Gelsenkirchen. . Freundschaften muss man pflegen, da sind sich Rüdiger von Schoenfeldt und Manfred Beck vom Fördervereins Büyükçekme einig. Die Frage ist, wie.
Rüdiger von Schoenfeldt, Ex-Polizeipräsident, ist Vorsitzender des Fördervereins der Städtepartnerschaft mit Büyükçekmece, Ex-Dezernent Manfred Beck Gründungsmitglied. Beide eint die Freundschaft mit Menschen aus der Türkei. Dennoch gehen sie derzeit unterschiedlich damit um. Im Gespräch mit WAZ-Redakteurin Sibylle Raudies erklären sie, warum.
Der Förderverein für die Städtepartnerschaft Gelsenkirchen-Büyükçekmece wurde vor zwölf Jahren gegründet. Warum?
Rüdiger von Schoenfeldt: Die Gründung des Fördervereins war für den OB Oliver Wittke damals eine ganz wichtige Voraussetzung für die Partnerschaft. Es war ihm wichtig, dass es keine Partnerschaft der Funktionäre wird, sondern dass sie fest in der Bürgerschaft verankert ist.
Manfred Beck: Ich kann mich erinnern, dass ich damals – etwa 2001 – mit Gerd Rehberg und Bürgermeister Hasan Akgün bei einem Eishockeyspiel über die Städtepartnerschaft gesprochen habe. So eine Partnerschaft funktioniert nur, wenn Vereine und Einrichtungen mitziehen sowie Menschen in der Bürgerschaft, die Netzwerke haben.
Schoenfeldt: Man braucht einen Motor, der die Dinge vorantreibt. Etwa bei den Schulpartnerschaften muss es immer jemanden geben, der einen Anstoß von außen gibt. Das ist eine Arbeit, die der Oberbürgermeister gar nicht leisten kann. Mich hat damals, noch als Polizeipräsident, auch vor allem die Internationalität interessiert. Gerade bei uns in Gelsenkirchen. Ich habe auch andere Städte zu Partnerschaften mit türkischen Städten beraten und da gesehen, dass es in anderen Städten deutlich schwieriger war als bei uns.
Gab es bei der Mitgliederzahl deutliche Schwankungen, seit Erdogans Macht wächst?
Schoenfeldt: Die Zahl stagniert derzeit bei 155 Mitgliedern. Wir haben 60 Prozent türkisch- und 40 Prozent deutschstämmige Mitglieder.
Herr von Schoenfeldt, Sie haben gesagt, Politik sei kein Thema im Verein. Geht das heute noch?
Schoenfeldt: Wir müssen zwei Aspekte beachten. Der eine ist die politische Situation, die natürlich auch bei uns im Verein diskutiert wird, den man gar nicht raushalten kann. Es gibt überwiegend Kritiker am derzeitigen System in der Türkei, aber auch einige Befürworter bei uns und dann natürlich heftige Diskussionen. Aber wir sind uns alle darüber im Klaren, dass das auf einer anderen Ebene als im Partnerschaftsverein stattfindet. Es gibt keine Stimme, die mir gegenüber geäußert wurde – außer deinen Anmerkungen, Manfred – „das muss sich auf die Städtepartnerschaft auswirken“. Es geht um einen Kontakt zu Freunden, da gibt es keinen Grund, das abzubrechen. Wenn wir weitere Freunde dazugewinnen können, wäre das auch gut. Natürlich hat jeder seine politische Meinung, Ich stehe dem System auch kritisch gegenüber, wie fast der gesamte Vorstand. Aber die Diskussionen über Politik finden ausschließlich außerhalb der Tagesordnung statt. Das sind zwei verschiedene Ebenen.
Beck: Es gibt Mitglieder, die seit drei Jahren nicht mehr in die Türkei reisen. Deutsch- und Türkischstämmige. Einige Kurdischstämmige hatten auch schon vor dem Putsch Probleme, Gülen-Anhänger spätestens seit dem Putsch.
Schoenfeldt: Ich kann das bestärken. Es gibt Türkischstämmige, die einfach Angst haben, noch in die Türkei zu reisen. Die fürchten, in einen nicht berechenbaren Prozess rein zu rutschen, sei es Verhör oder Festnahme. Unser Briefträger hat erzählt, dass er sich kritisch geäußert hatte über die AKP in den sozialen Medien, und ihm dann aus der Türkei geraten wurde, sich nicht mehr blicken zu lassen.
Beck: Aus gutem Grund. Der türkische Geheimdienst screent natürlich die sozialen Medien. Ich gehöre zu denen, die im Fall Deniz Yücel und Mesale Tolu sich auch öffentlich sehr deutlich geäußert haben.
Schoenfeldt: Von daher fand ich es völlig verständlich, dass du gesagt hast, ich nehme nicht teil.
Herr Beck, unterstützen Sie denn weiter die Arbeit des Vereins?
Beck: Die Absage war eine persönliche Entscheidung von meiner Lebensgefährtin und mir. Ansonsten bin ich der Meinung, dass der Kontakt weiter existieren muss. Ich habe ja Hoffnung, dass sich in der Türkei wieder etwas wandelt, dass das System Erdogan kein unendliches ist, angesichts der Tatsache, dass er sein Land auch wirtschaftlich isoliert und ruiniert. Man kann so eine Zeit nur überstehen, wenn man die zivilgesellschaftlichen Kontakte aufrecht erhält. Ich selbst halte mich derzeit mit persönlichen Kontakten über soziale Medien mit meinen Freunden in der Türkei zurück, um ihnen nicht zu schaden.
Warum muss man weiter hinfahren?
Schoenfeldt: Es ist uns auch wichtig, dass wir dort die Stadtregierung nicht zusätzlich im Regen stehen lassen. Wir haben beim vergangenen Besuch gemerkt, wie dankbar sie waren, dass wir die Städtepartnerschaft nicht in Frage gestellt haben. So eine Partnerschaft ist in der Türkei zudem sehr personengebunden. Wir haben mit dem Bürgermeister Dr. Hasan Akgün einen Partner, der dort alles möglich macht. Und der der Oppositionspartei CHP, den Kemalisten, angehört. Wenn der mal nicht mehr da ist, dann werden die Karten völlig neu gemischt. Man sagt, dass die CHP im Moment auch in Frieden gelassen wird, weil Erdogan zeigen will, dass er auch eine Opposition zulässt. Andererseits serviert er gerade auch unliebsame AKP-Bürgermeister ab. Da weiß man nicht, was auf einen zukommt.
Was wurde aus den bei der letzten Reise geknüpften neuen Kontakten?
Schoenfeldt: Bei den Schulen stockt die Partnerschaft. Die Gesamtschule Berger Feld betreibt einen Austausch auf Lehrerebene. Der Schüleraustausch ist noch nicht vollzogen. Ich kann die Eltern verstehen, auch wenn es ein Bauchgefühl ist. Wir konzentrieren uns gerade auf volljährige Schüler, wollen an Berufskollegs herantreten. Und wir haben einen Berufsaustausch mit einer Konditormeisterin der Bäckerei Zipper, die arbeitet gerade für zwei Wochen dort im Betrieb mit. Danach wird jemand von dort kommen und hier bei Zipper mitarbeiten.
Würden Sie heute wieder in die Türkei reisen?
Schoenfeldt: In diesen Zeiten nicht als Tourist. Aber 2019 fahren wir mit einer Delegation hin, dieses Jahr waren die Menschen aus Büyükçekmece hier. Wir nehmen auch gern Nicht-Mitglieder mit. Bisher wurden diese danach zumeist Mitglieder, weil sie so überwältigt sind von der Gastfreundschaft dort.
Beck: Ich nehme gerne an Treffen mit türkischen Delegationen hier teil und finde es auch gut, wenn unsere Delegation Besuche durchführt, auch mit Ratsvertretern.
Sollten Bürger die Türkei meiden, um Erdogan zu boykottieren?
Beck: Eine allgemeine Aussage ist schwierig. Wo Menschen persönliche Beziehungen aufgebaut haben, sollten sie sie weiter pflegen. Jeder muss selbst entscheiden, ob er in ein Land reisen möchte, das sich immer weiter von demokratischen Standards entfernt. Ich meine aber, dass alle, die hier leben und Erdogan gewählt haben, seinem Rat folgen sollten, ihre Euro in türkische Lira zu tauschen (lacht).
Schoenfeldt: Wobei es ja nur ein Viertel der hier lebenden Türkischstämmigen war, das Erdogan gewählt hat. Und teilweise haben einige jener, die nicht gewählt haben, das aus Zweifel getan an der geheimen Wahl. Sie fürchteten Probleme für die Familie in der Türkei, wenn sie dagegen stimmen. Aber es haben auch Menschen hier für ihn gestimmt, die sich strukturell benachteiligt fühlen. Die wegen ihres Namens nicht zum Vorstellungsgespräch geladen werden, sich in Deutschland nur halb akzeptiert fühlen. Da wirkt es, wenn aus der Türkei einer kommt, der ihnen sagt, ihr seid toll, ich bin euer Vater. Wir müssen versuchen, dieses Gefühl der Benachteiligung aufzubrechen.
Beck: Das stimmt. Prominente Beispiele sind ja die Gelsenkirchener Mehsut Özil und Ilkay Gündogan. Was kaum berücksichtigt wurde, ist die Verbindung dieser jungen Leute zur Türkei. Natürlich war es dumm, ein Trikot mit der Widmung „Mein Präsident“ zu übergeben. Aber es gibt wohl auch in der Nationalmannschaft und ihrem Umfeld Diskriminierung.
Schoenfeldt: Was mir auch Sorge macht, ist dass viele junge Türkischstämmige hier einen Hochschulabschluss erlangt haben, gut integriert sind und dann aufgrund irgendwelcher Erfahrungen in die Türkei abwandern, wo sie herzlich willkommen sind. Wir müssen daran arbeiten, dass man gerade die Guten hier hält. Wir brauchen sie doch.
Beck: Ich finde wichtig, dass auf allen Ebenen demonstriert wird, dass auch Menschen mit türkischen Namen in Deutschland eine Chance haben. In allen demokratischen Parteien, den Medien und der Wirtschaft gibt es medienwirksame Personen mit türkischen Namen.
Schönfeldt: Es ist auch ein wichtiges Signal in die türkische Community, dass wir für die persönliche Freundschaft stehen. Da helfen auch Veranstaltungen von uns hier wie die „Istanbuler Nächte“ auf dem Kanal, die schnell ausverkauft sind, zu zwei Drittel von türkischen Gästen. Man kommt da völlig vorbehaltlos ins Gespräch.