Gelsenkirchen. Explodierende Preise für Lebensmittel und Sprit: Wie die Tafel Gelsenkirchen mit steigenden Ausgaben zurechtkommt. Zulauf Bedürftiger nimmt zu.

Inflation, explodierende Energie- und Spritpreise und dazu ein stärkerer Zulauf von Bedürftigen: Die Gelsenkirchener Tafel steht in diesen Wochen gleich in mehrfacher Hinsicht unter Druck. Wie der Verein damit zurechtkommt und welche Folgen das für die Kundinnen und Kunden hat? Geschäftsführer Hartwig Szymiczek redete auf Nachfrage der Redaktion Klartext – und listet Forderungen auf.

Die finanzielle Situation des 112 Mitglieder starken Vereins, sie habe sich verschärft: „Die monatlichen Ausgaben für Benzin haben sich in den vergangenen Wochen verdoppelt, und was die Betriebskosten-Abrechnungen für unsere gemieteten Objekte angeht, so rechnen wir mit deutlich spürbaren Nachzahlungen“, so Szymiczek.

Acht Kühlfahrzeuge sind es, die betankt und gewartet werden müssen, um gespendete Lebensmittel zu den sechs Ausgabestellen zu transportieren, über die wöchentlich 2500 Haushalte unterstützt werden. Dafür im Einsatz sind insgesamt zumeist ehrenamtliche 170 Frauen und Männer, davon 20 Beschäftigte über eine Jobcenter-Maßnahme und drei mit geförderten Arbeitsplätzen.

Discounter spenden Gelsenkirchener Tafel weniger Lebensmittel

Zugleich sinke die Menge der zur Verfügung gestellten Produkte. „Wir spüren schon länger die Tendenz, dass gerade Discounter Waren kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums mit dem Hinweis ,Ich bin noch gut’ günstiger verkaufen. Die fehlen uns natürlich.“ [Zum Thema: Damit Gelsenkirchener Kinder nicht hungrig lernen müssen]

Andererseits werde das Defizit zum Teil ausgeglichen durch größere Spenden aus dem Großhandel und von Herstellern. „Sie planen die Produktion ihrer Lebensmittel lange im Voraus und verkaufen sie dann nicht immer wie erwartet. Davon profitieren wir dann.“ Außerdem erhalte der Gelsenkirchener Verein teils große Spenden durch die Tafel-Landeslogistik, „manchmal sogar komplette Paletten.“ Untypische Engpässe bei bestimmten Produkten hat Szymiczek allerdings noch nicht festgestellt. „Dass wir derzeit weniger Obst und Gemüse im Angebot haben, ist um diese Jahreszeit leider immer so. Mit haltbaren Waren wie Reis und Nudeln werden wir ohnehin recht wenig beliefert.“

Zahl der Neukunden ist zuletzt um etwa 20 Prozent gestiegen

Insgesamt habe die Zahl der Kunden in den vergangenen Wochen um 10 bis 20 Prozent zugenommen, so Szymiczek. Dabei handele es sich um „Personen, die noch nie Kontakt zu uns hatten, aber die aktuellen Kostenexplosionen nicht mehr stemmen können.“ Da sie jeweils eine Obolus von zwei Euro für Lebensmittel zahlten, verzeichne der Verein entsprechend höhere Einnahmen.

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Es seien aber auch viele ukrainische Flüchtlinge darunter, welche staatliche Transferleistungen wohl beantragt, aber noch nicht bewilligt bekommen hätten. „Sie stehen in der Zwischenzeit ohne Geld da, was besonders denen zu schaffen macht, die privat irgendwo untergekommen sind. Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften erhalten ja drei Mahlzeiten am Tag.“

Gelsenkirchener Verein freut sich über breiten Rückhalt in der Stadtgesellschaft

Trotz steigender Kosten: In eine Existenz bedrohende finanzielle Schräglage drohe die Gelsenkirchener Tafel derzeit nicht abzurutschen. „Als relativ große Tafel haben wir das Glück, auf einen breiten Rückhalt in der Stadtgesellschaft, bei Unternehmen und Bürgern setzen zu können. Wir haben auch noch einige Rücklagen, die wir für die Aufrechterhaltung unserer Infrastruktur gebildet haben.“ Zuletzt hatte es Medien-Meldungen gegeben, wonach einige Tafeln in ihrem Bestand gefährdet seien.

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Dennoch schließt sich der Geschäftsführer der Forderung der NRW-Tafeln nach einem Landeszuschuss von 500.000 Euro an. Nötig sei die Finanzspritze nicht nur angesichts der gestiegenen Energiekosten und der Inflation, sondern auch „weil wir mit professioneller, kostspieliger Infrastruktur einen großen Beitrag dazu leisten, dass nicht noch mehr Lebensmittel vernichtet werden.“

Tafel-Café „Kaffeepott“ öffnet wieder nach zwei Jahren Pause

Nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause eröffnet die Tafel am Dienstag, 19. April, wieder ihr Café „Kaffeepott“ am Altstadt-Standort Hansemannstraße 16. Kundinnen und Kunden der Tafel, aber auch sonstige Interessierte sind alle 14 Tage dienstags eingeladen, sich zwischen 16 und 18 Uhr bei Kuchen und Kaffee auszutauschen.

Notwendig sei überdies, die Hartz-IV-Sätze anzuheben. Der verstärkte Zulauf bei den Tafeln zeige doch, „dass die Mittel nicht ausreichend sind.“ Die ehrenamtliche Arbeit der Vereine unterstütze zwar die Bedürftigen, „aber wir wollen andererseits auch nicht staatlich garantierte Anspruchsleistungen ersetzen.“