Gelsenkirchen. Die Zahl der Gelsenkirchener Tafelkunden ist in Folge explodierender Preise dramatisch gestiegen. Die Tafel braucht dringend mehr Lebensmittel.

  • Um 20 Prozent ist die Zahl der Gelsenkirchener Tafelkunden seit Januar gestiegen
  • Gleichzeitig spenden Lebensmittelmärkte weniger frische Produkte, vor allem Milchprodukte
  • Dringend gesucht werden auch weitere ehrenamtliche Helfer

Die Taschen, mit denen Kunden der Tafel an „ihrem“ Ausgabetag nach Hause gehen, werden zunehmend leichter. Während die Zahl der Berechtigten und aktiven Nutzer des Unterstützungsangebotes mit Lebensmitteln immer größer wird, schrumpft die Menge der Lebensmittelspenden. „Mittlerweile verkaufen die Discounter selbst Lebensmittel mit nahendem Mindesthaltbarkeitsdatum zu reduzierten Preisen. Die Sachen fehlen uns“, erklärt Christine Bartsch, erste Vorsitzende des gemeinnützigen Vereins.

An die 100 Kunden in zwei Stunden in der Gelsenkirchener Altstadt – täglich

Um zwölf Uhr, am Ende der zweistündigen Ausgabezeit, ist am Tafel-Standort Hansemannstraße alles leer gefegt. Etwas Brot ist noch da, zwei Käsepakete, ein Frischkäse – der Rest ist komplett verteilt. An die 100 Kunden waren es heute, die gegen eine Spende von zwei Euro ein wenig Unterstützung bekommen.

Und diese Unterstützung haben – nicht nur – in Gelsenkirchen immer mehr Menschen nötig. „Wir haben jetzt über 20 Prozent mehr Kunden als noch im Januar. Das wirkt sich aus“, erklärt Bartsch. Anne Bremer, zweite Vorsitzende des Tafelvereins, kümmert sich vor allem um die Tafel-Stellen im Stadtnorden. Auch dort steigt die Zahl der Bedürftigen. „Aber wir wollen auf gar keinen Fall einen Aufnahmestopp verhängen wie manche das tun. Wir möchten für alle Berechtigten da sein“, versichert Bartsch.

Gelsenkirchener Tafel: „Wenn es knapp wird am Ende, füllen wir mit Brot auf“

13 Mal in der Woche öffnet die Tafel ihre sechs Ausgabestellen, die über das Stadtgebiet verteilt sind. Weit mehr als 2000 registrierte Kunden sind es bereits, Tendenz weiter steigend. Und hinter fast jedem Kunden steht eine Familie mit bis zu acht Menschen.

Die Hansemannstraße in der Altstadt steht täglich zwei Stunden lang zur Verfügung; hier ist die Kundenschar besonders groß. Um Punkt zwölf Uhr kommt noch ein Familienvater, der vor allem Brot, aber auch ein paar Molkereiprodukte und Gemüse mitnehmen kann. Dann sind die je nach Familiengröße bestückten Körbe alle ausgeräumt.

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Wenn es gegen Ende knapp wird, können wir noch ein bisschen mit Brot auffüllen. Und wenn es uns allzu wenig erscheint, verzichten wir auf die zwei Euro. Aber gerade Frische-Produkte wie abgepackter Käse, Milch, Quark – das fehlt immer stärker“, klagt Christine Bartsch. Immerhin stocken aktuell auch einige Kleingärtner mit Äpfeln und Pflaumen aus ihren Gärten den Warenkorb für Tafelkunden auf. Auch andere Bürger, die haltbare oder sicher verpackte Lebensmittel von Reis über Mehl bis zu Kaffee spenden möchten, sind willkommen, diese Spenden direkt bei den Ausgabestellen abzugeben.

Anne Bremer (2. Vorsitzende, links) und Christine Bartsch (1. Vorsitzende) leiten den Gelsenkirchener Tafelverein. Die Kundenschar in Gelsenkirchen wird immer größer, die Menge an Lebensmittelspenden geringer.
Anne Bremer (2. Vorsitzende, links) und Christine Bartsch (1. Vorsitzende) leiten den Gelsenkirchener Tafelverein. Die Kundenschar in Gelsenkirchen wird immer größer, die Menge an Lebensmittelspenden geringer. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

„Tafelkunde werden: Das kann jeden treffen“

Angela Schnell ist eine dankbare Tafelkundin. Eine Trennung und eine psychische Erkrankung haben sie zur Tafelkundin gemacht. „Das kann jeden treffen. Ein Unfall, eine Erkrankung, eine Entlassung genügen, und dann wird ganz schnell das Geld extrem knapp“ hat sie am eigenen Leib erlebt. Und Anne Bremer bestätigt: „Wir haben mittlerweile auch ehemalige Selbstständige als Kunden, die nach dem Firmen-Aus einfach nicht mehr genug zum Leben haben.“

Angela Schnell ist heute mit ihrem Einkauf nicht wirklich glücklich: Brot, Salat und Weintrauben, keine Milchprodukte oder anderes Gemüse. Lange reicht das nicht. Nur einmal je Woche dürfen die registrierten Tafel-Kunden kommen. „Wir sind ja eine Unterstützung, verstehen unsere Hilfe als Ergänzung. Genug Lebensmittel für eine Woche können das gar nicht sein, zumal die meisten Sachen in den nächsten ein oder zwei Tagen nach dem Einkauf verzehrt werden müssen“, erklärt Bartsch.

Werben für mehr ehrenamtliche Helfer und frische Lebensmittel

Marco Plumhof (links) und Andreas Jakubzik von der Caritas helfen Tafelkunden beim Sparen: Sie beraten zu Stromsparmöglichkeiten, auf Wunsch auch im eigenen Heim, und statten Tafelkunden auf Wunsch auch mit Sparduschköpfen und LED-Leuchten aus.  Angela Schnell nimmt das Angebot sehr gern an.
Marco Plumhof (links) und Andreas Jakubzik von der Caritas helfen Tafelkunden beim Sparen: Sie beraten zu Stromsparmöglichkeiten, auf Wunsch auch im eigenen Heim, und statten Tafelkunden auf Wunsch auch mit Sparduschköpfen und LED-Leuchten aus. Angela Schnell nimmt das Angebot sehr gern an. © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Finanziell geht es dem Verein vergleichsweise gut, berichtet Bartsch. Noch sehr ausbaufähig hingegen wäre der Kreis ehrenamtlicher Helfer und die Menge der Lebensmittelspenden. „Wir haben es geschafft, durch die ganze Pandemiezeit unter Einhaltung aller Regeln unsere Ausgaben immer zu öffnen. Wir haben sehr engagierte Ehrenamtler, gut 130 sind es aktuell. Hinzu kommen rund 20 Helfer, die das Jobcenter uns vermittel, plus Menschen, die Sozialstunden leisten müssen. aber ohne unsere Ehrenamtler kommen wir nicht aus“, bekennt Christine Bartsch. Sie selbst und ihre Mit-Vorsitzende sind täglich im Einsatz.

Start der Tafel 1998 in einer Garage an der Schalker Straße

Bartsch ist vom ersten Tafel-Tag an dabei: „Die erste Ausgabestelle in Gelsenkirchen war eine Garage an der Schalker Straße, im Jahr 1998 war das. Daran kann ich mich gut erinnern.“ Heute ist neben den „normalen“ Ausgaben noch die Kindertafel und der Kaffee-Pott, ein Café-Angebot an der Hansemannstraße, an jedem Dienstagnachmittag zu besetzen.

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Die Mitarbeiter beginnen morgens um 7.15 Uhr damit, die gespendeten Lebensmittel zu sortieren und Kisten für die erwarteten Kunden zusammenzustellen. Um 10 Uhr öffnet die Ausgabe, da stehen die Kunden längst Schlange vor der Tür. Wenn der letzte Kunde bedient ist, wird schnell aufgeräumt und geputzt.

Für Mitarbeiterin Carola Götze, die seit insgesamt 17 Jahren und heute seit 7:15 Uhr für die Tafel im Einsatz ist, ist der Tag allerdings längst nicht zu Ende. Sie fährt weiter zur Kindertafel. Kollegin Ingrid Leien wird nachmittags noch beim Kaffe-Pott helfen. „Die Arbeit hier im Team ist wirklich klasse. Und wenn die Kunden sich bedanken und zufrieden hier rausgehen, dann geht es uns auch gut“, versichert Carola Götze. Für die Zufriedenheit wären ein paar Lebensmittelspenden mehr sicher hilfreich.

Berechtigt sind nicht nur Hartz IV-Empfänger

Tafelkunden müssen nachweisen, dass sie Hartz IV oder Wohngeld- oder Bafög erhalten, Leistungen als Asylbewerber bekommen oder aus der Ukraine geflüchtet sind. Auch „GE-Pass“-Inhaber zählen zum Berechtigtenkreis.

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Wer direkt Lebensmittel spenden oder ehrenamtlich mitarbeiten möchte, kann sich an den Tafel-Verein mit Hauptsitz am Nordring 55 wenden unter Telefon 0209/ 6388 106. Mehr Informationen gibt es auch unter tafel-ge.de