Gelsenkirchen. Bis zu 100 Millionen Euro bekommt Gelsenkirchen, um 3000 Schrottwohnungen vom Markt zu nehmen und Klimaschutz zu gestalten. Das steckt dahinter.
Die „Zukunftspartnerschaft“ zwischen dem NRW-Kommunalministerium und Gelsenkirchen, die vor einigen Wochen feierlich unterzeichnet wurde, soll der Stadt wie berichtet bis mindestens 2027 bis zu 100 Millionen Euro zusichern, um rund 3000 Schrott-Wohneinheiten vom Markt zu nehmen. Worum es dabei konkret geht und wie die nächsten Schritte aussehen, erklärt Irja Hönekopp, Abteilungsleiterin in Sachen Stadterneuerung und Sanierung der Stadt Gelsenkirchen, im WAZ-Interview.
Frau Hönekopp, Sie wollen mit Blick auf die neuen Fördermittel nicht von einem Programm gegen „Schrottimmobilien“ sprechen? Warum nicht?
Irja Hönekopp: Die Zukunftspartnerschaft beruht auf einer vielschichtigen Erkenntnis der Lage in der Stadt, den Erfahrungen aus dem Modellvorhaben Problemimmobilien (2017-2023) und dem Wunsch aller Akteure in Gelsenkirchen, die Situation als Chance für eine zukunftsweisende Entwicklung der Stadt zu begreifen und zu nutzen. Eine Reduktion auf das Thema „Schrottimmobilien“ greift hier viel zu kurz.
Das bedeutet was genau?
Irja Hönekopp: Die Erfahrungen aus dem Modellvorhaben Problemimmobilien sind Voraussetzung für das Vertrauen des Ministeriums an dieser Stelle, das ist so, ja. Aber es geht eben um mehr. Der Wohnungsmarkt in Gelsenkirchen muss belebt werden, um Selbstheilungskräfte und neue Investitionen anzuregen. Die Zukunftsherausforderungen bezüglich Klimaschutz und Klimaanpassung, Aufenthaltsqualität in der Stadt und ökonomischer Entwicklung sind groß. Ein Umbauprogramm in Gelsenkirchen ermöglicht innovative Lösungsansätze und deren konsequente Umsetzung. Dabei ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Stadtentwicklung/-erneuerung/-sanierung, Wohnungsaufsicht/-förderung, ordnungsrechtlichen Eingriffen Schlüssel für eine gute Bearbeitung der Thematik. Nur ein integriertes Verständnis von Stadtentwicklung ermöglicht eine sinnvolle Lösungsfindung.
So weit der theoretische Unterbau. Wie lauten Ihre Ziele?
Aus den vorgenannten Gründen wurde ein Konzept mit dem Ministerium und innerhalb der Verwaltung erarbeitet, das folgende Ziele hat: Wohnungsmarkt bereinigen, Problemimmobilien beseitigen, Wohnqualität schaffen durch Modernisierung und Sanierung, Wohnungsmarkt ergänzen durch qualitätsvollen Neubau, (öffentlich geförderter Wohnungsbau), Klimawandel und Klimaschutz gestalten, Wirtschaftsstandorte gestalten. Wir wollen mit der Umsetzung des Projektes Kräfte des Marktes für Neubau und Modernisierung nutzen, die öffentliche Hand als Ideentreiber etablieren und Wohnungsbaugesellschaften einbinden.
Wo wollen Sie anfangen?
Für das Projekt wird ein Sonderfördergebiet der Städtebauförderung geschaffen, das den Gelsenkirchener Süden, Horst und kleine Teile Scholvens umfasst. In ganz Gelsenkirchen wird die Wohnraumförderung unter vereinfachten Bedingungen insbesondere auch für Einzeleigentümer*innen einsetzbar sein. In diesem Projekt geht es also nicht nur darum, den problematischen Immobilienbestand in der Stadt zu reduzieren, sondern insbesondere darum, einen Veränderungsmotor in Gelsenkirchen in Gang zu setzen, der zu einem Jahrzehnt des Stadtmachens und -gestaltens führt.
Das sind große Versprechungen, die sicher auch andere Städte gerne gegeben hätten, die ähnliche Probleme haben und deshalb eine solche „Zukunftspartnerschaft“ gerne geschlossen hätten. Wie ist es Gelsenkirchen gelungen, hier Vorreiter zu sein, profitiert die Stadt davon, in vielen Statistiken Schlusslicht zu sein?
Auch interessant
Gelsenkirchen ist in den letzten Jahren sehr erfolgreich das Modellvorhaben Problemimmobilien angegangen. Die fachlich übergreifende Zusammenarbeit zwischen ordnungsrechtlichen und konzeptionellen Bereichen der Verwaltung und der Zusammenarbeit mit Stadterneuerungsgesellschaft und GGW ist Schlüssel für eine zügige Umsetzung. Die abgestimmte Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltung ist essenziell, Objektprüfungen, Anwendung von Vorkaufsrechten, Beschluss von Sanierungsgebieten und Geboten gehen Hand in Hand mit einer strategischen Umsetzung von Entwicklungszielen im Quartier. Wir verstehen Quartierentwicklung als Entwicklung von Räumen, in denen sich sozialer Frieden halten oder auch entwickeln kann, in denen die Menschen bleiben wollen und in denen städtebauliche, soziale, klimatische und wirtschaftliche Qualitäten geschaffen werden. Den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt wird so eine Entwicklungsperspektive geboten. Eigentümerinnen und Eigentümern bieten sich lohnende Investitionen an einem aufgewerteten Standort. So bleibt Stadtentwicklung kein Strohfeuer, sondern wirkt nachhaltig. Dass Gelsenkirchen darüber hinaus als Leadkommune des Landesprojekts „Prima.Klima.Ruhrmetropole“ die klimagerechte Transformation vorantreibt, unterstützt diese nachhaltige Entwicklung. Die Zukunftspartnerschaft ist so nicht weniger als der Durchbruch und der Wandel für den Wohnungsmarkt und die Stadtentwicklung in Gelsenkirchen.
Welche Aufgabe wird Ihnen dabei zuteil?
Ich leite die Abteilung Stadterneuerung und -sanierung im Referat Stadtplanung der Stadt. Diese Abteilung hat die Federführung für die Umsetzung der Zukunftspartnerschaft. Neben der Gesamtkoordination liegt bei uns insbesondere die Definition der räumlichen Zielvorstellungen, die Vorbereitung und Durchführung der Instrumente des besonderen Städtebaurechtes (Sanierungsrecht, Gebote etc.) sowie das Management der Fördermittel.
Wie geht es nun konkret weiter, was sind die nächsten Schritte?
Jetzt folgt die Abstimmung mit der Bezirksregierung und dem Ministerium zu den Details der Zukunftspartnerschaft und der Erhalt eines ersten Zuwendungsbescheides im ersten Quartal 2023. Wir bauen außerdem eine schlagkräftige Organisationsstruktur im Jahr 2023 zur zügigen Umsetzung der Zukunftspartnerschaft auf. Dafür müssen auch Leute eingestellt werden. Des Weiteren werden wir die strategische Vorgehensweise zur Reduktion von 3000 Wohneinheiten in Gelsenkirchen vorbereiten. Dafür bedarf es auch der notwendigen politischen Beschlüsse und dann geht es los! Über Ergebnisse werden wir natürlich jeweils öffentlich berichten.
Gibt es eine Prioritätenliste? Wo will die Stadt zunächst tätig werden und wann?
Die Stadt wird an den räumlichen Strategien intensiv weiterarbeiten und diese sukzessive mit der Politik und Bevölkerung diskutieren und umsetzen. Eine Prioritätenliste auf Quartiersebene oder sogar auf Ebene von konkreten Immobilien kann zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich erfolgen. Hier bitten wir um Geduld, um Erfolge nicht zu gefährden.