Essen. . Die Stadt Essen hat sich um den Titel „Grüne Hauptstadt Europas 2016“ beworben und dazu in Brüssel eine umfangreiche Bewerbung abgegeben, die einen tieferen Einblick in Essens Umwelt ermöglicht. Der “Umwelthaushalt“ der Stadt umfasst rund 1,5 Milliarden Euro.

Der Himmel über der Ruhr ist wieder blau? Das wollen wir doch mal sehen. In Brüssel jedenfalls steht Essen zurzeit auf dem Prüfstand: Wie sieht es denn aus mit der Umwelt zwischen Kettwig und Karnap? Wo sind die Parks und Grünzonen? Wie steht es um die Luft- und Lärmbelastung?

Gibt es ein leistungsfähiges Bus- und Bahn-System? Und wie steht es um die Radwege? – Diese Fragen und andere stehen im Mittelpunkt, wenn es darum geht, wer „Grüne Hauptstadt Europas 2016“ wird. Ob dies Essen im ersten Anlauf gelingt gegen die elf Mitbewerber aus Polen, Italien, Spanien oder Frankreich, gilt als unwahrscheinlich, 2017 oder 2018 dürfte der Titel realistischer sein.

"Umwelthaushalt" der Stadt bei 1,4 Milliarden

Die Bewerbung bietet aber die Chance, sich ein Bild zu machen: Wie steht es denn nun um die Umwelt in dieser Stadt, die wieder eine wachsende Metropole werden möchte, die dazu beispielsweise einen Teil der täglich 130.000 Pendler überzeugen will, dass Essen Qualitäten hat, die andere Kommunen so nicht vorweisen können.

Natürlich hängt alles auch am Geld. Es ist nicht so, dass es allein eine saubere Umwelt schafft, aber es erleichtert die Sache doch ungemein. Die Zahlen, die das Umweltdezernat von Simone Raskob erstmals ausgerechnet hat, sind gewaltig: Von 2007 bis 2013 umfasste der „Umwelthaushalt“ der Stadt fast 1,4 Milliarden Euro.

Stadt finanziert 126 Millionen

Der Anteil, den Essen übernehmen musste, wirkt da doch bescheiden: Etwas mehr als 126 Millionen Euro finanzierte die Stadt. Der „Rest“ kam aus Berlin oder Düsseldorf, vom Ruhr- oder anderen Verbänden, von der Emschergenossenschaft, von VRR, Evag, oder von den städtischen Töchtern wie dem Allbau oder den Stadtwerken. Was natürlich den Schluss zulässt, dass die Essener über Miete, Nebenkosten, Gebühren, Umlagen, oder Stromrechnung ebenfalls beteiligt waren.

Was man mit dieser Riesensumme alles anfangen kann? Essen hat Radwege gebaut, Wege zum Wasser angelegt, die Mittel aus dem Konjunkturpaket abgerufen und in energetische Bauprojekte umgesetzt, beispielsweise am Gymnasium Überruhr. Grundschulen wurden saniert, dazu eine Vielzahl an Wohnungen, Schallschutzfenster konnten bezuschusst, Spielplätze erneuert werden. Straßen bekamen Flüster-Asphalt, so die Alfredstraße oder die Altendorfer Straße.

Investoren schaffen neue Grünzonen

Die Stadt kaufte Öko-Strom, Straßenlaternen wurden modernisiert, für die Evag Busse und Bahnen gekauft, Altlasten entfernt, so etwa in der Schönebecker Schlucht. Grün & Gruga baute ein Biomassekraftwerk im Grugapark, in neue Parks und viele Grünzonen flossen Millionen, beispielsweise in das Uni-Viertel oder den Niederfeldsee. Das Kanalnetz wird permanent erneuert, die Emscher renaturiert, oder neue Müllfahrzeuge für die EBE gekauft.

Zugegeben, der Umwelthaushalt ist weit gefasst, in vielen Fällen zwingen neue Gesetze oder strengere Umweltauflagen zur Investition, oft erfolgen sie auch aus rein wirtschaftlichen Gründen. Bei steigenden Energiepreisen fängt das gut gedämmte Haus wenigstens einen Teil der Kosten auf. Und dass die Emscher im Norden auf wenigen Kilometern durch Essen fließt, bereichert den Umwelthaushalt bis 2017 um eine halbe Milliarde Euro. Strengere Auflagen führten zu den neuen Kläranlagen an der Ruhr.

Bis 2020 Emissionen um 40 Prozent verringern


Ja doch, die Umwelt in einer Großstadt ist nie fertig, das zeigt der Ausblick: Rund 830 Millionen Euro sollen bis 2017 weiter in den Umwelthaushalt fließen, bei einem städtischen Anteil von gut 169 Millionen Euro. Was damit gemacht werden soll? Siehe oben! Und was damit erreicht werden soll? Lesen Sie weiter:


Bis zum Jahr 2020 will die Stadt ihre Emissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent verringern. Gut 27 Prozent sind bereits erreicht, eine weitere Million Tonnen Kohlendioxid müssen noch eingespart werden. Wie das gelingen kann? „Wir wollen mehr private Hausbesitzer überzeugen zu modernisieren“, sagt Umweltdezernentin Simone Raskob, um die jährliche Sanierungsquote von einem auf drei Prozent zu heben. Das Ende der Nachtspeicherheizung, der Ausbau erneuerbarer Energien (Solar, Windkraft), die Hoffnung darauf, dass noch mehr Essener auf Bus und Bahn umsteigen, das Rad nehmen oder Laufen könnten am Ende die eine Million Tonnen bringen. Dem Klima tät’s gut.

Verkehr soll vermieden und verlagert werden


Vielleicht ist dies tatsächlich der entscheidende Faktor beim Thema Klima und Luftqualität. Verkehr vermeiden, verlagern, optimieren, lautet das Ziel: Aktuell (Stand 2011) wählen täglich 54 Prozent der Essener für die täglichen Wege das Auto, 22 Prozent laufen zu Fuß, 5 Prozent schwingen sich aufs Rad, 19 Prozent entscheiden sich für Bus und Bahn. Man könnte sagen: Sieben Prozent der Fußgänger sind auf Bus und Bahn umgestiegen, denn bei der Pkw-Quote hat sich seit 1989 nicht viel getan.

Die ehrgeizigen Ziel liegen in weiter Ferne: Bis 2035 will die Stadt den Radler-Anteil am Verkehr auf 25 Prozent erhöhen, den Pkw-Verkehr auf 25 Prozent absenken. Die Evag dürfte noch am leichtesten ihre 25 Prozent erreichen, die neue 109 über den Beitz-Boulevard, die 105 nach Oberhausen, der barrierefreie Ausbau der Haltestellen und die neuen Niederflurstraßenbahnen werden weitere Kundschaft anziehen. Wie das bei den Radlern zu schaffen ist?

„Wir wollen unser Radwege-Netz weiter konsequent ausbauen“, sagt die Umweltdezernentin. Kupferdreh wird eine Radstation erhalten, am Bahnhof Kettwig soll ein Radtunnel her, die Machbarkeitsstudie für den 85 Kilometer langen Radschnellweg Ruhr von Dortmund bis Duisburg läuft. Für Fußgänger sollen künftig wieder breitere und attraktivere Gehwege in den Quartieren gebaut werden, eine „Stadt der kurzen Wege“ entstehen. So ist es in immer mehr Stadtteilen gelungen, die Discounter, SB-Märkte und Drogerie-Ketten zu halten und die Zentren vor Ort wieder zu beleben.

Essen ist grünste Stadt in NRW


Kaum zu glauben: Essen ist bereits die grünste Stadt in Nordrhein-Westfalen, die drittgrünste in ganz Deutschland, hinter Magdeburg und Hannover. Jeder zweite Essener erreicht heute bereits das „Grüne Wegenetz“ un-terhalb von 500 Metern. Absehbar soll dies für jeden Essener gelten.

Dabei hilft die Emschergenossenschaft mit der Renaturierung aller Köttelbecken bis 2020, weitere „Neue Wege zum Wasser“ entstehen, Geh- und Radwegeverbindungen will die Stadt ausbauen, Brachflächen sanieren und aufforsten, ein Alleenkonzept entwickeln. Das Baldeneysee-Konzept soll Essens grünsten Streifen weiter aufwerten. Und schließlich sollen die Essener wieder im See baden dürfen.

Richtwerte bei Feinstaub einhalten


Hier geht es ums Biotop, vor allem um die Heisinger Ruhraue, um den Artenschutz in einer Großstadt, um den Naturschutz in Land- und Forstwirtschaft, um die Balance zwischen urbanen und naturnahen Räumen, den ökologischen Umbau von Abwassergräben. Dafür hat Essen viel getan, heißt es in der Bewerbung, hier soll weiter verbessert werden. Die Stadt will weitere Auen schaffen, ehemalige Eisenbahnstrecken beispielsweise als Grünzug nutzen, die naturnahe Wald- und Gewässerpflege stärken.

Natürlich will die Stadt alle Richtwerte bei Feinstaub, Stickstoffdioxid & Co. einhalten, Was bisher nicht ganz gelingt, soll bis 2035 der Fall sein. Gleichwohl zeigt die Umweltzone Wirkung: Fast 90 Prozent aller Pkw in Essen fahren inzwischen mit grüner Plakette – die ab Mitte des Jahres verbindlich wird. Eine verbesserte Verkehrsführung, beispielsweise durch den geplanten A 40-Anschluss in Frillendorf, ein digitales Parkleitsystem (mit Umweltinfos) in der City oder eine lokale Brennstoffverordnung für Kamine sollen weiter helfen.

Essen wird leiser


Essen soll leiser werden, ab 2035 nicht über 55 Dezibel, nachts nicht über 45 Dezibel. Das geht nur auf den Hauptverkehrsadern mit Flüster-Asphalt und nachts über Tempo 30, über Lärmsanierungen an den Autobahnen, den Schienenwegen, über neue Fahrzeuge und sanierte Schienenköpfe bei der Evag. Die Bahn hat Pläne vorgestellt, ebenso Straßen NRW.

Die Recyclingquote liegt aktuell bei 34,5 Prozent, täglich fallen über 800 Tonnen Abfall und Wertstoffe in Essen an. Diese Menge soll weiter verringert werden. Warf jeder Einwohner 2006 noch 462 Kilo pro Jahr in die Tonne, waren es 2011 nur noch 399 Kilo. Und die sollen auch weiterhin zu Strom verbrannt werden.

Investitionen in Trink- und Abwasser


Das Wasser von Kölle ist gut? Das Wasser von Essen ist besser. Und soll noch besser werden: Rund 55 Millionen Euro investieren die Stadtwerke in die Wasseraufbereitung in Überruhr, die mit einer UV-Desinfektion arbeitet. Das „Essener Verfahren“ gilt in der Branche als beispielhaft.

Was beim Wasser gilt, gilt eigentlich auch beim Abwasser. Der Umbau des Emscher-Systems, die neuen Kläranlagen an der Ruhr, das Regenwasser-Management stehen hier im Mittelpunkt und werden zurzeit realisiert. Die Ruhr soll wieder Badesee-fähig werden, die Emscher 2020 wieder als Bächlein daherplätschern, der Anstieg des Grundwassers im Norden Essens gebremst werden.

Essen führend im "Grünen Sektor"

Die Umweltwirtschaft war vor zwei Jahrzehnten eigentlich noch gar nicht erfunden. Inzwischen gilt Essen im „Grünen Sektor“ im Ruhrgebiet als führend: 12.755 Beschäftigte sind in dieser Branche gemeldet, das ist ein Anteil von 5,6 Prozent an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Es könnten mehr werden: Angefangen vom Ausbau der E-Mobilität oder über Forschungsprojekte, beispielsweise der Universität Duisburg-Essen bei der Entwicklung von Unterflur-Pumpspeicher-Kraftwerken sollen neue Jobs entstehen.

Der Energiehunger Essens hat sich verringert, bei sinkender Bevölkerungszahl nicht ganz überraschend: Von 16,9 Terawattstunden in 1990 auf 14,8 im Jahr 2009 – ein Minus von 12 Prozent. Hier will die Stadt die eigene Sanierungsquote erhöhen, damit den eigenen Verbrauch und die Heizkosten eindämmen, über Klimaagentur und weitere Beratungsangebote aber auch die Quote bei den privaten Hausbesitzern erhöhen.

Mit der vom Bund finanzierten Klimaagentur sieht sich die Stadt gut aufgestellt. Jetzt soll eine neue „Klimakultur“ geschaffen, das Umweltmanagement für die Stadtverwaltung verbessert werden. Und nicht zuletzt will die Stadt das Budget für Umwelt- und Klimaschutz „auf hohem Niveau“ halten. Es würde die Sache jedenfalls erleichtern