Gelsenkirchen. Das erste WAZ-Interview mit den fünf Bezirksbürgermeistern der Stadt Gelsenkirchen hat hohe Wellen geschlagen. Jetzt zieht das Quintett Bilanz.
Als Marion Thielert, Thomas Fath, Dominic Schneider, Joachim Gill und Wilfried Heidl im Sommer 2021 auf Einladung der WAZ Gelsenkirchen zum XXL-Interview in die Redaktion kamen, war das Bezirksbürgermeister-Quintett fest entschlossen, insbesondere die gravierenden Probleme im Zusammenleben mit Zuwanderern aus Südosteuropa in Gelsenkirchen ungeschminkt anzusprechen.
Die fünf SPD-Politiker sahen zu diesem Zeitpunkt nichts geringeres als „die Zukunft der Stadt in Gefahr“. „Einige Menschen bulgarischer und rumänischer Herkunft sind integrationsresistent. Da, wo sich diese Menschen aufhalten, sind Müll, Ungeziefer, Lärm bis in die späte Nacht und Bedrohungen an der Tagesordnung.“ So formulierte es Thomas Fath, Bezirksbürgermeister im Süden. Ähnliches berichteten auch Joachim Gill (Bezirk West), Marion Thielert (Bezirk Mitte), Wilfried Heidl (Bezirk Ost), und Dominic Schneider (Bezirk Nord) aus ihren Quartieren.
Viel Zuspruch für Gelsenkirchener Bezirksbürgermeister
Dafür, dass sie „Tacheles geredet“ haben, haben die Bezirksbürgermeister von vielen WAZ-Lesern und auch parteiübergreifend sehr viel Zuspruch erhalten, wie sie berichten. SPD-intern habe es zwar auch „konstruktive Kritik“ daran gegeben, dass die Fünf ein Interview gegeben haben, ohne dies vorher mit der Partei abzustimmen. Unterm Strich hätten sie aber vor allem Zuspruch erfahren, beteuern die Bezirksbürgermeister.
Und heute? Was hat sich denn nun seit dem Sommer getan?
„Ich denke, wir haben einen Stein ins Rollen gebracht, das Problembewusstsein zumindest noch einmal geschärft“, sagt Dominic Schneider und verweist sogleich auf den Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung in Berlin. Darin aufgenommen wurde nicht zuletzt auf Drängen der Gelsenkirchener Verhandlungsteilnehmer der knappe Satz: „Wir schaffen ein Bundesprogramm zur Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe und Integration von Menschen aus (Süd)ost-Europa.“
Für Schneider und seine Kollegen immerhin ein Signal der Hoffnung, dass die Gesetze zur europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit so angepasst werden könnten, dass es eine Linderung der Probleme in Städten wie Gelsenkirchen bewirkt.
„Was tatsächlich passiert, müssen wir sehen und wir bleiben an dem Thema dran. Nicht zuletzt, weil es unser täglich Brot ist, weil es uns weiterhin jeden Tag beschäftigt“, bremst Thomas Fath sodann auch ein wenig den Optimismus seines Kollegen.
Bundesjustizminister will ausländischen Immobilienerwerbern das Geschäft erschweren
„Dieses Thema ist uns allen sehr wichtig“, hatte der neue Bundesjustizminister aus Gelsenkirchen, Marco Buschmann (FDP), kürzlich im WAZ-Gespräch unterstrichen. Armutsmigration hänge in Gelsenkirchen eng mit der Schrottimmobilienwirtschaft zusammen. „Wir werden uns daher ausländische Immobilienerwerber sehr viel genauer anschauen und ein Gesetz auf den Weg bringen, das künftig jeden Käufer dazu verpflichtet, eine ladungsfähige Adresse im Grundbuch zu hinterlegen. So können die Ordnungsbehörden schneller und effektiver gegen Verstöße vorgehen, insbesondere wenn es sich bei den Eigentümern um internationale Fonds mit unklarer Struktur handelt“, so Buschmann.
Womit – sollte Buschmanns Ankündigung tatsächlich umgesetzt werden – allen fünf Bezirksbürgermeistern schon geholfen wäre, wie sie sagen. In Erfahrung zu bringen, wem welches Schrotthaus gehört, welcher Vermieter sich in dem einen oder anderen Stadtteil nicht kümmert, sei sehr mühselig und auch nicht immer von Erfolg gekrönt, wie Winfried Heidl und Thomas Fath berichten. Heidl habe jetzt zumindest den Besitzer der Problemimmobilien an der Bruktererstraße in Erle ausfindig gemacht. „Den werde ich jetzt einladen, sich mit mir die Situation mal vor Ort anzusehen“, sagt Heidl und hofft auf Einsicht. Gute Erfahrungen hat er zuletzt bereits im Zusammenspiel der Stadtverwaltung, dem Jugendamt und dem Sozialamt gemacht. Alle Abteilungen würden sich bemühen, die Probleme vor Ort anzugehen.
Denn die Probleme, die das Quintett im Sommer angesprochen hat, die gibt es noch immer. „Mit Müllablagerungen vor bestimmten Häusern haben wir immer noch täglich zu kämpfen“, sagt Marion Thielert und denkt dabei etwa an die Kurt-Schumacher-Straße oder die Josefinenstraße in Schalke. „Bruktererstraße in Erle“, ruft Heidl ihr zustimmend zu, und Gill fügt die Markenstraße in Horst an, „auf der die Menschen immer noch Angst haben, ob nun berechtigt oder nicht.“ „Ziegelstraße in Ückendorf oder Saarbrücker Straße Ecke Schonnebecker Straße“, listet Thomas Fath noch auf und sagt: „Die Situation vor Ort hat sich überhaupt nicht gebessert.“
Verhältnis zur Polizei Gelsenkirchen habe sich gebessert
Tatsächlich besser geworden sei hingegen das Verhältnis zur Polizei. Zwar wünschen sich alle fünf Bezirksbürgermeister, dass die Landesregierung ihren Personalschlüssel so anpasst, dass die Wachen in den Quartieren wieder mit Bezirksbeamten belebt werden, die sich der Sorgen der Bürger vor Ort persönlich annehmen können. Unabhängig davon sei aber die Zusammenarbeit und der Dialog mit der Behörde deutlich vertrauensvoller und enger geworden, seit der neue Leitende Polizeidirektor, Peter Both, im Herbst seinen Dienst als als Nummer zwei im Präsidium angetreten hat, so das Quintett.
Das ändere zwar auch nichts daran, dass die Polizei nicht mehr Präsenz in den Quartieren zeigen kann, wenn nicht mehr Beamte zur Verfügung stehen, so wie es sich Joachim Gill beispielsweise weiterhin für Horst wünscht. „Wir haben aber den Eindruck, dass unsere Anliegen nun ernster genommen werden“, so die Bezirksbürgermeister.
„KOD und Gelsendiesnte leisten gute Arbeit“
Versöhnlich klingt auch, was die Politiker über den Kommunalen Ordnungsdienst und Gelsendienste zu berichten haben. Die Mitarbeitenden würden ihre Arbeit hüben wie drüben gut machen. Doch nütze es wenig, wenn die Problemverursacher nicht auf frischer Tat ertappt und dann auch empfindlich bestraft werden würden.
Ebenso wenig seien die wiederkehrenden Müllprobleme gelöst, wenn der Unrat an derselben Stelle ein ums andere Mal abtransportiert würde, ohne das es Konsequenzen für die Verschmutzer gibt. „Die denken doch sonst am Ende nur, dass die Straße der Ort sei, an dem man seinen Müll nur hinwerfen muss, weil andere das dann schon beseitigen“, schimpft Fath.
Diese Herausforderungen sehen die Bezirksbürgermeister 2022
Für das kommende Jahr erwarten die Fünf, dass sich die neue Bundesregierung und gegebenenfalls ab dem Spätfrühling eine neue Landesregierung stärker mit der Armutszuwanderung befassen und die Stadt in die Lage versetzen, mehr gegen Schrottimmobilien und die Folgeprobleme zu unternehmen.
- Auf dem Zettel hat Heidl darüber hinaus die Zentraldeponie Emscherbruch. Er erwartet schnellstmöglich eine eindeutige Aussage der AGR, einer 100-prozentigen Tochter des Regionalverbandes Ruhr, wann endgültig Schluss ist auf der Deponie. Zuletzt hatte die Bezirksregierung überraschend die Erweiterung der Zentraldeponie genehmigt. Heidl bedauert, dass die Stadt aus verwaltungsrechtlichen Gründen dagegen nicht selber klagen kann, steht aber voll hinter der Klage einiger Anwohner. Aus der BV Ost sei zuletzt zudem erneut ein Brief an Ministerpräsident Henrik Wüst geschickt worden, mit der Bitte, unverzüglich die Suche nach einer Ersatzdeponie zu starten. Bisher allerdings ohne Antwort.
- Marion Thielert wünscht sich „endlich den Abriss der Schrottimmobilien an der Josefinenstraße“, wie sie verrät. Die Schandflecken an der Robergstraße und der Ferdinandstraße seien dieses Jahr ja schon zum Glück abgerissen worden. Außerdem freut sich Thielert auf das Stadtteilerneuerungsprogramm für Schalke.
- Thomas Fath kündigt an, dass er sich mit voller Kraft für die Menschen einsetzen will, die die kirchlichen Leistungen in Rotthausen erhalten wollen, nachdem die Emmaus Gemeinde erklärt hat, sich aus Rotthausen zurückziehen zu werden, wie jüngst berichtet. „Ich gebe noch nicht auf. Das wäre ein Riss für Rotthausen, der tödlich wäre für den Stadtteil“, mahnt Fath.
- Dominic Schneider ist gespannt auf die Ergebnisse einer Machbarkeitsstudie, die unter anderem aufzeigen sollen, ob und wie das Rondell um die Urbanuskirche in Buer zu einer Gastro-Meile gestaltet werden kann.
- Joachim Gill freut sich über die Zusage, dass die Wache in Horst ab Januar wieder besetzt sein soll und das es in Horst bald wieder einen Präventionsrat geben wird.