Essen. Sie hatte eine schlimme Diagnose, dachte: „Du kannst einen Grabstein bestellen.“ Doch die Selbsthilfegruppe stärkte die schwerkranke Essenerin.

Sie war jung und frisch verliebt, als eine Krebsdiagnose im Jahr 2018 all ihre Pläne zunichtemachte. Trotz zahlloser Therapien gaben die Ärzte ihr schließlich nur noch wenige Monate zu leben. Heute ist Kristina Hardt 35 Jahre alt und möchte wieder an ihr altes Leben anknüpfen. Die Selbsthilfe stärke sie dabei. Darum wirbt sie nun für den Selbsthilfetag von Universitätsmedizin Essen und LVR-Universitätsklinik am Samstag, 20. April.

Uniklinik Essen riet der Patientin zur Selbsthilfegruppe

Die Leidensgeschichte der damals 29-Jährigen begann mit einem malignem Melanom (schwarzer Hautkrebs) an der rechten Bauchseite. Der bösartige Tumor wurde im Januar 2018 entfernt, doch der Krebs sollte mehrmals zurückkehren. Im Laufe von vier Jahren hatte Kristina Hardt neben Operationen, auch Bestrahlung, Immun- und zielgerichtete Therapien. „Ich rannte von Facharzt zu Facharzt, las Studien zum Thema, konnte auf Augenhöhe mit den Ärzten sprechen.“

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Kristina Hardt war gewohnt, sich wissenschaftliche Kenntnisse anzueignen: Als sie erkrankte, hatte sie schon ein Studium der Ernährungswissenschaften abgeschlossen und arbeitete an ihrem Master. Diesen Abschluss sollte sie nicht mehr schaffen. Sie kümmerte sich nun um Therapien; wechselte zur Behandlung an die Uniklinik Essen, als sie sich im ersten Krankenhaus nicht gut aufgehoben fühlte, und sie entdeckte als Erste die neuen Tumore. „Ich denke, ich habe mir mehrmals das Leben gerettet.“

„Ich denke, ich habe mir mehrmals das Leben gerettet.“
Kristina Hardt, Krebspatientin, eignete sich viel Fachwissen über ihre Krankheit an und entdeckte neue Tumore selbst.

Geholfen habe ihr auch, dass sie gut aufgehoben war: „Meine Eltern und mein Bruder haben mich unterstützt, mein Partner stand absolut hinter mir.“ Doch nach vier Jahren, in denen sie sich unglaublich viel Wissen angelesen hatte, bemerkte sie, dass sie ihrer mentalen Gesundheit weniger Aufmerksamkeit geschenkt hatte.

Es fließen Tränen – aber es wird auch gelacht

Laden zum gemeinsamen Selbsthilfe-Tag: Nora Hermanns (l.), Projektmitarbeiterin am Institut für Patientenerleben der Universitätsmedizin Essen, und Dr. Venja Musche, Psychologin an der LVR-Universitätsklinik.
Laden zum gemeinsamen Selbsthilfe-Tag: Nora Hermanns (l.), Projektmitarbeiterin am Institut für Patientenerleben der Universitätsmedizin Essen, und Dr. Venja Musche, Psychologin an der LVR-Universitätsklinik. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

So nahm sie zunächst die psycho-onkologische Beratung wahr, besuchte ab Mail 2022 die Selbsthilfegruppe am LVR-Universitätsklinikum und weist mögliche Klischees vorsorglich zurück: „Man sitzt da nicht im Stuhlkreis und weint, sondern man tut etwas.“ Obwohl auch Tränen geflossen seien.

In der ersten Zeit habe sie mehr den Erzählungen der anderen zugehört und davon profitiert: „Ich habe mich in ihren Worten oft gesehen gefühlt.“ So als es um das Fatigue-Syndrom ging, das für viele Patienten ein großes Thema sei. Auch sie habe sich oft unendlich erschöpft gefühlt und nun benennen können, was sie plagte.

Selbsthilfetag mit vielen Workshops

Zum 4. gemeinsamen Selbsthilfetag laden die Universitätsmedizin Essen und die LVR-Universitätsklinik am Samstag, 20. April, von 10 bis 16.30 Uhr in das Lehr- und Lehrzentrum der Uniklinik an der Virchowstraße 163a ein.

Angeboten werden dann Workshops, beispielsweise zu Musiktherapie, Praktischer Selbstfürsorge, Therapeutischem Schreiben, Selbsthilfe in der Psychiatrie oder Yoga, Atmung und Meditation. Dazu gibt es einen „Markt der Möglichkeiten“ und eine „Oase des Rückzugs“.

Das Programm findet sich auf: www.patientenerleben.de/veranstaltungen/

Anmeldung telefonisch unter 0201 723 8188 oder per Mail an: selbsthilfe@ume.de

Heute ist Kristina Hardt „in Remission“, es sind also keine Tumorzellen in ihrem Körper nachweisbar. Unter Nebenwirkungen leide sie weiterhin. Auch darum sei sie froh, dass die Klinik immer wieder auf Unterstützungsangebote und Selbsthilfe hingewiesen habe. Wenn sie jetzt anfange sich zu bewerben, um ins Berufsleben zurückzukehren, fühle sie sich durch die Selbsthilfegruppe gestärkt. Die Mitglieder seien auch über WhatsApp und Facebook eng vernetzt. „Man bekommt viel positive Rückmeldung, und es hilft, wenn jemand etwas einordnet.“ Auch, um sich klarzumachen, dass nicht alle Probleme auf den Krebs zurückführen sind.

Erst las sie nur von Katastrophen, dann schöpfte sie neuen Mut

Auch Marion Blaue Özkale hat erlebt, wie heilsam Selbsthilfe ist. Die heute 67-Jährige hatte sich ein Jahr lang von der Intensivstation Schritt für Schritt ins Leben zurückkämpfen müssen, nachdem bei ihr ein Aneurysma geplatzt war. „Ich konnte kaum laufen, kaum sprechen. Der Weg zurück war sehr, sehr hart.“ Gerade halbwegs genesen, wurde auch bei ihr ein malignes Melanom festgestellt. Sofort begann die Krebsbehandlung an der Uniklinik Essen. 14 Operationen und diverse Therapien liegen hinter ihr, jetzt ist sie in der Nachsorge.

Ihr erster Kontakt mit der Selbsthilfe lief gründlich schief: Marion Blaue Özkale, die bis dahin wenig mit sozialen Medien zu tun hatte, sah sich die Posts von Betroffenen auf einer Facebook-Seite an und war schockiert: „Da war nichts Positives, nur Katastrophen. Ich dachte: ,Wofür quälst Du Dich noch, Du kannst auch gleich einen Grabstein bestellen.‘“ Ihre Tochter sagte, sie solle die Gruppe unbedingt verlassen.

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Ihre Ärztin habe sie dagegen ermuntert, mal zu einem Gruppentreffen zu gehen, um die anderen Betroffenen persönlich zu treffen. Zwar hatten auch die teils schwere Verläufe, „aber sie sagten: ,Wir haben überlebt.‘ Da keimte wieder Hoffnung in mir auf.“ Sie sei froh über den wunderbaren Austausch: „Wir haben da nicht geweint, sondern gelacht.“ Und wenn eine neue Therapie anstand, hätten die anderen Gruppenmitglieder sie dazu beraten, ihr Ängste nehmen können, erzählt die 67-Jährige.

Dankbar für jeden Tag, den sie begrüßen kann

Betroffene könnten einander wertvolle Ratschläge geben, bestätigt Nora Hermanns vom Institut für Patientenerleben der Uniklinik: Aus eigener Erfahrung hätten sie ganz anderes Fachwissen als die behandelnden Ärzte. Längst gebe es daher an der Uniklinik vielfältige Selbsthilfeangebote: „Vom Patientencafé bis zur Gruppe für Angehörige, da auch die von der Krankheit mit betroffen sind.“ Selbsthilfe werde oft mit psychischen Erkrankungen verbunden, dabei sei sie auch für andere Patienten ein wichtiges Unterstützungsangebot, schon wegen des Zusammenspiels von Körper und Psyche, ergänzt die Psychologin Dr. Venja Musche von der LVR-Universitätsklinik. „Der Austausch hilft.“

So geht es auch den beiden Krebspatientinnen, die selbst schwere Verluste erlebt haben: Der Vater von Kristina Hardt und der Mann von Marion Blaue Özkale sind gestorben. Und beide Frauen müssen noch lange mit einer Rückkehr des Krebses rechnen. „Nicht jeder Tag ist Friede, Freude, Eierkuchen“, sagt die Ältere der beiden. Doch sie sei nun viel dankbarer für alles, was sie habe, genieße es viel mehr und sage sich jeden Morgen: „Du bist noch da.“

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