Essen. . Am Sonntag findet der Bürgerentscheid um die Umbenennung zweier Essener Straßen statt. Ein Novum, denn es ist der erste Bürgerentscheid in Essen, der nur einen Stadtbezirk betrifft. Zudem kochten die Emotionen im Vorfeld hoch. Zum Abschluss des Wahlkampfs eine Analyse - und zwei konträre Kommentare aus der Redaktion.
Es ist eine Premiere, und deshalb sind alle vorsichtig mit Prognosen. Denn noch nie hat es in Essen einen Bürgerentscheid auf der Ebene nur eines Stadtbezirks gegeben, und noch nie zu einem geschichtspolitisch heiklem Thema. „Wir sind selbst gespannt, auf welche Zahlen wir kommen“, sagt Rüdiger Lohse vom Wahlamt. Er organisiert die kleine Wahl, bei der entschieden wird, ob die Von-Seeckt- und die Von-Einem-Straße in Ortrud- bzw. Irmgardstraße umgetauft werden.
Hürde von 6860 Stimmen
Die entscheidende Frage ist: Wird es mindestens einer der beiden gegnerischen Initiativen gelingen, die Hürde von 6860 Stimmen zu nehmen? 15 Prozent aller Stimmberechtigten muss hinter sich versammeln, wer in diesem Bürgerentscheid siegen will, in Rüttenscheid, Rellinghausen, Stadtwald und Bergerhausen sind 46 000 Bürger wahlberechtigt.
Einen Anhaltspunkt liefert die Zahl der Briefwahlanträge, die sich laut Wahlamt auf etwa 3800 einpendeln dürfte. Beim Bürgerbegehren gegen den Masterplan Sport 2007 betrug der Anteil der Briefwähler 31 Prozent. Ist dies bei den Straßen ähnlich, dann würden hochgerechnet rund 12 000 Essener zur Abstimmung gehen. Falls nicht eine Seite weit davon zieht, könnte es also knapp werden.
Von der Leidenschaft anstecken lassen
Vielleicht lassen sich aber auch mehr Wähler als gedacht von der Leidenschaft anstecken, die die Kontrahenten beseelt und die in den letzten Wochen zu einem hitzgen Wahlkampf geführt hat - wechselseitige Verletzungen inklusive. Deutsche Geschichte ist oft hochemotional, zumal wenn - wie hier - die NS-Zeit mitschwingt. Zahlreiche bundesweite Debatten zeigten, dass viele Deutsche dieses Thema aufwühlt, und von dieser Stimmung hofft vor allem das Netzwerk Ortrud und Irmgard zu profitieren.
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Die eindrucksvolle personelle Präsenz auf Straßen und bei Info-Veranstaltungen bewies: Wenn’s drauf ankommt, verstehen sich Grüne und Linke aufs Mobilisieren. Die SPD als dritte Partei im Bunde hat sich hingegen auffallend zurückgehalten, sieht man ab von Aktivisten aus dem Rüttenscheider Umfeld und einigen Mandatsträgern aus Bund, Land und EU. Umstritten in seiner Wirkung blieb das Hitler-Plakat, von dem sich am Donnerstag der SPD-Ortsverein Bergerhausen distanzierte: „Es schadet unserem Anliegen“, so Vorsitzender Lutz Coenen.
ProVon-Initiative hatte Anfangsvorteil
Den Anfangsvorteil hatte zunächst die ProVon-Initiative. Ihr flogen die Sympathien vieler Bürger zu, sie erhielt dann die mehr oder weniger engagierte Hilfe von CDU, FDP und Essener Bürgerbündnis (EBB), die ihre logistischen Möglichkeiten in die Waagschale warfen. Hauptantrieb blieb das Fremdeln mit den geplanten alt-neuen Straßennamen und die Empörung über die als rüde empfundene Art, wie Stadtteilpolitiker die Umbenennung durchsetzen wollten.
Der schwierigen inhaltlich-historischen Auseinandersetzung um Hans von Seeckt und Karl von Einem wich ProVon meist lieber aus. „Hat die Stadt nichts Wichtigeres zu tun als Straßen umzubenennen“, blieb eines der populärsten Argumente.
Welche Seite auch taktisch klüger agierte, wird der Sonntag zeigen.