Gelsenkirchen. Gelsenkirchen bekommt die ersten Millionen für die „Zukunftspartnerschaft“ gegen Schrotthäuser. So soll das XXL-Programm die Stadt verändern.
Sie soll die „Narben der Stadt“ schließen und ermöglichen, Gelsenkirchen „in Teilen neu zu denken“: Große Hoffnungen liegen in der vor etwa einem Jahr angekündigten „Zukunftspartnerschaft“ zwischen der Stadt Gelsenkirchen, dem Bund und dem Landesbauministerium, mit der 3000 heruntergekommene Wohneinheiten vom Markt genommen werden sollen. Nun hat die nordrhein-westfälische Bau- und Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) Oberbürgermeisterin Karin Welge (SPD) den ersten Förderbescheid im Hans-Sachs-Haus überreicht: eine Summe von fünf Millionen. Sollte für das XXL-Projekt aber nicht eigentlich 100 Millionen Euro bereitstehen?
Keine Sorge, so viel könnten es auch am Ende werden, so die Botschaft von Scharrenbach – sofern das Geld in dieser großen Summe in den nächsten zehn Jahren überhaupt gebraucht werde. Denn man werde bei der deutlichen Reduzierung von Gelsenkirchens rund 500 Schrotthäusern auch mit rechtlichen Mitteln schon sehr weit kommen.
Schrotthäuser: Gelsenkirchen soll seine „schärfste Waffe“ noch mehr nutzen
„Das schärfste Schwert ist das Rückbaugebot“, sagte OB Welge. Dank ihm kann ein Eigentümer verpflichtet werden, Schrottimmobilien mit zu starken Mängeln zu beseitigen. „Vorreiter“ ist Gelsenkirchen laut Scharrenbach darin gewesen, das Rückbaugebot tatsächlich auch anzuwenden, nämlich beim Schrotthaus an der Emil-Zimmermann-Allee 1. Der Eigentümer ging gegen das Rückbaugebot gerichtlich vor, seitdem beschäftigt der Fall Gerichte. „Das ganze Land wartet auf dieses Urteil“, sagte Scharrenbach.
Genutzt werden sollen solche Instrumente noch mal intensiver als in der Vergangenheit, und zwar durch zusätzliches Personal, das durch die Zukunftspartnerschaft eingestellt werden kann. Auch eine Stabsstelle wurde für das „Dekaden-Projekt“, wie es Welge nennt, eingerichtet.
Zukunftsprogramm ist „zusätzliche Belohnung“ für Gelsenkirchens Anstrengungen
„Gelsenkirchen ist im positiven Sinne Dauerkunde bei uns in der Städtebauförderung“, sagte Ministerin Scharrenbach. Zudem habe die Stadt in den vergangenen Jahren bewiesen, dass man die rechtlichen Möglichkeiten wie Vorkaufs- und Eingriffsrechte verstärkt anwende, um die Zahl der Schrottimmobilien zu reduzieren. So sei Gelsenkirchen aktiv wie keine andere Kommune gewesen, als zwischen 2017 und 2022 mit dem „Modellvorhaben Problemimmobilien“ – eine Art Vorgängerprojekt der Zukunftspartnerschaft – bereits Gelder von Land und Bund nach Gelsenkirchen, Essen, Dortmund, Duisburg oder Herne geflossen waren, um Problemhäuser zu entfernen.
Die Zukunftspartnerschaft könne man nun als „zusätzliche Belohnung“ für Gelsenkirchen verstehen, sagte Scharrenbach – eine Steilvorlage, damit auch Welge betonen konnte: „Wir sind in Gelsenkirchen Pilot und Pionier seit vielen Jahren.“
Ministerin Ina Scharrenbach: „Das zieht eine ganze Stadt herunter“
Eine Rolle, die Gelsenkirchen zweifellos gezwungenermaßen einnehmen musste. Denn bekanntlich habe Gelsenkirchen eine „riesige Problemlage“, wie auch Scharrenbach unterstrich: „Die Situation in Gelsenkirchen ist nun mal eine andere als in anderen Städten. Wir haben hier zu viel Wohnraum und zu viel in schlechtem Zustand.“ Viele Eigentümer würden aber keinen Grund sehen, in ihre Immobilie zu investieren. „Und da bekommen Sie keinen Druck drauf, weil man hier trotzdem alle Wohnungen vermietet bekommt.“ Die Folge: „Das zieht eine ganze Stadt herunter.“
Bedauerlicherweise. Denn eigentlich habe Gelsenkirchen doch so viel hübsche Seiten zu bieten, meinte Scharrenbach und ergänzte: „Was mich immer stört, ist, wenn man das Image schlecht schreibt und wenn man das Schöne, das da ist, schlecht redet“, sagte Scharrenbach mit Blick auf den negativen Ruf Gelsenkirchens in der Republik. Ein solches Image bekomme man schnell aufgedrückt, dagegen dauere es „sehr viel länger, zu zeigen, dass alle Beteiligten an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten“, betonte die Bauministerin – und klang dabei allzu sehr nach Welge, die regelmäßig appelliert, die großen Probleme der Stadt weniger in den Mittelpunkt zu rücken.
Stadt Gelsenkirchen kann bei der Beseitigung von Schrottimmobilien flexibler vorgehen
Dass das Image mit dem Programm aufpoliert wird, soll auch gelingen, indem die Stadt flexibler vorgehen kann als bislang. Aktuell sei es nämlich schwierig, Immobilien zu betrachten, die außerhalb von sogenannten Stadterneuerungsgebieten (bspw. Schalke-Nord oder Rotthausen) liegen, erläuterte Stadtbaurat Christoph Heidenreich. „Wir sind aufgrund der Fördersystematik sehr beschränkt auf diese Gebiete.“ Die Gelder aus der Zukunftspartnerschaft könne man aber überall einsetzen. „Wir haben jetzt die Möglichkeit, freier zu agieren und Prioritäten zu wechseln“, ergänzte OB Karin Welge. Grob festgelegt ist der Handlungsraum lediglich auf den Süden Gelsenkirchens und Scholven.
„Wir haben bereits zehn Immobilien in der Vorbereitung, die wir aufkaufen werden, bei weiteren sind wir in Verhandlungen“, gab Heidenreich zudem den aktuellen Stand wieder. Genaue Adressen könne man aber erst bei Vollzug nennen, um den Verhandlungserfolg nicht zu schmälern.
Gelsenkirchen pocht auf Reform des Zwangsversteigerungsgesetzes
Erworben werden können Schrottimmobilien auch über Zwangsversteigerungen – was beim berüchtigten „Gelben Haus“ auf der Schalker Meile (das mittlerweile blau-weiß gestrichen wurde) bekanntlich ordentlich schief ging. Dort hatte nicht die Stadt, sondern eine frisch gegründete Vermietungsgesellschaft den Zuschlag in einem spektakulären Bieterwettstreit gewonnen. Dann passierte bei der Sanierung erst einmal lange nichts, bis vor kurzem die Fassade gestrichen wurde. Eine neue Fassade sei aber noch keine wirkliche Sanierung der Immobilie, sagte Stadtbaurat Heidenreich. „So lange die Erneuerung nicht endgültig passiert, werden wir dem Eigentümer auf die Füße treten.“
Helfen in solchen Fällen könnte eine Reform des Zwangsversteigerungsgesetzes durch das Bundesjustizministerium von Gelsenkirchener Marco Buschmann (FDP). Eine solche Reform „brauchen wir unbedingt“, sagte Welge. Mit ihr soll verhindert werden, Profit mit versteigerten Häusern zu machen, solange nicht der volle Verkehrswert gezahlt wurde. Aktuell müssten nur zehn Prozent des Wertes als Sicherheitsleistung sofort bezahlt werden, was nicht selten ausgenutzt wird.
„Es gibt offenkundig Menschen, die mit viel Geld in Plastiktüten Immobilien bei Zwangsversteigerung erwerben“, sagte Scharrenbach. Daher sei es schon einmal gut, dass der Bund den Barkauf von Immobilien verboten hat. „Das ist ein wichtiger Schritt, nicht nur für Gelsenkirchen.“ Ob und inwieweit es dem Bund auch gelinge, das Zwangsversteigerungsgesetz entsprechend zu reformieren, sei jedoch fraglich. „Da bin ich verhalten“, so Scharrenbach.
„Unser Projekt wird aber auch nicht scheitern, sollte es zu keiner Reform kommen“, betonte Heidenreich. „Wir haben trotzdem Möglichkeiten, die Eigentümer unter Druck zu setzen.“