Essen. Widmet sich die lokale Politik in Essen überhaupt jenen Themen, die den Bürgern wichtig sind? Diese Frage haben wir in unserem repräsentativen NRZ-Bürgerbarometer gestellt – und die sechs Ratsfraktionen anschließend um einen Kommentar zu den Ergebnissen gebeten.
Sie haben die ganze lokale Welt politisch in ihrer Hand: von A wie Arbeitslosen-Betreuung bis Z wie Zollverein, vom gewaltigen Milliarden-Schuldenberg dieser Stadt bis zur Frage, wo ein Blumenkübel in der Fußgängerzone wohl am besten zur Geltung kommt.
Und wer den Zeitaufwand kennt, den die Mitglieder im Stadtrat und den stadtweit neun Bezirksvertretungen investieren, wird die einstige Frontfrau der FDP, Georgia Kaiser, verstehen, die mal zu der Erkenntnis kam, als Putzfrau könne sie unterm Strich wohl mehr verdienen.
Ist Lokalpolitik den Bürgern unwichtig?
Aber widmet sich die lokale Politik überhaupt jenen Themen, die den Bürgern wichtig sind? Diese Frage haben wir in unserem repräsentativen NRZ-Bürgerbarometer gestellt – und die sechs Ratsfraktionen anschließend um einen Kommentar zu den Ergebnissen gebeten (siehe unten).
Denn die erweisen sich doch als einigermaßen ernüchternd: Zusammengenommen 18 Prozent der 521 Befragten mochten sich nicht äußern oder zuckten mit den Achseln – Zeichen dafür, dass ihnen die lokale Politik nicht sonderlich wichtig ist, was man ja auch an der schwachen Beteiligung bei Kommunalwahlen ablesen kann?
Kein Nord-Süd-Gefälle
Bei weiteren 33 Prozent herrscht der Eindruck vor, als arbeite die Essener Lokalpolitik an den eigenen Bedürfnissen vorbei, ein sehr hoher Anteil gibt den Kümmerern in der Vor-Ort-Politik durchschnittliche Noten. Und nur bei 20 Prozent der Befragten – das ist jeder fünfte – registrieren die Bürger eine gefühlte Nähe zur Politik, die sich ja als Kümmerer in lokalen Fragen versteht: ein eher schwacher Trost für die vielen aktiven Ehrenamtlichen, aber wie diese seufzend beteuern, für sie keineswegs überraschend.
Ein besonderes Nord-Süd-Gefälle in dieser Wahrnehmung spürbarer Bürgerferne gibt es übrigens nicht, wohl aber klare Unterschiede bei den verschiedenen Altersgruppen.
20- bis 29-Jährige die Zufriedensten
Den größten Anteil sehr oder durchaus zufriedener Bürger gibt es in der Altersklasse der 20- bis 29-Jährigen, den größten Unmut zieht sich die Lokalpolitik bei den 40- bis 49-Jährigen zu. Mal so, mal so – diese eher abwartende Haltung und mittelprächtige Einschätzung der Politik ist vor allem bei den Jüngeren (14 bis 19 Jahre) ausgeprägt, die unterm Strich auch die beste Durchschnittsbenotung liefern.
Der Anteil derer, die sich nicht äußern mögen oder die Frage mit „weiß nicht“ quittieren, ist bei den 30- bis 39-Jährigen und bei der Generation 70-Plus ausgeprägt. Dabei gelten Letztere als treue Wähler.
Das sagt die Politik zu den Ergebnissen:
SPD: Nur wir setzen Schwerpunkte
Zunächst einmal stelle ich fest, dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger mit der Ratsarbeit zufrieden ist. Begeisterung sieht aber sicherlich anders aus.
Die Ergebnisse des NRZ-Bürgerbarometers spiegeln ein Stück weit natürlich auch die Essener Situation wider: Ein Viererbündnis, das nur mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner arbeitet und wirkliche Entscheidungen vermeidet, trägt sicherlich nicht zu weniger Politikverdrossenheit bei.
Außer der SPD-Fraktion mit Kindern, Jugend, Bildung und Sport bekennt sich keine Partei zu einer eindeutigen Schwerpunktsetzung, die es ermöglichen würde, politische Ziele zu erkennen. So bleibt die Ratsarbeit in ihrer Richtung unklar und ein Vorwärtskommen ist nicht zu erkennen. Die Vermittlung von Inhalten wird dadurch schwierig.
CDU: Wir stellen uns komplexen Fragen
Oberbürgermeister Reinhard Paß hat mit dem Strategieprozess „Essen.2030“ für die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit angestoßen, sich persönlich in die zukünftige Gestaltung unserer Stadt einzubringen. Hierbei sind interessante Ideen entstanden, die aus der Mitte der Bürgerschaft kommen. Diese Ergebnisse werden wir in unserer Arbeit berücksichtigen.
Wie gut spricht die Essener Politik die Sprache der Essener Bürgerinnen und Bürger? So hätte auch eine Frage lauten können. Die Ergebnisse des NRZ-Bürgerbarometers zeigen, dass sich ein Drittel der Befragten nicht richtig von der „Politik“ verstanden fühlt. Dies ist noch dramatischer an der Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen abzulesen.
Kommunalpolitik hoch komplex
Aber Kommunalpolitik, gerade in einer Großstadt wie Essen, ist eine hoch komplexe Angelegenheit. Großstädte sind auch „Zukunftslabore“, weil sich hier viele Entwicklungen früher und konzentrierter abspielen als in anderen Teilen Deutschlands. Das gilt im Guten wie im Schlechten.
Viele Probleme sind in Großstädten wie unter einem Brennglas fokussiert: die Generationenfrage, Defizite im Gesundheitssystem, Herausforderungen im Bildungswesen, Kriminalität, Kinderarmut, Integrationsprobleme, Verschuldung öffentlicher Haushalte. Hier die Übersicht zu behalten, Lösungen zu erarbeiten und gleichzeitig die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, ist keine leichte aber notwendige Aufgabe.
Nur mit vielen Ehrenamtlichen, die sich für die Belange unserer Stadt einsetzen und einer qualitativen Berichterstattung durch die lokalen Medien werden wir diese Aufgabe stemmen können.
Grüne: Wir müssen Interessen abwägen
Grundsätzlich bin ich überzeugt davon, dass wir die zentralen Themen und Probleme dieser Stadt kennen und engagiert angehen. Kommunalpolitik muss allerdings in Zeiten knapper Kassen die verschiedensten Interessen und Themen auch auf ihre Finanzierungs- und Umsetzungsmöglichkeiten hin abwägen.
Insgesamt setzen wir auf ein hohes Maß an Bürgerbeteiligung zur Mitgestaltung der Stadt. Letztlich müssen die Themen, die die Bürgerinnen und Bürger und Interessenverbände an die Politik herantragen dann auch mit den gesamtstädtischen Interessen abgewogen werden.
Auch Bundes- und Landespolitik verantwortlich
Entscheidend ist für Grüne dabei, wie sich das Ziel einer ökologischen und sozial nachhaltigen Stadtentwicklung realisieren lässt, von der möglichst viele Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt profitieren können. Auch dieses Anliegen wird möglicherweise nicht immer die Interessenlage aller Bürger dieser Stadt abdecken.
So fordern beispielsweise die Einen mehr Straßenbau, die Anderen ein verbessertes ÖPNV-Angebot. Die, die sich etwa für ein gutes ÖPNV-Angebot interessieren, werden sicherlich ihre Anliegen eher bei uns aufgehoben sehen. Schade ist, dass sich manche Probleme nicht auf kommunaler Ebene lösen lassen, sondern in der Verantwortung der Bundes- und Landespolitik liegen.
FDP: Wir sind Anwalt der Bürger
Lokalpolitik lebt von den Themen, die sozusagen in der Nachbarschaft auf der Straße liegen. Wir befassen uns mit den Themen, die wir selbst sehen bzw. auf die wir angesprochen werden. Deshalb haben immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt. Wir freuen uns über jede Info. Bitte sprechen Sie mich oder meine Kolleginnen und Kollegen an.
Selbstkritisch möchte ich anmerken, dass es uns manchmal passiert, dass wir in den unpersönlichen Sprachstil der Verwaltung verfallen. Daran müssen wir alle arbeiten, wenn wir die Menschen mitnehmen wollen – wir Liberale wollen das und verstehen uns als „Anwalt der Bürger“.
Deshalb setzen wir uns für eine solide und zukunftsfähige Politik ein. Wir wollen die Steuern und Gebühren, die die Menschen zahlen müssen, möglichst gering halten und setzen uns für gerechte Chancen für unsere Jugend ein. Unsere liebens- und lebenswerte Stadt soll auch künftig als „Motor im Revier“ für Wohlstand, Wachstum, Kultur und eine attraktive Stadtentwicklung stehen – das ist mein Essen.
Linke: Politik ist keine Konsumanstalt
Das Ergebnis überrascht mich nicht. Sie könnten aber genauso gut fragen, ob sich die Essener Lokalpresse insgesamt den Themen widmet, die die LeserInnen für wichtig halten. Die Abozahlen sprächen dagegen.
Ernst bei Seite: Kommunalpolitik sollte doch wohl das Ringen um bestmögliche Gestaltung in einem immer individualisierten Gemeinwesen sein. Schwierig. Nicht nur, weil sie „ehrenamtlich“ gemacht werden muss, sondern auch, weil sie unmittelbar mit den Konsequenzen des eigenen Tuns, aber viel mehr mit der zumeist lebensfremden Politik der Landes- und Bundesebene konfrontiert ist.
Themen, die persönlich wichtig werden
Trifft dieser Sachverhalt auf eine Gesellschaft, die seit Jahrzehnten vom etablierten Mainstream gemäß des neoliberalen „TINA-Prinzips“ (There Is No Alternative) entpolitisiert, getäuscht und durch allerhand gefährliche legale Drogen (Glotze) teils verblödet wirkt, also auch politisch unterbildet ist, überraschen solche Ergebnisse nicht.
Natürlich widmet sich Kommunalpolitik insgesamt Themen, die am Ende des Tages auch für die meisten persönlich wichtig werden. Wäre unter allen Befragten immerhin klar, dass Kommunalpolitik und Demokratie keine Konsumanstalt sind, die alle 4 bis 5 Jahre brav wählt, in der gemeckert, aber am Ende wieder gekuscht wird, wären wir schon weiter. In diesem Sinne: „Engagiert Euch!“
EBB: Einmischen ist Bürgerpflicht
Das Ergebnis des NRZ-Bürgerbarometers macht die Kluft zwischen Rathaus und Interessenhorizont der Bürgerinnen und Bürger deutlich. Auch ein partielles Desinteresse an Kommunalpolitik ist leider unverkennbar. Davon zeugt ja auch die geringe Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen.
Das Bürgerbarometer bestätigt unsere eigenen Erfahrungen. Doch für das ESSENER BÜRGER BÜNDNIS ist „Einmischen Bürgerpflicht“. Der Abbau von Politik- und Politikerverdrossenheit hat für uns hohe Priorität. Bürgerbeteiligung ist für uns keine Alibi-Veranstaltung. Die Bürger sollen ihre Bedürfnisse ungeschminkt einbringen.
Aktives Einbringen beim EBB
Deshalb bietet EBB seit Jahren u. a. die ESSENER BÜRGER DIALOGE an. Dieses Angebot findet immer regeren Zuspruch. Gerade in unserer Wählergemeinschaft sind – anders als in den starren Strukturen der Parteien – die Chancen, sich aktiv einzubringen, groß.
Außerhalb des ritualisierten Politikbetriebs der Parteien ist bei uns breiter Raum, Bürgerinteressen zu artikulieren. Auch Kandidatinnen und Kandidaten für eine bürgernahe Politik sind uns zur Kommunalwahl 2014 herzlich willkommen.