Gladbeck. Fahrradhändler und Kundschaft erleben derzeit eine Durststrecke, die sich hinziehen könnte. Die Experten kennen viele Ursachen für das Problem.
„Es ist eine anstrengende Zeit – für Kunden und für Händler.“ Das sagte Markus Mischke, Inhaber des Zweirad-Centers Kleine-Gung in Gladbeck, vor gut einem Jahr gegenüber der WAZ. Wie ist es heute um die Fahrradbranche bestellt, in einer Zeit, in der nicht nur nach wie vor die Corona-Pandemie und der Klimawandel unser Leben bestimmen, sondern ein Krieg mitten in Europa und damit einhergehend eine drohende Energiekrise mit steigenden Preisen hinzugekommen sind?
Eigentlich müsste die Fahrradbranche jubeln, so viele Menschen sind mittlerweile – spätestens nach dem Anstieg der Benzinpreise – auf den Drahtesel umgestiegen. Das Problem: Die Händler können ihre Kundschaft nicht zeitnah bedienen. Nach wie vor gibt es Engpässe – das gilt gleichermaßen für die Neuware und auch in Bezug auf die Beschaffung von Ersatzteilen.
Gladbecker Fachmann: „Die Kunden müssen auf alles warten!“
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„Die Kunden müssen auf alles warten“, berichtet Markus Mischke – seien dies Reifen, Schalter oder Bremsbeläge. Die meisten in seiner Klientel hätten Verständnis für die Situation. Die Anforderungen an das Zweirad seien enorm gestiegen, erklärt Mischke, „mit der Zunahme der Pedelecs ist viel mehr Elektronik im Spiel. Heute sind anstatt sieben oder acht 30 Gänge angesagt.“
Wer jetzt etwa glaubt, die Klientel habe sich mit der Zunahme von E-Bikes altersmäßig nach oben verschoben, liegt ziemlich falsch. „Der Banker im Anzug fährt mittlerweile auch Pedelec, weil er nicht verschwitzt im Job ankommen möchte“, hat Markus Mischke festgestellt. Der Stellenwert des Fahrrads habe sich verschoben. Aber: je mehr Elektronik, umso größer das Beschaffungsproblem.
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„Selbstverständlich versuchen wir, den Kunden auf die Straße zu bringen, aber Corona ist ein globales Problem, das wir von hier aus nicht allein werden lösen können“, meint der Fachmann. Zwei Jahre mindestens, so seine Prognose, werde es dauern, bis wieder halbwegs Normalität eingekehrt sei.
Ähnlich sieht dies Peter Happe, Chef im Familienbetrieb Zweirad Happe in Zweckel. Auch er geht davon aus, dass die Durststrecke noch entsprechend länger andauern werde. „Überall ist Sand im Getriebe“, stellt Happe kritisch fest. Zeitweise hätten seine Mitarbeiter sehr wenig zu tun, weil die entsprechenden Ersatzteile nicht zu beschaffen seien. Es sei überhaupt nicht vorhersehbar, wie es weitergehe. „Wann ist der Krieg zu Ende?“, so Peter Happe mit Blick auf die Sanktionen – eine Frage, die ihm niemand beantworten kann. Der Experte stellt fest: „Wir verbringen viel Zeit mit der Suche nach Lieferanten.“
Blick auf die Entwicklung
Laut Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (ifo) hat sich die Situation für die Fahrradbranche, wie im gesamten Einzelhandel, Anfang 2022 entspannt, stellen Fachleute fest. Waren im vergangenen Jahr noch mehr als 80 Prozent der Händler von Engpässen betroffen, so waren dies im Januar 2022 rund 57 Prozent.Doch die Entspannung im Januar sei nicht nachhaltig gewesen, so das ifo Institut. Die Zahl im Februar der von Engpässen betroffenen Händler in der Branche ist wieder auf über 76 Prozent angestiegen.
Hier sieht Peter Happe ein Hauptproblem, nämlich das der Abhängigkeit allein von einem Elektronikhersteller. Auch der Gladbecker Geschäftsmann erfährt viel Verständnis von seiner Kundschaft für die deutlichen Engpässe. Aber trotzdem könne ihn die Situation nicht zufriedenstellen, denn viele Interessenten seien auch abgesprungen. Peter Happe blickt eher skeptisch in die Zukunft: „Wir werden zunächst erst einmal mit Bestellrückständen zu tun haben. Das wird seine Zeit brauchen.“
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Jörg Lindemann, Inhaber des gleichnamigen Radsportservices an der Hegestraße, macht die gleichen Erfahrungen wie seine Kollegen. „Ich versuche meinen Kunden zu helfen, so gut es geht, aber solange die beladenen Container in den Häfen liegenbleiben, kommen wir nicht an die nötigen Ersatzteile“, sagt der Experte. Deshalb bitte er seine Kundschaft schon mal, sich selbst um die Beschaffung der benötigten Komponenten zu kümmern. Lindemann: „Die baue ich dann gerne ein.“ Wer eine ganz bestimmte Vorstellung von seinem neuen Fahrrad hat, dem könne nur schwerlich geholfen werden. „Der muss sich dann entweder von seinem Traumrad verabschieden oder warten“, sagt Lindemann. Und das könne bis ins kommende Jahr dauern.