Gelsenkirchen. Wenn es um das Wohl des Ruhrgebiets geht, versteht Michael Groß (58) keinen Spaß. Der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Marl fordert mehr finanzielle und strukturelle Unterstützung für das Ruhrgebiet. Im WAZ-Interview äußert Groß sich unter anderem über die “gebückte Verteidigungshaltung“ der Region.

Michael Groß (58) ist Sozialdemokrat. Der Marler sitzt seit der Wahl 2009 für seine Partei im Deutschen Bundestag und koordiniert in Berlin die Arbeit der SPD-Abgeordneten aus dem Ruhrgebiet. „Vertrauen, Information und Transparenz sind für mich die Basis einer guten Arbeit“, sagt der Familienvater und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um Entwicklungen des Ruhrgebietes und der Emscher-Lippe-Region geht. Um den Kontakt zur kommunalen Basis zu halten, leitet Groß den SPD-Stadtverband in seiner Heimatstadt. Das garantiere Erdung, sagt er.

Herr Groß, Sie sind der Sprecher SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet. Wie steht es um das Revier, wie steht es um die Emscher-Lippe-Region, zu der auch Gelsenkirchen zählt?

Michael Groß: Finanziell nicht gut, das steht fest. Mängel und Versäumnisse werden zurzeit deutlich und sichtbar. Die große Not legt strukturelle Schwächen offen. Das geht vielen Kommunen im Ruhrgebiet so. Die einen können das noch besser kaschieren als andere.

Manche sagen, die Städte seien finanziell am Ende.

Groß: Ja, das höre ich auch immer wieder, ohne dass es zitierbare Aussagen dazu geben würde. Andere wiederum meinen, dass die städtischen Haushalte aktuell nur noch schön gerechnet werden und das Aus 2016, 17 oder 18 kommen wird. Auf jeden Fall vor den neuen Regeln des Finanzausgleichs.

Das müssen Sie erläutern.

Groß: Ich meine damit die vollständige Übernahme der Kosten der Unterkunft durch den Bund, oder es werden Lösungen zur Entlastung der Städte bei der Eingliederungshilfe schnell verabschiedet. Die ab 2015 bis 2017 als Zwischenlösung bereitgestellte Zusatzmilliarde für die Eingliederung von Menschen mit Behinderungen ist absolut notwendig, aber leider nur ein minimaler Beitrag zur Entlastung der Kommunen. Das reicht bei Weitem nicht.

Das war schon mal anders angedacht.

Groß: Ja. Die große Hoffnung hieß Koalitionsvertrag. Genauer die 5 Milliarden Euro, um die die Kommunen entlastet werden sollten.

Bruch des Koalitionsvertrages interessiert in Berlin niemanden 

Die sind doch absehbar vom Tisch.

Groß: Leider. Bei Lichte besehen ist die Verschiebung in die nächste Legislatur ein Bruch des Koalitionsvertrages. Es interessiert in Berlin nur niemanden. Auch die in 2017 avisierten 3 Milliarden müssen noch verwirklicht werden. Dabei brauchen die Städte Sicherheit, um in ihren Haushalten und Sanierungskonzepten die Entlastungen darstellen zu können, sonst drohen weitere Einschnitte.

Welche Rolle spielt da überhaupt noch der Stärkungspakt Stadfinanzen, an dem Gelsenkirchen freiwillig teilnimmt?

Groß: Das ist ein Pflaster. Die Wunde muss aber gereinigt und genäht werden. Die dynamisch steigenden Kosten für die Städte lassen die Spekulation zu, dass sie die Auflagen des Stärkungspaktes absehbar ohne die Hilfe des Bundes nicht mehr werden erfüllen können. Das wiederum wird die NRW-Landesregierung vor erhebliche Probleme stellen, denn auch die hat kein Geld, um einzuspringen.

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Müsste dann nicht die Botschaft lauten, die Armen wie Gelsenkirchen zu stärken, damit es den Reichen wie Monheim, das zu den Geberstädten im Stärkungspakt zählt, am Ende besser geht?

Groß: Genau. Stattdessen reden wir über Haushaltsdisziplin. Die kalte Progression abbauen, Steuern senken, vielleicht die Vermögenssteuerreform vergessen. Die Belastung breiterer Schultern scheint nicht mehr angesagt. Die Ruhr ist nebensächlich, wenn überhaupt: eher lästig.

Was ist Ihrer Meinung nach das Hauptproblem der Emscher-Lippe-Region, für das Ruhrgebiet?

Groß: Knackpunkt ist der Länderfinanzausgleich, der ab 2020 gelten soll und den Olaf Scholz (Regierender Bürgermeister Hamburg, SPD, die Red.) und Wolfgang Schäuble (Bundesfinanzminister, CDU, die Red.) aushandeln. Da wird in großen Tiefen geschürft. Nur NRW kommt zu wenig vor, das Ruhrgebiet erst recht nicht.

Wie kann man das ändern?

Groß: Warum verständigt sich die SPD nicht darauf, dass sie einem Finanzausgleich nur zustimmt, wenn dieses Problem gelöst ist? Alles Geld, was nicht aus dem Bund kommt, muss aus NRW kommen. Und da die Landeskasse leer ist, müssen alle Städte in NRW Solidarität üben, untereinander und vor allem gegenüber dem Bund. Denn davon profitieren alle.

Selbstbewusst für das Ruhrgebiet einsetzen

Welches Druckmittel besitzt das Ruhrgebiet Ihrer Meinung nach denn überhaupt in Richtung Bundes-SPD?

Groß: Hier ist die Herzkammer der Sozialdemokratie. Das ist nicht nur ein Spruch. Schauen Sie sich die letzten Wahlergebnisse der SPD an. Ohne das Ruhrgebiet, ohne Nordrhein-Westfalen hätte die SPD im Bund nicht viel. Und nur durch und mit der Sozialdemokratie wird sich etwas ändern. Es ist daher nur logisch, sich selbstbewusst für diese Region einzusetzen, damit es ihr besser geht. Eine gebückte Verteidigungshaltung ist nicht angebracht.