hans Peter Meidinger, hat sich für eine Migrationsquote an Schulen ausgesprochen. Er begründet, dass ab einem Anteil von 35 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund die Leistungen überproportional abnehmen würden. Integration könne dann nur noch schwer gelingen. In Gladbeck haben die Schulen, bis auf wenige Ausnahmen, einen höheren Migrantenanteil. Er reicht von 26,7 (Ratsgymnasium) bis zu mehr als 80 Prozent (siehe Tabelle). Meidingers Forderung stößt so bei Schulleitern auf Unverständnis und Kritik.

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„Eine solche Aussage, auch wenn es so stimmen mag, bringt uns nicht weiter, wenn die Realität in der Schule vor Ort mit ihrem Einzugsgebiet seit Jahren eine andere ist“, sagt Cäcilia Nagel, Leiterin der Lambertischule. Die Grundschule in der Stadtmitte hat aktuell eine Migrantenquote mit einem Spitzenwert von 82,7 Prozent. Sie hat im stadtweiten Vergleich aller Schulen mit Sieben die höchste Sozialindex-Einstufung erhalten – und damit die größten Herausforderungen zu bewältigen. Der Index wurde als Instrument zur schulscharfen Bewertung von der Landesregierung 2021 eingeführt, um auf die Bedarfe vor Ort mit verbesserten finanziellen, sachlichen und personellen Ressourcen zu reagieren, wobei der Sozialindex Neun die größte Herausforderung bedeutet. Als Faktoren werden zum Beispiel die Quote der Schulkinder, deren Familien Sozialhilfe erhalten oder in denen nicht Deutsch gesprochen wird, oder der Anteil der aus dem Ausland zugezogenen Kinder oder die Schüleranzahl mit sonderpädagogischem Förderbedarf gewertet.

„Die Migrationsquote darf kein Kriterium gelingender Schulausbildung sein“

„Ich habe mit der Migrationsquote zu keiner Zeit ein Problem gehabt und wusste ja, wo ich als neuer Rektor hingehe“, sagt Peter Washausen, Leiter der Erich-Fried-Schule. An seiner Hauptschule mit Sozialindex Sechs im Gladbecker Süden haben 79,8 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund. Die Migrationsquote, also wo ein Kind herkomme, „darf im Grunde kein Kriterium gelingender Schulausbildung sein“. Washausen: „Man muss auf die Sozialstruktur im Einzugsbereich der Schule schauen, das ist der Schlüssel.“ Bedeutet: Einer Ghettoisierung steuernd entgegenzuwirken, indem von Verwaltung und Politik auf eine Balance der dort lebenden Menschen geachtet werde und dort neben einkommensschwächeren Haushalten „auch Familien mit guten Einkommen, etwa über Neubaugebiete, angesiedelt werden“.

Genau dieses Ziel habe die Stadtspitze bei Neubaugebieten im Blick, sagt der Erste Beigeordnete und Schuldezernent Rainer Weichelt. Er verweist auf das Neubaugebiet Schlägel und Eisen, wo neben frei vermarktetem auch geförderter Wohnraum mit sozialgebundenen Mieten entstehe. Große freie Flächenressourcen gebe es in Gladbeck aber kaum noch, so dass sich gewachsene Stadtteilstrukturen, etwa im Stadtsüden oder in der Stadtmitte, schwer aufbrechen ließen. Um gegenzusteuern, habe die Ratspolitik schon 2013 beschlossen, an Grundschulen mit einer hohen Migrations- oder Inklusionsquote die Klassenstärken auf maximal 24 beziehungsweise 22 Kinder zu reduzieren, „um individuell besser fördern zu können“. Eine Praxis, die sich mit dem verstärkten Familienzuzug aus dem Ausland ab 2015/16 und zudem fehlendem Lehrpersonal nicht mehr habe umsetzen lassen.

„Nicht alle Kinder mit Migrationshintergrund sprechen schlecht Deutsch“

Lamberti-Rektorin Cäcilia Nagel mahnt, statt pauschalem Blick auf eine Migrantenquote stärker zu differenzieren: „Nicht alle Kinder mit Migrationshintergrund sprechen schlecht Deutsch. Es gibt Eltern, die hier sehr gut fördern.“ Und andererseits „urdeutsche“ Familien, wo die Kinder Sprachprobleme hätten. Cäcilia Nagel hat für die Lambertischule aufgrund der Sozialindex-Bewertung drei zusätzliche Lehrerstellen im Stellenplan erhalten, um die Sprachkompetenz (Deutsch als Zweitsprache) und die Integration stärker fördern zu können. Dies sei der richtige Weg, lobt die Schulleiterin, der aber nicht nur an ihrer Schule quasi in einer Sackgasse stecke, „weil ich die Stellen nicht mit Lehrerinnen und Lehrern besetzt bekomme“.

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Das Dilemma sieht auch Alrun ten Have, Leiterin der Ingeborg-Drewitz-Gesamtschule (Migrationsquote 62,5): „Was wir brauchen, ist mehr Personal, Personal und Personal. Denn wir können den Schülerinnen und Schüler sehr viel mehr beibringen, wenn 1:1-Betreuungsphasen möglich sind.“ Dies zeige sich in Klassen, wo neben den Lehrern im Unterricht schon Zusatzkräfte tätig sind, die dort unterstützen können, wo individuell Bedarf entsteht. Und mehr Sozialarbeit sei nicht nur in der Schule, sondern auch für die Unterstützung der Eltern wichtig. „Die ihrem Kind helfen wollen, aber selbst schon überfordert sind, wenn es darum geht, einen Antrag für das Schokoticket oder die Mensaverpflegung auszustellen“, so ten Have.

In den neuen Familiengrundschulzentren werden auch die Eltern unterstützt

Dass es wichtig ist, die Eltern mitzunehmen, da dann die Grundschulausbildung besser gelinge, sei wissenschaftlich und auch im Amt für Bildung und Erziehung unbestritten, sagt Schuldezernent Rainer Weichelt. Das Gladbecker Bündnis für Familie, Erziehung, Bildung, Zukunft als Zusammenschluss vieler gesellschaftlicher Gruppen bemühe sich seit 2005, die Situation für Familien in Gladbeck weiter zu verbessern. Aus diesem Grund sei Gladbeck auch als Modellkommune in das neue Projekt der Familienschulen 2021 miteingestiegen. Erste Familiengrundschulzentren wurden die Pestalozzi- und die Regenbogenschule, Mosaik- und Südparkschule werden folgen. In den Familienschulen soll die Unterstützung der Eltern fortgeführt werden, die schon in Kitas in Gladbeck angestoßen wurde, die als Familienzentren zertifiziert sind, damit die Vermittlung von Bildung besser gelingt. Hier gelte es von Seiten des Landes, weitere Ressourcen, vor allem Personal, zur Verfügung zu stellen, „damit die Sprachförderung möglichst früh ansetzen und gelingen kann“.