Gelsenkirchen. Lehrermangel: Erstmals muss an Gelsenkirchens Schulen beim Schulstart Unterricht gekürzt werden. Elternvertreter fürchten nun ein Dammbruch.

  • An Gelsenkirchens Schulen muss aufgrund des Lehrermangels erstmals schon beim Schulstart Unterricht gekürzt werden. Elternvertreter fürchten nun ein Dammbruch.
  • Die Elternvertreter und die GEW haben aber auch Ideen, wie man den Personalmangel an den Gelsenkirchener Schulen auffangen könnte.
  • Es geht ihnen dabei unter anderem um ein Listenverfahren bei der Besetzung von offenen Stellen oder eine bessere Bezahlung von Lehrkräften an allen Schulformen.

An Grund- und Förderschulen in Gelsenkirchen kann wegen des dramatischen Lehrermangels in diesem Jahr erstmals die Stundentafel nicht erfüllt werden, wird Unterricht gekürzt, um mindestens eine Stunde. Elternvertreter fürchten nun einen Dammbruch.

„Jetzt ist es ,nur’ eine Stunde Kunst oder Religion. Aber was kommt im nächsten Halbjahr? Es wird ja nicht besser“; befürchtet Daniela Isopp, Sprecherin der Grundschul-Elterninitiative. Zumal die vorhandenen Lehrkräfte extrem überlastet und damit krankheitsanfällig seien – was den Stundenausfall verstärken dürfte. Ganz zu schweigen von Corona, bei dem man ja auch diesmal nicht weiß, wie das Virus sich entwickele und wogegen man bislang nicht besser vorbereitet sei als im Vorjahr. [Zum Thema: 110 Lehrerstellen in Gelsenkirchen nicht besetzt]

Auch Stadtelternsprecher Jan Klug rechnet damit, dass die Unterrichtskürzungen schrittweise ausgeweitet werden: „An Förderschulen wird ja längst mehr gekürzt, bis zu vier Stunden in der Woche. Auch die Klassenstärke ist höher als eigentlich zulässig. Aber es gäbe ja nicht nur zu wenige Lehrer für kleinere Klassen, die sich Bildungswissenschaftler ohnehin dringend wünschen, sondern auch zu wenig Räume.“

Gelsenkirchener GEW zur Ungleichverteilung der Lehrkräfte: „Kann und darf nicht sein“

Im Gespräch mit der WAZ sind sich Elternvertreter und der Gewerkschafts-und Personalratsvorsitzende für Grundschulen, Lothar Jacksteit von der GEW, einig: Offene Stellen müssten künftig grundsätzlich über ein Listenverfahren besetzt werden, um den Lehrermangel nicht stadtintern zu verteilen, sondern landesweit eine gerechtere Versorgung zu erzielen. [Lesen Sie auch: Dramatisch viele Kinder müssen ihre Schule verlassen]

„Es kann und darf nicht sein, dass man in einer Stadt fast 100 Prozent Besetzung hat und in Gelsenkirchen unter 90 Prozent“, fordert Jacksteit. Beim Listenverfahren werden Bewerbern gezielt Stellen in unterversorgten Städten angeboten. Wer ablehnt, bekommt auch anderswo keine Stelle. Diese Maßnahme könne aber erst greifen, wenn die nächste Generation von Referendaren im November fertig wird.

GEW Gelsenkirchen kritisiert Landesregierung: „Geschehen ist kaum etwas“

„Seit zehn Jahren ist klar, dass zu wenige Lehrer ausgebildet werden. Als die ersten Flüchtlinge kamen, haben Prognosen das bereits gezeigt. Und wir haben die Talsohle noch gar nicht erreicht. Die kommt 2024/25. Wir haben Resolutionen nach Düsseldorf geschickt, demonstriert, doch geschehen ist kaum etwas“, klagt Jacksteit. Er sei aber zuversichtlich, dass die neue Ministerin das Problem wirklich angehe, dass der angekündigte Arbeitskreis mit drei Stufen für sofortige, mittel- und langfristige Lösungen Linderung schaffen werde. [Zum Thema: Worüber die Schulministerin in Gelsenkirchen nicht sprach]

Grundschul-Elternsprecherin Daniela Isopp, GEW- und Personalratsvorsitzender Lothar Jacksteit und Stadtelternschaftsvorsitzender Jan Klug beim Gespräch in der WAZ-Redaktion.
Grundschul-Elternsprecherin Daniela Isopp, GEW- und Personalratsvorsitzender Lothar Jacksteit und Stadtelternschaftsvorsitzender Jan Klug beim Gespräch in der WAZ-Redaktion. © funkemedien | Thomas Richter

Aber was kann schnelle Abhilfe schaffen? „Entlastung bei Verwaltungsaufgaben“, schlägt Jacksteit vor. Sekretariate seien aus Kostengründen abgebaut worden, Hausmeistern wurden Überstunden gestrichen, immer mehr Verwaltungsaufgaben müssen von Lehrkräften übernommen werden. Die dafür verwendeten Stunden fehlten für den Unterricht. „Unterstützungskräfte in der Betreuung des OGS, die den pädagogischen Kräften ermöglichen, mehr als reine Betreuung zu leisten“, schlägt Daniela Isopp vor. „Sozialarbeiter und Schulpsychologen sind heute unverzichtbar für Schulen. Aber auch davon gibt es ja zu wenige“, bedauert Klug.

Elternvertreter: „Gelsenkirchen hat die Schulen gut ausgestattet. Was fehlt, ist digitale Fortbildung“

Bei Sonderpädagogen ist die Lücke besonders groß. Die Zahl der Kinder mit Förderbedarf ist gestiegen „und der Numerus Clausus für Sonderpädagogik ist mangels Plätzen immer noch sehr hoch. Das Interesse bei Schulabsolventen ist groß, es fehlen aber die Plätze“, ist Klug überzeugt. Was könnte noch helfen? „Gleiche Bezahlung für Lehrer aller Schulformen wäre wichtig. Die Angleichung des Einstiegsgehaltes ist ja versprochen, binnen 100 Tagen nach Regierungsantritt. Das wäre dann zu den Herbstferien“, erinnert Klug an das Versprechen der Ministerin.

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Könnte auch eine weitere Attraktivitätssteigerung der Gelsenkirchener Schulen helfen? „Gemessen an der Finanzkraft der Stadt Gelsenkirchen sind die Schulen hier schon wirklich gut ausgestattet, es wird tatsächlich getan, was möglich ist. Digital sind wir sehr gut ausgestattet, besser als andere Städte. Was aber fehlt, sind Lehrerfortbildungen dazu“, urteilt Jan Klug, und die Grundschulvertreterin stimmt zu. Die digitale Fortbildung sei Landesaufgabe, wobei Gelsenkirchener Kompetenzteams auch selbst aktiv würden, versichert Jacksteit.

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Daniela Isopp stimmt grundsätzlich zu, würde sich aber wünschen, dass mehr kleine Renovierungen, die das Lernumfeld ebenfalls verbessern könnten, umgesetzt würden statt großer Pläne, die oft sehr viel Zeit brauchen: „Unsere Schule wurde sehr schön renoviert, das macht viel aus. Es muss ja nicht immer so üppig sein wie am Leibniz-Gymnasium, wo die Aula mit elf Millionen Euro saniert wurde. Etwas Farbe, Grün, so etwas hilft auch schon.“

Positiv: Beschulung von Flüchtlingen und Migranten in Gelsenkirchen gut organisiert

Die Beschulung der Zuwanderer und Flüchtlinge sei in Gelsenkirchen gut organisiert, betonen die drei. Alle Kinder bekommen zeitnah einen Platz, im Gegensatz zu Städten wie Duisburg, wo es Wartelisten gibt. Das allerdings mache den Unterricht in den Schulen nicht leichter, vor allem bei Heranwachsenden, die im Herkunftsland nie eine Schule besucht haben, gibt Klug zu bedenken. Dennoch sei es richtig, dass die Stadt so agiere.

Die Unterstützung durch Quereinsteiger gerade im Primar- und Förderschulbereich sieht Jan Klug dagegen kritisch. „Ihnen fehlt in der Regel die pädagogische Ausbildung, das kann nur eine Zwischenlösung in der akuten Not sein“, urteilt er.

In Gelsenkirchen konnten zum Schuljahresstart 110 Lehrerstellen nicht besetzt werden. Das führte zu stadtinternen Abordnungen und Unterrichtskürzungen, um an allen Schulen ein Mindestmaß an Unterricht zu ermöglichen. Auch aus dem Münsterland kamen wieder abgeordnete Pädagoginnen und Pädagogen, um für zwei Jahre in Gelsenkirchen zu unterrichten, bevor sie an ihre Wunschschule wechseln. Elternsprecherin Daniela Isopp regt Abordnungen für vier Jahre an, um den Lehrerwechsel mitten in der Grundschulzeit zu verhindern.

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Lothar Jacksteit fordert neben schnellen Maßnahmen gegen Lehrermangel, umgehend einen Schuldenschnitt für Städte wie Gelsenkirchen zu veranlassen, um der Stadt die Möglichkeit zu geben „den Rahmen zu schaffen für eine gute Bildung für die Kinder. Wir pfeifen aus dem letzten Loch – aber ich glaube, wir können schon gar nicht mehr pfeifen.“