Gladbeck. Sozialdezernent Rainer Weichelt kritisiert das reformierte Gesetz zum Unterhaltsvorschuss. Städte wie Gladbeck seien finanziell stärker belastet.

Für aktuell 947 Kinder in Gladbeck geht die Allgemeinheit in Vorschuss und zahlt 2,67 Millionen Euro Unterhalt, weil ein Elternteil nicht seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommt. Die gesetzlich geregelte Solidarleistung soll Kinderarmut vermeiden und den Lebensunterhalt bei Alleinerziehung, in der Regel durch die Mutter, sichern. Der Kostenanteil der Stadt ist 2021 weiter gestiegen. Das kritisiert Sozialdezernent Rainer Weichelt. Das Land NRW habe sein Versprechen nicht eingehalten, „dass die Kommunen beim Unterhaltsvorschuss entlastet werden“. Er fordert eine klare Reform durch die Landespolitik und nennt schon praktizierte Vorbilder.

Im Sozialausschuss informierte die im Rathaus zuständige Sachgebietsleiterin Unterhaltsvorschuss, Stefanie Rade, die Lokalpolitik über die aktuelle Entwicklung der Problematik. Die Belastungen für Gladbeck hätten sich in den zurückliegenden fünf Jahren weiter summierten sich nun im Vergleich auf jährliche Mehrkosten von fast einer halben Million Euro (494.453 €). Ein deutlicher Widerspruch zu den Versprechungen des Landes 2016, dass die Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes die Kommunen nicht einen Cent mehr kosten sollte.

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Kinder bis zum 18. Lebensjahr erhalten in Gladbeck Unterhaltsvorschuss

Zur Erinnerung: Seit 2017 haben Kinder bis zum 18. Lebensjahr Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, zuvor lag die Altersgrenze beim zwölften Lebensjahr. Die öffentliche Hand greift somit jetzt länger überwiegend alleinerziehenden Müttern durch den Vorschuss des Unterhaltes unter die Arme, um dann das Geld bei den Vätern einzufordern. Mit der Ausweitung des Leistungsanspruches um sechs Jahre ist auch die Kostenübernahme neu geregelt worden. Die Mehrbelastung der Kommunen sollte durch eine höhere Beteiligung von Bund und Land abgefedert werden. Die Kommune trägt seitdem 30 Prozent (bis 2017 waren es 50 Prozent) des Unterhaltsvorschusses. Das Land NRW erhöhte seinen Anteil von zuvor zehn auf 30 Prozent, nur der Kostenanteil des Bundes bleibt bei 40 Prozent.

Die Stadt Gladbeck zahlt den Unterhaltsvorschuss aus und versucht dann, diese vorgestreckten Gelder bei den säumigen Vätern (oder Müttern) wieder einzutreiben. Für den Lohn der Mühe und den Personal- sowie Sachaufwand im Rathaus, darf die Kommune 50 Prozent der erzielten Rückzahlungen behalten. Diese Regelung betrifft die Altfälle bis Juli 2019. Denn für die Einnahmen bei den Neufällen (ab 1.7.2019), die durch die Alterausweitung bis 18 Jahre hinzugekommenen sind, ist das Landesamt für Finanzen zuständig. Die höheren Anteile bei den Vorschusszahlungen durch Bund und Land, sorgen unterm Strich aber für keine Entlastung im Gladbecker Haushalt, weil die Kommune bei den vielen hinzugekommenen Neufällen nicht an den erzielten Rückzahlungen beteiligt wird.

Um den vorgestreckten Unterhalt zurück zu holen, hat die Stadt das Personal verstärkt

Vorschuss wird in drei Altersstufen gezahlt

Der Mindestunterhalt wird an die allgemeine Kostensteigerung angepasst und ist nach drei Altersstufen festgesetzt. Er stieg je um rund zehn Euro und betrug ab Januar 2021 für Kinder von 0 bis 5 Jahre 393 Euro, für Kinder von 6 bis 11 Jahren 451 Euro und von 12 bis 18. Jahren 528 Euro.

Durch die Anrechnung des Kindergeldes für ein Kind in Höhe von 219 Euro ergeben sich die Unterhaltsvorschussbeträge für 2021 von 174 Euro für die erste Altersstufe (213 unterstützte Kinder in Gladbeck); 232 Euro für die zweite Stufe (362 Kinder) und 309 Euro für die dritte Altersstufe (352 Kinder).

Marcel Hädrich, Abteilungsleiter Existenzsicherung, rechnet es an einem einfachen Beispiel vor: „Geht die öffentliche Hand mit 100 Euro in den Unterhaltsvorschuss, so ist die Stadt daran bei jedem Kind aus Gladbeck mit 30 Euro beteiligt. Wenn es gelingt, dass der säumige Vater die 100 Euro zurückzahlt, darf Gladbeck bei den Altfällen 50 Euro behalten.“ Treibe hingegen das bei den Neufällen zuständige Landesamt das vorgestreckte Geld wieder ein, „erhält Gladbeck trotz geleistetem Anteil keinen Cent Erstattung zurück“. Das habe in den vergangenen fünf Jahren zu einer Mehrbelastung von 494.453 Euro geführt. Hädrich: „Für eine Stadt wie Gladbeck in der Haushaltssicherung ist das viel Geld, mit dem zum Beispiel Personal finanziert werden könnte.“

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Denn um die Rückholquote der vorgeschossenen Unterhaltszahlungen zu erhöhen, hat Gladbeck personell den Fachbereich um drei Stellen verstärkt. Drei Mitarbeitende sind für die sogenannte Unterhaltsheranziehung zuständig, zwei für den Bereich Leistungsrecht. Mit erfolgreicher Arbeit: Im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Rückholquote von 9,95 Prozent in 2021 auf 19,78 Prozent (2020: 15,15 Prozent) weiter angestiegen. Um die vom Land versprochene Entlastung beim Unterhaltsvorschuss zu bewirken, schlägt Sozialdezernent Rainer Weichelt die Modelle vor, die bereits in Bayern und Schleswig-Holsten praktiziert werden. „Dort werden die Kommunen gar nicht an den Ausgaben beim Unterhaltsvorschuss beteiligt, was für Gladbeck eine deutliche finanzielle Entlastung bedeuten würde.“