Gelsenkirchen-Schalke-Nord. Das bekannte gelbe Haus in Schalke ist eines von 3000 Schrottimmobilien in Gelsenkirchen. Über das hochlukrative Geschäft mit den Elendshäusern.
Kein Baugerüst, keine Arbeiter, keine Handwerkerautos: An der bekannten Engelsburg, dem zwangsversteigerten „Gelben Haus“ an der Schalker Meile, ist von den medienwirksam angekündigten Modernisierungen nichts zu sehen. Die neuen Eigentümer haben die Restforderungen nicht bezahlt – mit mehr als einer halben Million Euro stehen sie noch in der Kreide. Warum die Besitzer von Schrottimmobilien trotzdem üppige Erträge erzielen können, etwa aus Mieteinnahmen, während Städte wie Gelsenkirchen ohnmächtig zuschauen müssen.
Zuschlag für rund 1,4 Millionen Euro für Schalker Engelsburg und Ex-Fahrschulhaus
Anfang Februar stand Sajad Soleymanmanesh im Gelsenkirchener Justizzentrum im Scheinwerferlicht der Fernsehkameras. Soleymanmanesh ist Geschäftsführer zweier Immobilienunternehmungen, der BBS 1 UG und der BB S2 UG mit Sitz in Erkrath. Die Gesellschaften wurden erst kurz vor den Gerichtsterminen aus der Taufe gehoben, ersteigerten kurz hintereinander in einem spektakulären Bieterwettstreit mit der hiesigen GGW sowohl die Engelsburg als auch das Eckhaus an der Kurt-Schumacher-Straße 118, ehemals Sitz der blau-weißen Fahrschule. Steigpreise: rund 750.000 Euro und 631.000 Euro, also zusammen etwa 1,4 Millionen Euro. Laut Soleymanmanesh steht hinter den beiden Immobilienunternehmen eine Holding mit 150 Objekten im Bestand, darunter vier weitere in Gelsenkirchen.
Gelbes Haus: Besuch von Schalke Profis zur Vorstellung der neuen Engelsburg
Es folgte das Versprechen, das Gelbe Haus in der Schalker Herzkammer zügig gründlich zu ertüchtigen, das Gebäude sollte unter anderem einen blau-weißen Anstrich bekommen. Als Zielzeitraum für die komplett renovierte Engelsburg nannte der Geschäftsführer Ende 2023. Sogar Schalke-Profis wollte Soleymanmanesh zur Vorstellung der neuen Engelsburg präsentieren, vor dem Saisonstart. Getan hat sich bislang wenig, ab und zu war Sperrmüll vor dem Haus zu sehen – ansonsten Stillstand.
Still geworden ist es auch um Soleymanmanesh. Nachdem im Mai bekanntgeworden war, dass die neuen Eigentümer die offenen Restforderungen bis Auslaufen der Frist nicht beglichen hatten, ging der Immobilienunternehmer zusammen mit seinen Partnern mehr und mehr auf Tauchstation. Einen langen Fragenkatalog der WAZ im Zusammenhang mit den noch ausgebliebenen rund 664.000 Euro versprach der Geschäftsführer „nach seinem 14-tägigen Urlaub“ zu beantworten, schrieb er am 22. Juni. Seither sind anderthalb Monate vergangen, in denen auf Nachfragen nicht reagiert wurde.
Gelsenkirchener Amtsgerichtsdirektor: Wiederversteigerung dauert bestenfalls ein Jahr
Doch was passiert, wenn der Steigpreis nicht gezahlt wird, wie kommen die Gläubiger an ihr Geld? Das weiß Mathias Kirsten, Gelsenkirchener Amtsgerichtsdirektor. Und es sind keine guten Nachrichten. Zum einen wird bei einer Zwangsversteigerung der Ersteher sofort Eigentümer. Er darf, sobald der Hammer gefallen ist, „die Immobilie nutzen, trägt zugleich auch die Lasten“. Im Falle des Gelben Hauses waren es ausgebliebene Grundbesitzabgaben an die Stadt in fünfstelliger Höhe, die sofort bedient worden sind. Lesen Sie auch:Kampf gegen Schrottimmobilien: Gelsenkirchen bekommt 100 Millionen Euro
Spannend wird es, wenn der Ersteher den Steigpreis gar nicht oder nur teilweise bezahlt, dann „erwerben die Gläubiger in Höhe der Nichtzahlung einen Zahlungsanspruch“ gegen den Ersteigerer. Sie müssen Kirsten zufolge „aber selber entscheiden, ob und wann sie gegen den Ersteher aus dem Zuschlagsbeschluss vollstrecken“. Sollte die Wiederversteigerung zeitnah beantragt werden und das Gutachten des Vorverfahrens weiter zugrunde gelegt werden können, sei mit einem neuen Versteigerungstermin in circa einem Jahr zu rechnen – bestenfalls.
Vormals gehörten die Engelsburg und das Ex-Fahrschulhaus der in den Niederlanden ansässigen Global Foundation BV (2020 für insolvent erklärt) und der Duisburger Immobilien Holding GmbH NRW – Kopf beider Unternehmungen ist David Thomas Willis. Seit März 2023 läuft bei der Duisburger Holding ein Insolvenzverfahren (64 IN 196/22).
Ob Willis als ursprünglicher Eigentümer Forderungen gegen die Erkrather Immobilienunternehmen geltend machen will, wollte Insolvenzverwalter Sebastian Henneke nicht sagen. Nach WAZ-Informationen liegen für das „Gelbe Haus“ in Schalke bislang keine Anträge auf Bestellung eines Zwangsverwalters vor, die Mieteinnahmen für das Gelbe Haus gehen aber wohl in die Niederlande – ob wieder oder immer noch, ist unklar.
Dem gebürtigen Briten Willis mit holländischer Staatsbürgerschaft gehören nach WAZ-Informationen auch die Häuser an der Devenstraße 99 und 101 – sie waren in der Vergangenheit öfter schon Thema in den politischen Gremien und Einsatzort behördenübergreifender Kontrollen. Die Häuser Bulmker Straße 8 bis 10 waren ebenso im Besitz von Willis, auch sie wurden zwangsversteigert.
Gesetz hilft Geschäftemachern bei ihren üppigen Einnahmen mit Schrottimmobilien
Die Geschäftemacherei im großen Stil mit Schrottimmobilien hat hier im Ruhrgebiet 2014 begonnen. Seitdem dürfen im Rahmen der EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit auch Bulgaren und Rumänen ohne gesonderte Erlaubnis in Deutschland arbeiten. Daraus ist ein lukrativer Geschäftszweig entstanden, bei dem sich die Investition, also die Ersteigerung einer Schrottimmobilie nach Expertenangaben „innerhalb von kurzer Zeit wieder rentiert, manchmal sogar nach nur ein oder zwei Monaten“.
Das Gesetz sieht nämlich vor, dass bei Zwangsversteigerungen nur zehn Prozent des Verkehrswertes als Sicherheitsleistung sofort zu bezahlen sind, der Rest bis Fristablauf. Im Falle des Gelben Hauses betrug die Sicherheitsleistung rund 40.000 Euro.
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Bis ein zwangsversteigertes Haus wieder unter den Hammer kommt, vergeht wie gesagt meist mindestens ein Jahr. Zeit, in der die häufig unangemessen hohen Mieteinnahmen die gezahlte Sicherheitsleistung spielend übertreffen, etwaige Restforderungen werden schlichtweg ignoriert. Interessant:Gelsenkirchen: Das Geschäft mit den Schrottimmobilien
Das illegale Spiel geht so: Vermieter oder deren Mittelsmänner reisen nach Rumänien oder Bulgarien und bieten den Menschen, die sich im Westen ein besseres Leben erhoffen, oft ein Komplettpaket an: eine Matratze in einer Wohnung, einen Minijob und häufig auch gleich Hilfe beim Ausfüllen der notwendigen Unterlagen, mit denen sie oben drauf noch Geld vom Staat beantragen können. Die Vermieter selbst kassieren natürlich einen üppigen Teil davon. Der Rest ist eine Art Schweigegeld. Lesen Sie dazu: Schrotthäuser und Leistungsbetrug. So ist Gelsenkirchens Bilanz
Maximale Rendite auf Kosten anderer – nach wenigen Monaten in der Gewinnzone
Gerechnet wird Kennern zur Folge mit der Faustformel: etwa zehn Quadratmeter pro Kopf. Bei einer 80 Quadratmeter großen Wohnung mit einer Miete von fünf Euro pro Quadratmeter fallen unter normalen Umständen 400 Euro im Monat an. Wenn man die Unterkunft aber pro Bett für 250 Euro an den Mann oder an die Frau bringt, dann kommt das Fünffache an Mieteinnahmen zusammen – 2000 Euro pro Monat. Im Falle von Mehrfamilienhäusern kommen so monatlich fünfstellige Beträge zusammen. Deshalb werden solche Häuser auch so gern illegal umgebaut, um mehr Platz zu schaffen und noch mehr Marge zu machen.
Nachfrage bei Bundesjustizminister Marco Buschmann: Maßnahmen in der Prüfung
Und das sich alsbald etwas ändert, ist wohl nicht zu erwarten. Zwei Forderungen von betroffenen Kommunen wie Gelsenkirchen, um die Geschäftemacherei einzudämmen, sind, dass der Steigpreis sofort fällig wird und die Verfügungsgewalt bei Nichtbezahlen wieder beim Gericht liegt. Die WAZ hat deshalb bei Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), selbst Gelsenkirchener, nachgefragt. Der ließ über eine Sprecherin ausrichten: „Es wird derzeit geprüft, auf welche Weise der Problematik entgegengewirkt werden kann. Das Ziel von Maßnahmen sollte in erster Linie sein zu verhindern, dass unredliche Ersteher ihre durch den Zuschlag erworbene Eigentümerstellung zulasten Dritter missbrauchen können.“
Kein echtes Alarmsystem vorhanden
Gelsenkirchen ist Teil des Modellprojektes Smart Cities, mit dem die Digitalisierung vorangetrieben werden soll. Ein modernes computergestütztes Kontrollsystem, das Alarm schlägt, wenn Menschen bei Behördengängen und Anträgen – beispielsweise im Bürgercenter oder im Jobcenter – eine der rund 3000 Schrotthäuser-Adressen in der Stadt angeben, gibt es aber nicht. IT-Experten zufolge sei es aber nicht schwer, eine solche Filterfunktion digital vorzunehmen.
Die Stadt muss sich bislang etwa auf die Erkenntnisse des in den vergangenen Jahren stark aufgerüsteten Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) verlassen, der Stadtteile und Quartiere regelmäßig bestreift. Oder auf Beschwerden von Anwohnern aus der Nachbarschaft. Bis 2024 soll die Zahl der KOD-Einsatzkräfte schrittweise von vormals 50 auf 100 angehoben werden.
Zwar hat die Stadt Gelsenkirchen über verschiedene Stadtentwicklungsprojekte durchaus auch Mittel bekommen, um die 3000 Schrottimmobilien im Stadtgebiet vom Markt nehmen zu können, aber im Bieterstreit mit Schein-Investoren, die bei Zwangsversteigerungen horrende Summen bieten und letztlich nur einen Bruchteil davon bezahlen, ist die Kommune vergleichsweise machtlos, so lange die Gesetze nicht geändert werden.