Gladbeck. Die deutsche Sprache verstehen viele ukrainische Flüchtlinge als Schlüssel zur Integration. Bei der VHS Gladbeck drücken sie die Schulbank.
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489 Flüchtlinge aus der Ukraine leben derzeit – Stand: 15. Juli – laut Stadtverwaltung in Gladbeck. In dieser, für die allermeisten fremden Stadt, versuchen sie sich im deutschen Alltag einzurichten. Eine Wohnung und Schulunterricht für die Kinder sind da wesentliche Elemente. Und die deutsche Sprache, um sich verständigen und integrieren zu können. Vokabeln, Redewendungen und Grammatik lernen die Kriegsflüchtlinge bei der Volkshochschule Gladbeck. Sie hat eigens für Erwachsene aus der Ukraine Kurse eingerichtet.
„In der vorigen Woche haben wir 474 Geflüchtete aus der Ukraine registriert“, sagt Rathaus-Sprecher David Hennig, „es kommen noch immer ein paar pro Woche dazu, aber hin und wieder haben wir auch Abgänge.“ Ob diese Menschen, die Gladbeck verlassen, in andere Städte Deutschlands umziehen oder ob sie zurückkehren in ihre Heimat – „das wissen wir nicht“, so Hennig. Aber wer hierbleibt, der möchte möglichst bald Fuß fassen. Und dazu gehören eben auch Sprachkenntnisse, finden Flüchtlinge aus der Ukraine.
In den Deutschkursen der VHS Gladbeck lernen ukrainische Flüchtlinge die Sprache für den alltäglichen Gebrauch
Tatjana Krallmann bringt ihnen erste Worte und Grundwissen in der Grammatik bei. Die 68-Jährige sagt über sich: „Ich komme aus Zentral-Russland, lebe aber schon seit mehr als 40 Jahren in Deutschland.“ Seit 30 Jahren unterrichtet Tatjana Krallmann an der VHS: „Angefangen habe ich mit Russisch-Kursen, dann habe ich umgesattelt auf Deutsch als Fremdsprache.“ Jetzt steckt sie seit März mit Menschen aus der Ukraine die Nase in Lehrbücher.
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„Wir haben extra für Ukrainer Kurse eingerichtet“, betont Silvia Gómez, „mit 50 Stunden im gesamten Kurs.“ Dozentin Krallmann ergänzt: „Zweimal in der Woche ist Unterricht.“ Genau genommen muss es „Ukrainerinnen“ – also Femininum – heißen, denn Männer sind rar. Nur unter ganz wenigen Voraussetzungen dürfen sie ihre Heimat verlassen, werden sie dort doch zur Verteidigung ihres Vaterlands gebraucht. So berichtet Krallmann denn auch: „In einer Gruppe bin ich mit 20 Leuten angefangen, darunter waren zwei Männer.“ Einige seien abgesprungen, nun sind’s in diesem Kurs etwa 15 Flüchtlinge.
69, 52, 30, 21 Jahre: „Mehr Jüngere mit guter Schul- und Berufsbildung. Viele haben studiert. Eine Frau ist Textilingenieurin, eine andere Managerin. Fast alle sind gut qualifiziert.“ Einige sprechen Englisch, Russisch-Kenntnisse sind eigentlich Standard. Apropos Russland, der Kriegsgegner: Ausgerechnet die Nation von Fjodor Dostojewski, Alexander Puschkin, Leo Tolstoi und Anton Tschechow ist die Heimat der Dozentin. Führt dieser Hintergrund womöglich zu Spannungen? Krallmann: „Angesichts der Tatsache, dass ich schon Jahrzehnte in Deutschland lebe, spielt meine Herkunft keine Rolle. Die Menschen hier in den Kursen sind alles intelligente Leute. Was wir hier machen, hat nichts mit Politik zu tun.“
Neue VHS-Kurse starten
Die Volkshochschule (VHS) Gladbeck hat fünf Deutsch-Kurse im Programm: drei vormittags sowie jeweils einer nachmittags und abends. Silvia Gómez, in der Bildungsstätte Leiterin des Fachbereichs für Sprachen und Integration: „Insgesamt haben wir in der Stadt drei Anbieter. Außer der VHS führen auch Nestor und das Forum Bildungszentrum Deutschkurse für Flüchtlinge durch.“Weitere Angebote starten bei der Volkshochschule nach den Herbstferien am 17. Oktober. Weitere Informationen: 0 20 43/99 24 55.
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Wohl aber mit Wissensdurst. Gómez stellt fest: „Die meisten in unseren Kursen haben eine sehr hohe Motivation und lernen schnell Deutsch.“ Sich in alltäglichen Situationen verständigen zu können, darauf zielen die Kriegsflüchtlinge ab – im Supermarkt, in Behörden und Schulen, beim Arzt. Doch Krallmann legt auch Wert auf Grammatik, denn „wenn man etwas einmal falsch gelernt hat, sitzt es fest im Kopf“. Alles was sie brauchen, erfahren die Flüchtlinge bei der 68-Jährigen, sie sollen unter anderem auch in die Lage versetzt werden, Briefe aus dem Rathaus lesen, die Regeln der Müllentsorgung verstehen und bei der Wohnungssuche Gespräche führen zu können.
Handlungsorientierten Unterricht, so nennen es die VHS-Expertinnen. Dabei fällt Gómez auf: „Die Teilnehmer sitzen brav da und hören zu. Das ist der totale Frontal-Unterricht – ganz anders als sonst in Europa üblich.“ Mit einem Deutschtest für Zuwanderer schließt der Kurs. „B1 ist erforderlich für eine Einbürgerung“, erklärt die Fachbereichsleiterin. Zur Einordnung schiebt 43-jährige gebürtige Spanierin hinterher: „Man könnte die Einstufung mit einem Lauf vergleichen: A1 wäre ein Kilometer, A2 sind fünf Kilometer und B1 zehn Kilometer.“
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Etliche Flüchtlinge wollen möglichst schnell zurück in die Ukraine, weiß Krallmann. Doch auch: „Viele junge Frauen möchten in Deutschland studieren.“ Was beide Gruppen vereint: „Sie haben sich sofort, aber wirklich sofort, für Deutschkurse angemeldet.“ Das sei ein Punkt, in dem sich diese Neuankömmlinge von denen aus der Flüchtlingswelle 2015 unterscheiden, finden die Expertinnen. „Ich kann feststellen, dass damals sehr viele junge Männer angekommen sind, die nicht so willig waren“, erinnert sich Gómez. Und noch etwas sei im Vergleich zur aktuellen Situation, einmal abgesehen vom kulturellen Kontext, grundsätzlich anders: „Seinerzeit gab es viele Analphabeten, die noch nie einen Stift gehalten haben und keine Ausbildung hatten.“
Die ukrainischen Menschen, die in der VHS die Schulbank drücken, „bringen hingegen alles mit“. Bildung, Interesse, Wille und Ehrgeiz, das ebne den Weg, schnell Teil der Gladbecker Gesellschaft zu werden. Gómez und Krallmann sind überzeugt: Die Flüchtlinge aus der Ukraine sind auf dem besten Wege, sich zu integrieren.