Gladbeck. Fast 20 Prozent der berechtigten Kinder haben 2020 in Gladbeck den Vorsorgetermin beim Kinderarzt versäumt. Das Jugendamt nennt Gründe.

Genau 740 Vorsorgeuntersuchungen für Gladbecker Kinder sind im Vorjahr nicht wie vorgesehen wahrgenommen worden. Statistisch gesehen hat so im ersten Coronajahr 2020 jedes fünfte Kind einen wichtigen Termin für die U-Untersuchung verpasst, die den altersgemäßen Entwicklungsstand und die Gesundheit des Kindes untersucht. Ein neuer Negativrekord im Statistikvergleich der vergangenen zehn Jahre.

+++ Hier gibt es mehr Artikel, Bilder und Videos aus Gladbeck. +++

Christine Hellebrand, die Leiterin des Amtes für Jugend und Familie, appelliert, „die Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen und verpasste Termine schnell nachzuholen“. Denn je frühzeitiger die Kinderärztin oder der Kinderarzt bei einer Fehlentwicklung eingreifen könne, „umso besser“. Untersucht wird die körperliche, geistige und soziale Entwicklung des Kindes. „Und die Untersuchungen kosten die Eltern nichts.“ Sie erhalten das gelbe Kinderuntersuchungsheft bei der Geburt des Kindes zur weiteren Vorlage bei einem Kinder - und Jugendarzt.

Kinderärzte haben in Nordrhein-Westfalen eine Meldepflicht

Christine Hellebrand, Leiterin des Gladbecker Amts für Jugend und Familie.
Christine Hellebrand, Leiterin des Gladbecker Amts für Jugend und Familie. © FUNKE Foto Services | Philipp Nesbach

Eine gesetzliche Pflicht, die Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen, gibt es letztlich nicht. Allerdings besteht in NRW für Kinderärzte eine Meldepflicht, dass die vorgesehene Vorsorgeuntersuchung eingehalten wurde. Die zentrale Stelle zur Erfassung ist das Landeszentrum Gesundheit Nordrhein-Westfalen, das zunächst Eltern erinnert, wenn der Termin verpasst wurde. Passiert vier Wochen weiter nichts, wird das Jugendamt der Stadt eingeschaltet. „Wir erinnern die Eltern dann erneut, die U-Untersuchung wahrzunehmen“, informiert Wolfgang Schäfer weiter. Er leitet im Rathaus den Fachbereich „Frühe Hilfen“, über den auch die Begrüßungsbesuche nach der Geburt eines Kindes organisiert werden, um junge Familien zu beglückwünschen und auch über Unterstützungsangebote zu informieren. Das Landeszentrum erfasst alle Früherkennungsuntersuchungen mit dem Übergang vom Baby zum Kleinkind ab U5 bis U9, „für Kinder im Alter zwischen sechs Monaten bis fünfeinhalb Jahren, also bis vor dem Schuleintritt“, so Schäfer. Die ersten Untersuchungen des Babys erfolgten im Krankenhaus, in den Tagen nach der Geburt.

Auch interessant

Die Statistik der Stadt Gladbeck zeigt, dass seit 2010 zunehmend mehr Eltern die U-Untersuchungen verpassen und erinnert werden müssen. Vor zehn Jahren waren es nur etwa sechs Prozent der berechtigten Kinder, für die der Untersuchungstermin versäumt wurde. Die Anzahl erhöhte sich bis 2015 langsam auf rund 10 Prozent, um dann ab 2016 plötzlich bis auf 17 Prozent empor zu schnellen. Seither bewegt sich der Anteil auf einem Wert zwischen 15 und 16 Prozent mit dem erneut deutlichen Ausschlag nach oben im Vorjahr um fünf auf 19,70 Prozent. Wolfgang Schäfer sieht zwei Gründe für die auffälligen Veränderungen. Vor etwa fünf Jahren seien die Geburtenzahlen wieder in Gladbeck angestiegen und im Jahr 2016 hätten die Flüchtlingsbewegung und EU-Binnenwanderung viele Familien mit jungen Kindern nach Gladbeck gebracht. „Aus Ländern, wo es kein Vorsorgeuntersuchungssystem für Kinder wie bei uns gibt, so dass die Eltern es nicht kennen und erst darüber informiert werden müssen“, so Schäfer.

Die Coronapandemie hat viele Untersuchungstermine verhindert

Im Vorjahr habe dann ganz deutlich auch die Coronapandemie dafür gesorgt, dass U-Untersuchungen nicht erfolgt seien. „Weil auch Kinderarztpraxen geschlossen waren oder durch die verschärften Hygiene- und Schutzvorschriften weniger Patienten täglich behandelt werden konnten“, erklärt Wolfgang Schäfer weiter. Hinzu gekommen sei auch, „dass es in Familien mit Kindern einige Coronaerkrankungen und Quarantänen gegeben habe, so dass Termine verpasst wurden“.

Christine Hellebrand und Wolfgang Schäfer sind über den deutlichen Anstieg der versäumten Vorsorgeuntersuchungen letztlich aber nicht beunruhigt. Denn die Erfahrung zeige, dass, bis auf ganz wenige Ausnahmen, nach Erinnerung des Jugendamtes die U-Termine nachgeholt würden. „Denn die Eltern haben doch selbst hohes Interesse, dass es ihrem Kind gut geht.“