Gladbeck. Der Kreis-Kämmerer will Kommunen bei der Kreisumlage durch Rücklagen helfen. Doch ein weiteres gigantisches Problem sorgt für Fassungslosigkeit.

In den Rathäusern im Kreis Recklinghausen, darunter in Gladbeck, gibt es für die Stadtspitze schlechte Nachrichten. Gerade erst ist der NRW-Stärkungspakt Stadtfinanzen ausgelaufen, der den Städten mit Hilfe von staatlichen Millionen-Zuschüssen, Steuererhöhungen und drastischen Sparmaßnahmen etwas Luft und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verschafft hat. Doch mittlerweile, sagt Kreisdirektor Roland Butz, werde keine Stadt in der Lage sein, einen ausgeglichenen Haushalt für das nächste Jahr vorzulegen. Er nannte im Kreistag Gründe, warum sich die finanzielle Lage noch deutlich verschärfen wird.

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Die Verdreifachung der Strom- und Gaspreise, 30- bis 40-prozentige Baukosten-Steigerungen oder das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zu den Abwassergebühren kosten die Kommunen zig Millionen Euro, die sie nicht auf der Rechnung hatten. Corona und Ukraine-Flüchtlinge schlagen zusätzlich zu Buche. „In den Städten ist Land unter“, so Butz am Montag (19. September) bei der Sitzung des Regionalparlamentes in Recklinghausen.

Kreis gibt Städten Planungssicherheit bis 2026

Landrat Bodo Klimpel und Kreisdirektor Roland Butz hatten im Kreistag keine guten Nachrichten für die Haushalte der kreisangehörigen Städte.
Landrat Bodo Klimpel und Kreisdirektor Roland Butz hatten im Kreistag keine guten Nachrichten für die Haushalte der kreisangehörigen Städte. © NN | Bauer

Dort stellte der Kreisdirektor den Fraktionen den Entwurf des Kreishaushalts 2023 vor. Der ist auch für die zehn kreisangehörigen Städte von immenser Bedeutung, weil sie die Arbeit des Kreises über diverse Umlagen zu mehr als einem Drittel mitfinanzieren. Die gute Nachricht: Der Kreis kann den Städten bis 2026 Planungssicherheit geben. Die Zahllasten sollen den angekündigten Rahmen nicht übersteigen. Die schlechte: Der Kreis wird dafür tief in seine Rücklagen greifen und bis einschließlich 2026 über 50 Millionen Euro an die Städte ausschütten müssen, um diese Zusage einzuhalten.

Kreis plant Haushalt mit 1,34 Milliarden Euro

Der Haushalt 2023 des Kreises Recklinghausen, der jetzt im Entwurf vorliegt, hat ein Volumen von 1,34 Milliarden Euro (2022: 1,31 Mrd. Euro). 71,6 Prozent des Haushalts (960 Millionen Euro) sind Ausgaben im Sozialbereich (u. a. Hartz IV, Grundsicherung im Alter, Landschaftsverband). Personalkosten als zweitgrößter Ausgabenblock schlagen mit 141,08 Millionen Euro zu Buche.

Die zehn kreisangehörigen Städte sind mit 509,46 Millionen Euro (2022: 473,36 Mio. Euro) am Kreisetat beteiligt (u. a. Kreisumlage und ÖPNV-Umlage). Sie finanzieren den Kreis damit zu 38 Prozent. Die Kostenerstattungen durch Land und Bund (zum Beispiel für Leistungen des Jobcenters) belaufen sich auf 650,73 Millionen Euro. 42,52 Millionen Euro kann der Kreis an Schlüsselzuweisungen des Landes NRW einplanen.

Allerdings kommt der Kreis selbst zunehmend in Bedrängnis. Der Grund ist die Umlage, die der Kreis an den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) zu zahlen hat. Laut mittelfristiger Finanzplanung des LWL soll der Beitrag des Kreises Recklinghausen von 214,9 Millionen Euro (2023) auf 280,1 Millionen Euro (2026) steigen. Allein diese Entwicklung, so Butz, würde das Eigenkapital des Kreises aufzehren. Wenn keine Reserven mehr zur Verfügung stehen, müssten die kreisangehörigen Städte über die Kreisumlage die Last tragen. Aber wie? Mit der Aufnahme weiterer Schulden oder erneuten Steuererhöhungen für Bürger und Betriebe?

Landrat hält eine Zahllast dieser Größenordnung für „nicht akzeptabel“

Im Kreishaus herrschte bei den Abgeordneten aus den Kreiskommunen sichtlich Fassungslosigkeit. Auch Landrat Bodo Klimpel hält eine Steigerung der Zahllast in dieser Größenordnung für „nicht akzeptabel“. Für die Städte sei es eine unzumutbare Mehrbelastung. „Die Städte stehen mit dem Rücken zur Wand“, betonte er in der Kreistagssitzung. Der Grund, warum beim LWL die Kosten explodieren, liegt vor allem in der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, wie LWL-Verwaltungschef Dr. Georg Lunemann dem Kreistag am Montag berichtete. Die Eingliederungshilfe verschlingt 2023 mehr als drei Viertel des vier Milliarden Euro schweren LWL-Haushalts. In anderen Regionen Deutschlands finanzieren die Bundesländer zumindest teilweise diese Aufgabe; nicht so in NRW.

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In einer gemeinsamen Resolution fordern der Kreis und seine Städte deshalb von Bund und Land eine „gerechtere Verteilung“ der Finanzverantwortung. Die Kommunen müssten zwar alles bezahlen, hätten jedoch keine Möglichkeit, steuernd einzugreifen. Im Kreistag wurde deshalb auch die Forderung nach einer Debatte über die Standards der Eingliederungshilfe laut.

Kreisdirektor sieht finanziell „sehr schwierige Jahre“ für die Kreiskommunen

Nach Worten von Kreisdirektor Roland Butz liegen „sehr schwierige Jahre“ vor dem Kreis und seinen Städten. Dass für die kommunalen Altschulden nach wie vor keine Lösung in NRW in Sicht sei, sei ein weiteres schweres Zukunftsrisiko. Die zehn Städte des Kreises sind allein bei den kurzfristigen Kassenkrediten mit mehr als 1,4 Milliarden Euro verschuldet. Die aktuell steigenden Zinsen sind für jeden Kämmerer eine Horrorvorstellung.