Essen. Mehr als 33 Millionen Kubikmeter Wasser fließen jährlich aus den Essener Haushalten und Betrieben in den Untergrund. 75 Kanalarbeiter der Stadtwerke sorgen Tag für Tag im unterirdischen Labyrinth für allzeit guten Fluss. Wir haben Sie bei ihrer Arbeit im Untergrund begleitet.

Die dunkle Brühe wälzt eine süßliche Mischung aus altem Fett, Chemikalien und faulem Schlamm vor sich her. Hin und wieder erahnt die aufmerksame Nase den Duft frisch gewaschener Wäsche, noch bevor ein kleiner Schaumpilz über die Wasseroberfläche tanzt. Mit lautem Getöse bricht das Wasser auf die Stufen des Kanalbodens hinab. Die bröckeligen Fugen des drei Meter hohen Rohrs unter dem Jahnplatz in Altendorf malen ein schwarzes Netz auf die Wand aus feuchten Steinen. Weit oben von der Decke wirft das kreisrunde Loch eines Gullydeckels diffuses Licht auf die Silhouetten der in dunkelblauen Arbeitsanzügen gekleideten Männer.

Tag für Tag kümmern sich rund 75 Mitarbeiter der Stadtwerke Essen um die Schattenlandschaft unter Tage und sorgen unter anderem dafür, dass alles, was die Toilettenspülung einmal mitgerissen hat, nie wieder ans Tageslicht kommt. 1460 Kilometer lang ziehen sich die steinernen Adern der Kanalisation wie ein unterirdisch gespiegeltes Stadtbild der Straßen durch Essen. Sie leiten die Abwässer der Haushalte, der Betriebe und das Regenwasser zu den Kläranlagen. Mehr als 33 Millionen Kubikmeter Wasser fließen jährlich aus den Haushalten und Betrieben in den Untergrund, was über 10.000 gefüllten WM-Schwimmbecken entspricht. Zusätzlich fallen 29 Millionen Kubikmeter Niederschlagswasser an.

Auf Kriegsfuß mit der Toiletten-Spartaste

Hin und wieder hat der triste Strom der Unterwelt auch kuriose Dinge im Gepäck: Ringe, Halsketten, der ein oder andere Schlüsselbund und einige Brieftaschen seien schon in der Forke hängen geblieben, erzählt Christoph Tiemann, der seit fast 15 Jahren für Ordnung in der „Unterwelt“ sorgt. Auch mit größeren Fundstücken können die Kanalarbeiter aufwaten: Kinderbuggies, Einkaufswagen, Stoßstangen oder Fahrräder. – Frei nach dem Motto „Gullydeckel auf und rein“.

„Jeder Essener verbraucht täglich im Schnitt 120 Liter Wasser“, erklärt Dirk Pomplun von den Stadtwerken. Zum Duschen, Waschen, Spülen und für die Toilette. Fragt man die Kanalarbeiter, dürfte es gerne mehr sein: „Die Spartaste an den Toiletten ist nicht gerade unser bester Freund“, sagt auch Pomplun. Denn je weniger Wasser der Kanal führt, desto mehr Dreck lagert sich auf dem Boden der Rinnen ab und muss von den Spülfahrzeugen oder den Arbeitern mit der Forke beiseite geräumt werden. „Unsere Pferdestärken sind das Wasser“, sagt Dirk Pomplun. Die bringen das auf Straße, was weggespült werden muss. So hat der regenreiche Sommer zumindest den Stadtwerken Freude bereitet.

Lebensgefahr durch plötzlichen Regen

Für einen extremen durch Starkregen verursachten Wasserüberschuss in den Kanälen gibt es in Essen rund 120 Rückhaltebecken, in die jeweils knapp 7500 Badewannen voll Wasser passen. „Solange die Kläranlagen überlastet sind, wird das Abwasser dort gespeichert“, erklärt Pomplun. Für die Kanalarbeiter kann plötzlicher Regen aber trotzdem Lebensgefahr bedeuten. „Bei einem Platzregen kann der Kanal innerhalb von weniger als einer Minute komplett voll laufen“, erklärt Christoph Tiemann. Daher bleiben die Kanaldeckel bei Regen geschlossen und die Arbeiter über Tage. Doch neben den plötzlichen Flutwellen lauern in der „Unterwelt“ noch weitere Gefahren. Abgesehen von der Infektionsgefahr sind die Faulgase, die aus der dunklen Brühe emporsteigen, besonders brisant. „Dafür haben wir diese Gaswarngeräte“, erklärt Tiemann und deutet auf den schwarzen Kasten, der an seinem Gürtel baumelt und regelmäßig die Luftkonzentration misst. „Sollte eine gefährliche Stufe erreicht werden, gibt das Gerät einen lauten Signalton von sich, und wir müssten den Kanal sofort verlassen“.

Den letzten Höchstwasserstand markieren geschwungene Kalkreste kurz unter der Decke. „Während des großen Unwetters am 9. Juni waren die Kanäle natürlich bis zum Rohrscheitel gefüllt“, erklärt Tiemann. Mittlerweile fließt die braune Brühe aber wieder nur noch gute 20 Zentimeter hoch durch die unterirdische Wasserstraße und zerrt hier und da an einem Zopf aus Toilettenpapier, Wattestäbchen und Lumpen.