Gelsenkirchen. Einfach ein weiter so in der Partnerbeziehung mit Büyükcekmece ist schwierig. Den Wandel in der Türkei spüren auch die Akteure in Gelsenkirchen.
Die Freundschaft zwischen Gelsenkirchen und der türkischen Partnerstadt Büyükcekmece besteht seit 13 Jahren und ist gefestigt. Keine Frage für die Akteure. Aber einfach ein „weiter so“ in der politisch angespannten Lage kann es nach Meinung des Vorsitzenden des Fördervereins der Städtepartnerschaft, Rüdiger von Schönfeld, nicht geben. Der Ansicht ist auch Gelsenkirchens CDU-Bundestagsabgeordneter Oliver Wittke. „Wir müssen reden. Gerade in politisch schwierigen Zeiten, sonst können wir nichts verändern“, sagt er.
Von Schönfeld hatte keinen Kontakt mehr, seit die türkische Delegation im September in Gelsenkirchen war. Zehn Tage nach dem Putsch (die WAZ berichtete). 60 Prozent deutschstämmige und 40 Prozent türkischstämmige Mitglieder hat der Verein, dem zurzeit 150 Personen angehören. „Da gibt es politisch schon deutlich unterschiedliche Ansichten“, sagt er. Im Anfang sei es im Verein hoch hergegangen. „Da gab es Beleidigungen, es ging um die Ehre, es war eine anstrengende Geschichte, aber das alles hat uns nicht weitergebracht.“
Man hat sich im Verein auf einen pragmatischen Ansatz geeinigt
Man hat sich im Verein auf einen pragmatischen Ansatz geeinigt, die aktuelle Politik in der Türkei wird als Diskussionsstoff ausgeklammert. „Ich möchte nicht, dass es zur Zerreißprobe kommt, denn das kann durchaus an die Existenz des Vereins gehen.“ Durch Beiträge und Spenden stehen im Jahr 8000 bis 10 000 Euro für Austausche und Besuche zur Verfügung. „Es haben sich auch auf Schülerebene enge Freundschaften gebildet, wir haben eine sehr lebhafte Städtepartnerschaft, die ich für wichtig halte. Ich möchte da nichts riskieren“, betont der Vereinsvorsitzende. Man will weitermachen, so lange es geht. Für 2017 ist bereits ein weiterer Austausch geplant.
Oliver Wittke setzt als Bundestagsabgeordneter noch einmal andere Akzente. Es habe in der Partnerstadt vor kurzem ein großes Folklorefest gegeben, zu dem Delegationen aus 74 Ländern angemeldet waren. Gekommen seien in diesen politisch unruhigen Zeiten letztlich nur 30. Wittke hält einen solchen Rückzug für falsch. Für ihn ist es wichtig, jetzt erst recht Kontakte zu pflegen. „Vielleicht haben wir den Putschversuch nicht richtig eingeschätzt“, sagt er selbstkritisch. „Denn niemand will zurück zu einer Militärdiktatur und die Umtriebe der PKK werden auch in Deutschland nicht geduldet.“ Daran lässt der Abgeordnete keinen Zweifel.
Bei einer Partnerschaft spiele die Politik eine untergeordnete Rolle. Dennoch müsse man jetzt eher mehr als weniger miteinander reden. Wittke hinterfragt weiter kritisch das Verhalten der deutschen Politik, versucht eine Analyse der Gründe, die für die Entwicklung in der Türkei eine Rolle spielen. „Als Bomben auf das Parlamentsgebäude fielen, da hat es über Tage keine Verurteilung der Attentäter von deutscher Seite gegeben.“ Es sei doch klar, dass das in der Türkei sehr aufmerksam registriert werde.
Bei der Armenienresolution hat sich Oliver Wittke enthalten
„Ich habe mich auch bei der Armenienresolution des Bundestages der Stimme enthalten“, erklärt der Abgeordnete. Natürlich schätze auch er die Taten als Völkermord ein, „aber das liegt über hundert Jahre zurück. Wir müssen nach vorne gucken und endlich verinnerlichen, dass wir bei drei Millionen Türken in Deutschland immer auch über ein innenpolitisches Thema reden.“ Probleme in der Türkei seien eben nicht nur außenpolitisch einzuordnen. Das werde in Deutschland aber häufig vergessen.
Das Thema Politik hat Gerd Rehberg beim letzten Besuch ausgeklammert
Vereinsmitglied Gerd Rehberg war erst in der vergangenen Woche mit einem Freund in der Partnerstadt. „Ich habe nicht die Türkei besucht, sondern die Menschen“, stellt er fest. Ihm kam es zwar so vor, als ob große Plätze wie der Taksim-Platz in Instanbul oder berühmte Gebäude wie die blaue Moschee menschenleerer waren, aber das könne ja auch an der Jahreszeit liegen.
Das Thema Politik hat auch der Alt-Bürgermeister ausgeklammert. „Ich möchte niemanden in Verlegenheit bringen. Vor allem am Telefon sei es tabu, Politik ins Gespräch zu bringen. „Man weiß ja nie...“ Aber mit den Menschen dort, die man schon lange kennt, sei der Umgang wie immer freundschaftlich gewesen. „Wir sind wohlwollend aufgenommen worden. Ich habe sogar eine Einladung für eine Hochzeit bekommen. Die Sekretärin des Bürgermeisters heiratet.“ Und noch eine nette Geste hat ihn gefreut. Er, der Ehrenbürger von Büyükcekmece, durfte zur Eröffnung einer Atatürk-Ausstellung das Band durchschneiden. Ein Freundschaftsbeweis.