Herne. Hannah aus Herne ist nicht-binär. Das heißt: Hannah fühlt sich keinem Geschlecht eindeutig angehörig. Ihre Grundschulzeit war eine Tortur.
- Hannah ist nicht-binär.
- In ihrem Alltag wird sie deswegen oft diskriminiert.
- In der Kirche wurde ihr beispielsweise das Abendmahl verwehrt.
Schon als Kind trägt Hannah in der Kirche am liebsten Anzüge. Kleider mochte sie noch nie. Und warum finden eigentlich plötzlich alle Mädchen die Jungs so toll? Für Hannah unverständlich. Sie hat viel eher ein Auge auf die Referendarin geworden. Heute sind die Haare von Hannah kurz abrasiert, sie trägt ein weites Hemd, das die Figur verdeckt, und Socken mit Regenbogen-Muster.
Hannah fällt auf – und das schon seit der Kindheit. Hannah ist nicht-binär. Das heißt, sie fühlt sich nicht eindeutig einem Geschlecht angehörig. An manchen Tagen fühlt Hannah sich mit den weiblichen Attributen an ihrem Körper wohl. An anderen Tagen möchte sie ihre Kurven verstecken, ist genervt, wenn plötzlich die Periode einsetzt.
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Dass Hannah anders ist als andere Kinder, hat sie schon früh in der Kindheit gemerkt, erzählt Hannah. Die Grundschulzeit ist für sie deshalb eine Tortur: Mobbing gehört zum Alltag – sowohl durch die Schülerinnen und Schüler als auch durch Lehrerinnen und Lehrern. Heute ist die 21-Jährige in einer Traumatherapie, um all das, was ihr damals widerfahren ist, zu verarbeiten.
Nicht-binär: Familie reagiert auf Outings positiv
In der weiterführenden Schule dann findet sie endlich Anschluss, fühlt sich akzeptiert und baut sich einen Freundeskreis auf. Mit 14 Jahren outet sie sich als lesbisch. „Ich wusste schon viel früher, dass ich lesbisch bin, habe mich dann mit 14 aber endlich getraut, es auszusprechen.“ Einige Freundinnen und Freunde habe sie dadurch zwar verloren, andere hingegen seien geblieben „und das ist die Hauptsache“. Vor zwei Jahren dann das zweite Outing: Hannah ist nicht-binär. „Auch das war mir früher klar, aber ich wusste nie, wie ich mein Gefühl bezeichnen soll.“ Auch ohne geschlechtsangleichende OP und ohne Namensänderung kann sie sich als nicht-binär definieren.
Ihre Familie reagiert auf ihre Outings positiv, „sie haben mich immer unterstützt“. Die ältere Schwester vermittelt ihr schon früh, dass es völlig normal ist, nicht auf Jungs zu stehen und gibt ihr Infomaterial vom Beratungszentrum Rosa Strippe in Bochum. „Das ist nicht selbstverständlich“, weiß Hannah. Viele, die in einer ähnlichen Situation seien, würden oft von Familien ausgeschlossen nach solch einem Outing. Nachdem sie sich die Haare ganz abrasiert hatte, seien die Eltern zwar kurz erschrocken gewesen, nun sei das aber auch kein Thema mehr. „Als die Haare endlich ab waren, ist mir eine enorme Last von den Schultern gefallen.“
Hannah erlebt im Alltag immer wieder Diskriminierung
Aber nicht alle Menschen reagieren so positiv darauf, dass Hannah endlich so lebt, wie sie leben möchte. Neben dem Mobbing in der Grundschule erfährt sie auch jetzt im Alltag immer wieder Diskriminierung. So schildert sie eine Situation in einem Zug auf dem Weg von Dortmund nach Wanne-Eickel. Aufgrund ihres androgynen Aussehens hätten sie vier Männer immer wieder verbal angegriffen, sie sei als krank und psychisch labil bezeichnet worden. „Niemand außer uns war im Zug und die Schaffnerin war nicht aufzufinden – ich hatte wirklich Angst.“ Außerdem sei sie bereits angespuckt worden, nur weil sie regenbogenfarbene Accessoires getragen habe. Meistens seien es Männer – egal welchen Alters, sozialer Herkunft oder Ethnie – die sie beleidigten oder Gewalt androhten.
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Deswegen sei es ihr ein großes Anliegen, dass sich vor allem am Hauptbahnhof Wanne-Eickel etwas verändere: Dort sei es zu dunkel und es gebe vor allem abends kein Sicherheitspersonal, das im Notfall helfen könnte.
Nicht-binär: Pfarrer verwehrt Hannah das Abendmahl
Ein weiteres großes Thema in Hannahs Leben ist die Kirche. Katholisch aufgezogen, geht sie lange Zeit jeden Sonntag in die Kirche – im Anzug. „Ausgerechnet die Kirche war damals mein safe space (deutsch: sicherer Raum).“ Als sie damals merkt, dass sie vielleicht homosexuell sein könnte, will sie sich das zunächst nicht eingestehen. In ihrem Zwiespalt entscheidet sie sich dafür, ihre „Sünde“ zu beichten und einen Rat vom Pfarrer zu erhalten. Den bekommt sie nicht, stattdessen eine Bestätigung ihrer Ängste. „Das ist nicht normal, ich soll dagegen ankämpfen, hat der Pfarrer mit damals gesagt.“ Einige Beichten später, verwehrt der Pfarrer ihr plötzlich während eines Gottesdienstes das Abendmahl. „Das war der Punkt, an dem ich der Kirche – meinem einzigen safe space zu dem Zeitpunkt – den Rücken gekehrt habe.“ Bis heute steht Hannah der Institution Kirche kritisch gegenüber. Mit Gott spreche sie zwar immer noch ab und zu, aber das nicht in einem Kirchengebäude.
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Mit ihrer Geschichte möchte sie jetzt endlich aufklären. „Es ist wichtig, dass das Thema mehr an die Öffentlichkeit kommt“, sagt Hannah. „Die Aufklärung sollte bereits in der Schule anfangen.“