Düsseldorf/Essen. Ein Vorstoß von Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, stößt in NRW auf Kritik. SPD spricht von „rassistischer Debatte“.

Auf teils heftige Ablehnung stößt in NRW der Vorschlag, Quoten für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund einzuführen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, spricht sich für Migrationsquoten an Schulen aus. Integration gelinge nicht, wenn zum Beispiel in Klassen an Brennpunktschulen zu 95 Prozent nicht-deutsche Schüler vertreten seien. Wie hoch die Quote sein müsse, ließ Meidinger offen, allerdings nehmen nach seiner Ansicht ab einem Migrationsanteil in Klassen von 35 Prozent „die Leistungen überproportional“ ab. Maßnahmen, dies aufzulösen, seien dringend nötig.

Meidinger kritisiert die soziale Spaltung im Schulwesen. Er beklagt zudem einen mangelnden Respekt gegenüber Lehrerinnen vor allem an Brennpunktschulen sowie eine Zunahme von physischer und verbaler Gewalt. Probleme wie soziale Benachteiligung, Sprachschwierigkeiten, unterschiedliche kulturelle Hintergründe und Wertesysteme dürfe man nicht verschweigen.

Von einem Migrationshintergrund wird gesprochen, wenn die Person oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.

Der Lehrerverband NRW:

Unterstützung erhält Meidinger vom NRW-Lehrerverband. Eine konkrete Quote für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund will Landesverbands-Präsident Andreas Bartsch zwar nicht beziffern, klar sei aber: „Es macht keinen Sinn von Integration zu sprechen, wenn die Quote von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an einer Schule bei 90 Prozent und darüber liegt.“ Ziel sollte ein „gesundes Mischverhältnis“ sein.

Wichtig seien mehr Sprachförderung sowie eine stärkere Einbindung der Eltern in den Schulalltag. Bartsch: „In machen Familien wird gar nicht Deutsch gesprochen.“ Zudem müsse die „Werte- und Demokratie-Erziehung“ im Unterricht verstärkt werden, sagte Bartsch mit Blick auf die Silvesterkrawalle in NRW. „Auch für deutsche Jugendliche ist die Demokratie viel zu selbstverständlich geworden.“

Die SPD im Landtag:

Dilek Engin, schulpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, kritisiert Meidinger scharf: „Das letzte, was wir jetzt brauchen, ist eine rassistische Debatte an unseren Schulen. Leider haben die jüngsten Äußerungen des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands aber das Potenzial dazu.“

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Meidinger versuche die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zum Sündenbock für eine verfehlte Bildungspolitik zu machen. Die Probleme an unseren Schulen hätten andere Ursachen: „Ein eklatanter Lehrkräftemangel, marode Gebäude, überfüllte Klassen und aufgeblähte Lehrpläne, eine defizitäre digitale Infrastruktur und fehlende Ressourcen für einen echten Sozialindex. Das müssen wir alles endlich in den Griff bekommen, um für mehr Chancengleichheit zu sorgen.“

Die „Scheindebatte“ über Quoten diene der Ablenkung von den eigentlichen Problemen. Engin: „Ich frage mich allen Ernstes, in welcher Welt Herr Meidinger eigentlich lebt und was er glaubt, mit solchen Äußerungen zu bezwecken. So etwas schürt nur Ressentiments und das macht mich tief betroffen.“

Der Philologenverband NRW:

Der Vorschlag einer Migrationsquote an Schulen sei „unrealistisch und unpraktikabel“, kritisierte der Philologenverband NRW, der die Interessen der Lehrkräfte an Gymnasien und Gesamtschulen vertritt, Meidingers Vorstoß. „Will man Kindern und Jugendlichen mit oder ohne Migrationshintergrund kilometerweite Schulwege zumuten und ihre sozialen Bezüge zerstören, nur damit die Quoten erfüllt werden?“, fragt die Vorsitzende Sabine Mistler. „Das kann nicht der Weg sein.“

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Auch Mistler betont, dass für Integration gute Sprachkenntnisse sowie die Vermittlung grundlegender demokratischen Werte wichtige Voraussetzungen seien. „Hier sehen wir derzeit – unabhängig von allen Fragen rund um Migration und Integration – einen verstärkten Bedarf.“

Ein grundsätzliches Integrationsproblem erkennt Mistler nicht. „Die Vielfalt wird an den meisten Gymnasien und Gesamtschulen als bereichernd erlebt“, schildert sie. Dennoch seien die Herausforderungen für die Lehrkräfte enorm. Schulen benötigten mehr Personal, um Kindern und Jugendlichen, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist, die nötigen Sprachkenntnisse zu vermitteln. „Für die Bewältigung der Probleme, die sich zum Beispiel aus Fluchterfahrung, aber auch als Folge der Corona-Pandemie und den Schulschließungen ergeben“ seien Sozialpädagogen, entsprechend geschultes Personal sowie kleinere Lerngruppen nötig. Eine Migrationsquote sei aber weder umsetzbar noch pädagogisch angemessen.

Die Landesregierung:

NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) lässt sich auf die Quoten-Diskussion nicht ein. „Auch die Schulen mit einem größeren Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte leisten sehr gute Arbeit. Richtig ist aber auch: Es gibt insgesamt zu viele Schülerinnen und Schüler, die nicht gut genug lesen, schreiben, zuhören und rechnen können. Und Kinder mit Zuwanderungsgeschichte sind davon überdurchschnittlich stark betroffen“, sagte Feller dieser Redaktion.

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Die Regierung entwickele „einen umfassenden Ansatz“, um Grundschulen bei der Vermittlung der Kernkompetenzen zu unterstützen. Denkbar wäre etwa ein frühzeitiges Screening dieser Kompetenzen mit anschließenden Fördermaßnahmen und weiteren Überprüfungen der Lernfortschritte. Die Sprachförderung müsse schon in den Kitas beginnen. Feller und NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) arbeiteten daran, „die Kinder künftig noch besser auf den Schulbesuch vorzubereiten“.