Gladbeck. Ein Bewohner (80) des Luisenhofs in Gladbeck stürzt aus der dritten Etage und stirbt. Das Geschehen wirft viele Fragen auf. Ermittlungen laufen.
Der Anruf erreichte Heike Kretzer an jenem Tag Mitte September 2021 in der Nacht, gegen 1.30 Uhr. Die 56-Jährige aus Gladbeck erzählt: „Eine Schwester teilte mir mit, dass mein Vater gestorben sei. Sie betreue eigentlich eine andere Station, aber der zuständige Pfleger sei nicht in der Lage, mit mir zu sprechen.“ Denn der 80-jährige Alfred S. (Name von der Redaktion geändert) war nicht etwa leblos in seinem Bett gefunden worden. Der Senior war aus dem dritten Stock des Luisenhofs auf den Parkplatz gestürzt. „Er starb auf der Stelle“, so seine Tochter. Dieser Fall beschäftigt nun die Staatsanwaltschaft Essen, denn die Umstände sind ungeklärt. Was ist geschehen?
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Ihr demenzkranker Vater, so Heike Kretzer, sei auf das Fensterbrett seines Zimmers in der Einrichtung geklettert und hinausgefallen. Wieso war das Fenster nicht abgeschlossen? Gab es überhaupt die Möglichkeit, es zu verriegeln? „Mein Mann hat gesagt, dass dieses Drehkippfenster nicht abschließbar sei.“ Heike Kretzer fragt: „Hat jemand kontrolliert, ob das Fenster versperrt war?“ Jedenfalls habe es später offengestanden.
Die Tochter des 80-Jährigen: „Eine Mitbewohner hat wohl gesehen, wie er sich noch am Fensterbrett festgeklammert hat“
Ob der 80-Jährige sich womöglich das Leben nehmen wollte? Von Suizid sei auch die Rede gewesen, so Heike Kretzer. Aber eine Beobachtung widerlege diese Theorie: „Tatsache ist, dass eine Mitbewohnerin wohl gesehen hat, wie er sich erst noch am Fensterbrett festgeklammert hat.“
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Alfred S. sei es an diesem Wochenende 12./13. September gesundheitlich nicht gut gegangen. Die 56-Jährige erinnert sich: „Mein Vater ist vormittags weggelaufen. Er soll den Seiteneingang genutzt haben. Im Innenhof ist er gestürzt.“ Der 80-Jährige sei von einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht worden. „Mein Vater hatte eine offene Platzwunde am Kopf“, schildert Kretzer. Im Krankenhaus habe er nicht gewusst, „wo er ist“. Doch der 80-Jährige konnte noch am selben Tag in den Luisenhof zurückkehren: „Die Pflegekräfte wussten über den Zustand meines Vaters Bescheid.“ Die Zimmertür sollte daher geöffnet bleiben, damit man den Vater im Blick habe.
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Die Tochter entsinnt sich auch: „Er war völlig verwirrt. Am Todestag sah er Tiere, die überhaupt nicht da waren.“ Das sei bereits Ende 2020 schon der Fall gewesen. Alfred S. sei schwer demenzkrank, halbseitig blind und taub gewesen. Außerdem habe er Herzprobleme gehabt. Heike Kretzer beschreibt die Abläufe im Luisenhof: „Anfang 2021 kam mein Vater aus einer Reha ins Pflegeheim.
„Als Angehörige muss ich mich auf die Bewertung der Fachleute verlassen können“
Im Demenzflügel des Luisenhofs war ein Platz frei.“ Dort sei Alfred S. zwischen Januar und Juli 2021 untergebracht gewesen. Dann sei er, eine weitere Ungereimtheit, ins Haus Charlotte verlegt worden: „Uns wurde gesagt: Ihr Vater ist ja gar nicht so dement, damit kommen die Pflegekräfte im Haus Charlotte zurecht.“ Die Tochter betont: „Als Angehörige muss ich mich auf die Bewertung der Fachleute verlassen können.“
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Aber der Hintergrund könnte ein anderer sein: „Im Haus Luise gab es eine Mitpatientin, die überall ihre Exkremente verteilt hat, in die mein fast blinder Vater hineingetreten ist oder -gefasst hat. Der Kot wurde nicht ordentlich entsorgt, es wurde nicht sorgfältig gesäubert.“ Dessen Familie habe diese Vorkommnisse bei der Heimleitung angesprochen – es folgte die Verlegung. Randbemerkung: „Es sollte für die Unterbringung in Haus Charlotte ein neuer Vertrag abgeschlossen werden – der ist nie zustande gekommen.“
Wann hat die Nachtschicht in der Todesnacht ihre Runden gemacht? Hat die Pflegekraft das geöffnete Fenster bemerkt? War das Personal vielleicht unterbesetzt? Wurde der gesetzlichen Schutzpflicht gegenüber Demenzkranken Genüge getan? Fragen, auf die Heike Kretzer Antworten haben möchte. Schon kurz nach dem Tode des Vaters – an der Unglücksstelle lag noch dessen Hörgerät – sei ihr der Verdacht gekommen, „dass da etwas nicht stimmt“: „Ich habe Anzeige gegen Unbekannt erstattet.“
Es steht der Tatvorwurf „fahrlässige Tötung“ im Raum
Die Ermittlungen laufen bei der Staatsanwaltschaft Essen. Oberstaatsanwältin Anette Milk: „In dem genannten Verfahren wird den Vorwürfen einer Angehörigen nachgegangen, dass der Tod eines Pflegeheim-Bewohners hätte verhindert werden können. Der Bewohner soll durch einen Fenstersturz zu Tode gekommen sein. Der Tatvorwurf lautet auf ,fahrlässige Tötung’ (durch Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen). Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.“ Zu Einzelheiten wollte sich die Staatsanwaltschaft derzeit nicht äußern.
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Heike Kretzer betont, dass sie niemanden des Pflegepersonals anprangern wolle: „Die Kräfte waren wirklich mega-nett.“ Aber: „Was meinem Vater zugestoßen ist, darf nie wieder passieren.“
Betreiberin des Luisenhofs signalisiert Kooperationswillen
Betreiberin des Luisenhofs in Gladbeck ist die Charleston Holding mit Sitz in Füssen. „Aufgrund des laufenden staatsanwaltlichen Verfahrens“, so Sprecher Jürgen Herres, sehe sich das Unternehmen nicht in der Lage, „zum tragischen Geschehen selbst oder zu möglicherweise ermittlungsrelevanten Themen öffentlich Stellung zu nehmen“.
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Er unterstreicht jedoch den Kooperationswillen: „Wir sind aber überzeugt, dass die Ermittlungen Erkenntnisse ans Licht bringen, so dass keine Fragezeichen bleiben. Auch vor dem Hintergrund, dass Pflegekräfte und Mitpatienten sehr betroffen waren und sind.“
Der Luisenhof in Gladbeck wurde Anfang 2007 eröffnet
Der Luisenhof wurde am 1. Februar 2007 eröffnet. In der Einrichtung leben aktuell 101 Menschen, verteilt auf die Häuser Luise (Demenzbetreuung) und Haus Charlotte. Wie groß der Personalstand der reinen Pflegekräfte ist, sagt Herres nicht. Nur so viel: „Es sind insgesamt mehr Kräfte in der Einrichtung beschäftigt, als gemäß Personalschlüssel notwendig wäre.“ Für den Luisenhof lasse sich zudem eine deutlich höhere Fachkraftquote vorweisen, als diese durch die heimrechtlichen Regelungen und durch die Landesverbände der Pflegekassen gefordert werden.
Charleston-Sprecher: „Personell liegen wir mehr als zehn Prozent über den Anforderungen“
Herres weist darauf hin: „Es gibt keine feste Zahl. Der derzeitige Richtwert sagt: 2,5 Pflegekräfte pro Bewohner. Auf den reinen Pflegedienst bezogen liegen wir durchgehend mehr als zehn Prozent über den Anforderungen.“