Gelsenkirchen. „Kann mir nicht mehr vorstellen, in Gelsenkirchen zu leben“: Autor und Comedian Bastian Bielendorfer geht hart mit seinem Geburtsort ins Gericht.

Für den gebürtigen Schalker Bestseller-Autor, Comedian und Wahl-Kölner Bastian Bielendorfer ist eine Rückkehr in seine Heimatstadt ausgeschlossen. „Ich kann mir nicht vorstellen, wieder in Gelsenkirchen zu leben“, sagt der 38-Jährige im Podcast „BrostCast - Reden übers Revier“ mit Hajo Schumacher. „In Gelsenkirchen wurde in den vergangenen 30 Jahren alles verschlafen.“

Andere Städte im Ruhrgebiet wie Essen oder Dortmund hätten sich besser entwickelt, Gelsenkirchen sei jedoch „das allerletzte Schlusslicht in allem“, urteilt der Erfolgsautor („Lehrerkind“, „Die große Pause: Mein Corona-Tagebuch“) und spielt damit auf die zahlreichen Städte-Rankings an, in denen die Emscherstadt stets besonders schlecht abschneidet. „Das ist einfach bedrückend!“

Die Entwicklung seiner Heimatstadt habe mit „politischem Stillstand, zu wenig Engagement von allen Seiten und fehlender finanzieller Unterstützung“ zu tun, meint Bielendorfer in dem Podcast der Brost-Stiftung. Und: Es gebe für das gesamte Ruhrgebiet keine Vision – „außer, dass man ein überdimensionales Bergbau-Museum daraus macht.“

Bastian Bielendorfer: „Hätte mir manchmal gewünscht, woanders als in Gelsenkirchen aufgewachsen zu sein“

Der Zustand der Stadt werde ihm dann besonders verdeutlicht, wenn Bielendorfer auf den Bühnen der Republik unterwegs sei. „Wenn ich in meinem Job als Comedian durch Deutschland toure und ich nach Regensburg oder Freiburg komme, Städte, die ein normales Stadtbild aufweisen, dann ist das so diametral zu dem, was man in Gelsenkirchen erlebt – in Bezug auf Stadtentwicklung, Erlebnismöglichkeiten, auf Sauberkeit, auf alles. Da hätte ich mir manchmal gewünscht, woanders aufgewachsen zu sein.“

„In Gelsenkirchen gibt es eine Art der Ghettoisierung“: Comedian und Erfolgsautor Bastian Bielendorfer 2021 in der Heilig-Kreuz-Kirche.
„In Gelsenkirchen gibt es eine Art der Ghettoisierung“: Comedian und Erfolgsautor Bastian Bielendorfer 2021 in der Heilig-Kreuz-Kirche. © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

„Wenn man ein paar Tage hier verbringt, fragt man sich: Auf was soll man denn hier stolz sein? Auf das desaströse Stadtbild? Auf die extrem hohe Arbeitslosigkeit? Auf das Aufkeimen der Rechten?“, fragt der gebürtige Schalker, der immer noch regelmäßig in Gelsenkirchen bei seinem Vater und seinen Freunden von früher zu Besuch ist.

Bastian Bielendorfer spricht von „Ghettoisierung“ in Gelsenkirchen

Während sich in anderen Städten eine „pluralistische und gemeinschaftliche Gesellschaft“ am Wirken in der Stadt beteilige, erlebe man in Gelsenkirchen „eine Art der Ghettoisierung“, so das „Lehrerkind“. Es gebe Stadtteile, in denen keine „Integrationsbemühungen seitens des Staates in den letzten 30 Jahren“ erfolgten. „Das ist aber nicht nur ein Problem von Menschen mit Migrationshintergrund, sondern letztlich ein Problem für alle Gelsenkirchener und alle Ruhrpottler.“

Selbst für den Stadtgarten, dessen 125-jähriges Jubiläum erst vor kurzem stolz gefeiert wurde, hat Bielendorfer keine positiven Worte übrig. Dieser sei „bis heute ein Ort, wo die Tauben sich freiwillig rückwärts von den Bäumen werfen.“

Bastian Bielendorfer: „Als Jugendlicher würde ich mich schnellstmöglich aus Gelsenkirchen verpissen“

Auch die fehlenden Angebote für junge Leute in der Stadt prangert der studierte Psychologe an. Bielendorfer, der selbst mit 18 aus Gelsenkirchen weggezogen ist und heute in Köln lebt, habe in seiner Jugend eigentlich nichts in Gelsenkirchen unternommen, sagt er. „Als Jugendlicher würde ich mir hier immer schnellstmöglich verpissen.“

Immerhin, das weiß Bielendorfer dann doch zu schätzen, sei das Großwerden in einer Stadt wie Gelsenkirchen förderlich für den Humor gewesen. Dieser sei geprägt „durch einen Blick auf die Realität, der hier definitiv weniger verkantet ist, als wenn man jetzt in Berlin-Grunewald aufgewachsen ist“. Die Menschen hier hätten eine „Geradeaus-Wech-Mentalität“. Daraus hätten auch bekannte, aus dem Pott stammende Unterhalter wie Torsten Sträter, Jörg Thadeusz und Micky Beisenherz geschöpft.

„So sollte keine gesunde Stadt aussehen“: „Lehrerkind“ Bastian Bielendorfer über Gelsenkirchen

Aus Bielendorfers Sicht zeigt der Blick zur US-amerikanischen Groß- und ehemaligen Autostadt Detroit, wie ein Neustart in der Region gelingen könne. „Als die Autoindustrie wegging, ist Detroit ähnlich wie Gelsenkirchen total verfallen. Bis man begann, komplette Gebäude für einen Euro zum Beispiel an Künstler abzugeben.“ Mit einem „radikalen Neustart“ habe man dann geschafft, die Stadt wieder nach vorne zu bringen. Dies, so Bielendorfer, müsse man auch in Gelsenkirchen in Angriff nehmen, in dessen Haupteinkaufszone der Autor nur noch „Ein-Euro-Shops“ und „Läden für abgelaufene Süßigkeiten“ wahrnimmt. „So sollte keine gesunde Stadt aussehen!“