Gelsenkirchen. .
Noch keinen Plan für die nächste Ferienwoche? Der Zoo, der Revierpark und das Freibad sind schon abgehakt? Wir hätten da noch einen Ausflugtipp, der sowohl bei ganz heißem als auch bei Regenwetter funktioniert: Warum nicht einmal Gelsenkirchens verborgene Kunst erkunden, die viele Meter unter der Oberfläche zu finden ist?
Ausgewählt haben wir vier unterirdische Haltestellen, die alle mit der U-Bahn-Linie 301 zu erreichen sind. Startpunkt ist die Haltestelle unter dem Heinrich-König-Platz, wo die aus dem Allgäu stammende Künstlerin Anemone Schneck-Steidl im Jahr 1984 ihre Spuren hinterlassen hat.
Landschaften und Industriekulissen
Ihre großen, bunten Wandkeramiken durchbrechen hier die Klinkerwände mit Motiven aus dem Ruhrgebiet: Zunächst sind blühende Landschaften und Erholungsorte mit maritimem Flair zu sehen. Je weiter man den Keramiken nach rechts folgt, um so stärker rücken industrielle Motive in den Mittelpunkt. So gibt es eine ungewöhnliche Begegnung mit dem Förderturm der früheren Zeche Consolidation, der über Tage gelb angestrahlt wird. Ein Wirrwarr von Autobahnkreuzen ist zu erkennen, rauchende Schlote mit schwarzen Wolken, kantige Fabrikgebäude, aber auch die schmucke Fassade des ehemaligen Kaufhauses Overbeck, das an der Bahnhofstraße 4 zu finden war. Es dominieren die Farben Türkis, Beige und Orange.
Anemone Schneck-Steidl hatte einen Künstlerwettbewerb gewonnen, bevor sie die Motive gemeinsam mit der Münchener Keramikerin Celine von Eichborn gestaltete.
Ihre 11 Bilder sind in diesem U-Bahnschacht in verschiedenen Größen zu finden: Jeweils vier mit einem Durchmesser von 2,50 Metern umrahmen einen Dreierblock mit Werken, die einen Durchmesser von drei Metern haben.
Gelsenkirchen von unten betrachtet: Kunst von Many Szejstecki
Was würde man von Gelsenkirchen sehen, wenn man die Stadt aus 500 Metern Tiefe von unten betrachten könnte? Diese Frage hat sich der Gelsenkirchener Künstler Many Szejstecki, der einst als Steiger und Ingenieur unter Tage arbeitete, gestellt. Mit seinen Wandbildern, die die U-Bahn-Haltestelle Trinenkamp zieren, hat er die Frage eindrucksvoll beantwortet. Vier Stadtansichten bietet Szejstecki hier aus einer sehr ungewöhnlichen Perspektive, die manchmal beim Hinschauen ganz schön schwindelig macht.
Ein Blick durch die Gesteinsdecke
Da gibt es den „Blick aus 500 Metern Tiefe nach Nordost“, gezeichnet vom Standort Sportparadies aus. Oder den „Blick aus 500 Metern Tiefe nach Nordwest“, wie er von der Kreuzung der Üchtingstraße und der Alfred-Zingler-Straße aus gesehen würde, wenn man denn von unten durch die Gesteinsschichten schauen könnte. Auch der Bürgerplatz in Bismarck und die Kreuzung von Grothusstraße und Lockhofstraße werden hier zum Dreh- und Angelpunkt.
Der U-Bahnschacht mutiert virtuell zum gläsernen Käfig, man sieht die Stadt mit ihren Bahnlinien, Bäumen, Sportstädten und Grünflächen von unten – und durch die Häuser, die wie kleine Rechtecke auf einem Spieleteppich erscheinen, kann man glatt hindurchsehen. Wer sich auf das Szejstecki-Wagnis einlässt, kann nachher sagen: So habe ich Gelsenkirchen vorher noch nie gesehen.
Welttheater von Erwin W. Zimmer
Wenn Napoleon auf den Papageno aus der „Zauberflöte“ trifft, dann muss man wohl im Musiktheater sein. Oder zumindest im U-Bahnschacht, der sich darunter verbirgt und über eine lange Rolltreppe zu erreichen ist. Hier hat der Bühnen- und Kostümbildner Erwin W. Zimmer, der bis 1996 Ausstellungsleiter am MiR war, eine ganz eigene phantasievolle Bühnenwelt geschaffen. „Welttheater“ hat er seine Installation genannt. Und der Titel trifft das, was hier zu sehen ist, genau.
Antike trifft Surrealismus
Zwölf riesige Wandbilder, jeweils 4,20 Meter mal 2,40 Meter groß, zieren die blau gekachelten Wände unter Tage. 1994 entstanden die Werke aus Emailstahl, für die Erwin Zimmer Collagen mit Versatzstücken aus der Antike und aus der Welt des Surrealismus schuf.
Wer die Haltestelle entlang schlendert, kann zahlreiche Zitate entdecken: Theater-, Kunst- und Kulturgeschichte wurden hier miteinander vermengt. Und so reichen zehn Minuten Wartezeit bis zur nächsten Bahn gar nicht aus, um die einzelnen Werke zu erfassen.
Pyramiden sind hier ebenso zu finden wie grafische Muster, Frauen in ausladender Barockmode, bunte Computerpixelbilder, Anspielungen auf Magritte – und immer wieder Theatergebäude aus verschiedenen Geschichtsepochen. Erwin W. Zimmers Welt unter Tage ist wie eine ganz eigene Bühne – und wer mag, kann hier auch als Zuschauer eine Hauptrolle spielen.
Eine Reise ins Innerste der Erde mit Alfred Schmidt
Wer die lange Rolltreppe an der Haltestelle „Bergwerk Consolidation“ herunterfährt, der gewinnt schnell den Eindruck, bis ins Innere der Erde hinabzufahren, so lange dauert das. Deshalb ist es gut, dass es hier seit 1994 Kunst von Alfred Schmidt zu sehen gibt, denn so wird schon die Rolltreppenfahrt zum Erlebnis.
Begrüßt wird man dabei im Eingangsbereich von Bergarbeitern mit kohlegeschwärzten Gesichtern, die sich hier mitten in ihrem Element befinden: Während sie sich am Grubenholz festhalten, schauen sie den Betrachter direkt an, so als wollten sie ihm zurufen: „Willkommen unter Tage!“
Und so fährt man ein, in den Schacht, der ganz in Grautönen gehalten ist. Linien in unterschiedlicher Dicke mit winzigen Sprenkeln zieren hier wie Gesteinsschichten und Kohleflöze die Wände. Immer wieder wird dieses Bild unterbrochen von Bergbauszenen unter Tage, die Alfred Schmidt in seinen Zeichnungen so detailgetreu eingefangen hat, dass die Bilder fast lebendig erscheinen. Wer direkt davor steht, wird hineingezogen in die Welt unter Tage, mit ihren unterirdischen Gängen, mit Versorgungsleitungen und schwerem Gerät.
Das Konzept für seine U-Bahn-Kunst mit dem Titel „Unter Tage“ hatte Alfred Schmidt, der erste Ehrenbürger des Ruhrgebiets, bereits 1987 vorgelegt. Umgesetzt wurde es jedoch erst 1994 – von den acht vorgesehenen Emailleplatten wurden leider nur sechs realisiert.