Essen-Werden. Im bischöflichen Mariengymnasium in Essen hängen zum „Pride Month“ Fahnen der LGBTQ+*-Bewegung. Was die Aktion von drei Schüler*innen bewirkt.
Der Juni ist der „Pride Month“ – auch im katholischen Mariengymnasium in Werden. Im Forum der Schule hängen 13 Fahnen der LGBTQ+*-Bewegung. Die Flaggen repräsentierten schwule, lesbische, bisexuelle, pansexuelle, asexuelle, aromantische, transgender, intersexuelle, nicht-binäre, polyamore oder genderfluide Menschen. Anstelle der üblichen Morgenandacht gab es vor den Ferien Informationen und Gedanken zu den verschiedenen Spielarten von Liebe und Sexualität geteilt.
Schulleiterin unterstützt explizit die queere Aktion
Sie sind pansexuell, non-binär und transgender. Die drei Schüler*innen Finn Hanke, Lau Jacob und Philipp Lauenburger werben für Verständnis, mehr Toleranz und Offenheit. Finn ist 16, wohnt in Kupferdreh und kommt nach den Ferien in die Q1 des Mariengymnasiums. Der Schülersprecher sprach mit den SV-Lehrern und fand Unterstützung für einen Pride Month, explizit auch bei Schulleiterin Christiane Schmidt. Das war Finn besonders wichtig: „Unser Gymnasium hat doch eher ein katholisch-konservatives Image. Aber hier geht es gar nicht so streng zu. Religion kann man hier auch progressiv leben.“
Die Progress-Pride-Flag ergänzt die klassische Regenbogenfahne um deutlich mehr Aspekte wie Intersexualität, People of Color und von Aids Betroffene. Das reiche aber nicht, fand Lau Jacob aus Ratingen, 18 Jahre alt und bald in der Q2: „Zum ersten offiziellen Pride Month an unserer Schule wollten wir zumindest zwölf weitere Fahnen aufhängen, die zum Nachdenken anregen.“
Über Gruppen informieren, die Diskriminierung erfahren
Jeden Morgen wurden per Lautsprecheranlage von Schüler*innen und SV-Lehrer Dominique Arndt Texte verlesen, die die spezifischen Label erklärten. Finn lächelt: „Natürlich war uns klar, dass da Fragen und Diskussionen aufkommen.“ Und viele echt doofe Kommentare, findet Philipp Lauenburger.
Der 16-jährige Werdener kommt nach den Ferien in die Q2: „Teils gab es hirnverbrannte Äußerungen. Aus meiner Stufe haben mich einige Leute tatsächlich gefragt, warum wir nicht auch eine Hetero-Fahne aufhängen.“ Was antwortet man da? „Dass es uns schon wichtig ist, über Gruppen zu informieren, die alltäglich Diskriminierung erfahren.“ Was Lau grundsätzlich sieht: „Es geht hier um Menschenrechte. Da macht man einfach keine blöden Witze drüber.“ Immerhin wurden keine Fahnen abgehängt oder gar beschädigt.
Texte zu queeren Themen als täglicher Morgenimpuls
Doch Texte zu queeren Themen als täglicher Morgenimpuls einer vom Bistum getragenen Schule? Absolut sinnvoll, bekräftigt Schulseelsorger Gregor Lauenburger: „Die ganze Schule, auch die Unterstufe, soll erfahren, dass hier im Mariengymnasium Platz für alle ist. Dass wir hier zusammenstehen. Wer nämlich Religion als Schutzmantel für Diskriminierung nutzt, ist total auf dem falschen Dampfer. Wer das Evangelium versteht, der unterstützt diese Initiative.“
Queere Gemeinschaft
Die Abkürzung LGBTQ*+ steht für die englischen Begriffe für lesbisch, schwul, bisexuell, trans und queer und schließt zusätzlich alle Menschen ein, die sich auf eine bestimmte Weise mit der queeren Gemeinschaft identifizieren.
Der Juni ist der weltweite „Pride Month“. Die Pride-Paraden werden oft als unterhaltsame Veranstaltungen der LGBTQ-Community wahrgenommen.
Doch im Kern sind es Demonstrationen und Proteste. Sie erinnern an eine am 28. Juni 1969 aus dem Ruder gelaufenen Polizei-Razzia in der „gay bar“ Stonewall Inn in der Christopher Street in New York.
Philipp wird von der Pansexualität-Flag repräsentiert: „Das bedeutet, dass ich Jeden lieben kann, gleich welcher Geschlechteridentität.“ Was Lau noch präzisiert: „Pansexuell zu sein, bedeutet für mich, mich zu Menschen aufgrund des Charakters und der Persönlichkeit hingezogen zu fühlen, unabhängig von ihrem Geschlecht. Ich stehe eben nicht auf alles und jeden. Auch die nichtbinäre Flagge repräsentiert mich. Ich wurde als Frau geboren, aber ich fühle mich weder als Frau noch als Mann.“ Man müsse biologische Geschlechter von Identitäten trennen.
Identitätsfindung war ein schmerzlicher Prozess
Diese Identität zu finden, war für Finn ein schmerzlicher Prozess: „Meine Fahne ist die Trans-Flag. Man dachte elf Jahre lang, ich sei ein Mädchen. Aber das stimmte nicht. Bis dahin hatte ich da gar nicht drüber nachgedacht.“
Doch wie bei vielen anderen fing mit der Pubertät die Geschlechtsdysphorie an: „Mein Körper passte nicht zu mir. Mich störte, dass ich mit falschem Namen und Pronomen angesprochen wurde. Ich war doch ein Junge. Mit 14 habe ich mich geoutet.“ Die drei Jahre des Selbstfindens waren sehr fordernd: „Ich war falsch. Intensiver Selbsthass überschattete alles. Ich musste erst den Mut finden, zu mir selbst zu stehen. Aber anders hätte ich nicht glücklich werden können.“
Das sei auch die Motivation für das Fahnenprojekt. Dabei gehe es nicht darum, gerade Jüngere zu verschrecken, betont Finn Hanke: „Aber sie sollen nicht dasselbe erleben müssen wie ich. Wenn ich damals von Anfang an gewusst hätte, dass ich normal bin, so wie ich bin, wäre mir viel erspart geblieben. Uns geht es auch überhaupt nicht darum, anderen zu suggerieren, dass sie uns mit unbedachten Äußerungen verletzten könnten. Es geht darum, ein Grundverständnis zu erwecken.“
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