Essen. Podiumsdiskussion in Essen: Ein Transsexueller erzählt seine Geschichte. Und ein hoher Bistums-Vertreter findet überraschend deutliche Worte.

Ahmed (Name geändert) war früher ein Mädchen und ist heute ein Mann. Der 23-Jährige sprach jetzt vor Jugendlichen in seiner alten Schule, dem Gymnnasium Nord-Ost in Essen. Ahmed, der aus einer arabischen Familie kommt, berichtete in bemerkenswerter Offenheit von seiner Transsexualität, seinem Zweifel, seinem Glauben, und dass ihm seine Mutter bis heute den Tod wünscht.

Das Gymnasium Nord-Ost veranstaltet regelmäßig Podiumsdiskussionen für die Oberstufenschüler; immer geht es dabei um gesellschaftlich wichtige Themen mit Gästen von auswärts. Diesmal kamen unter dem Motto „Geno spricht“ der ehemalige Schüler zusammen mit Frank Müller, SPD-Landtagspolitiker aus Essen, und dem Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer. Pfeffer ist nach dem Bischof sozusagen der zweite Mann im Ruhrbistum.

„Schon im Kindergarten merkte ich, dass ich irgendwie anders bin“

Niemand käme auf die Idee, dass Ahmed mal ein Mädchen war. Er sitzt da in grünem Kapuzenpulli, trägt eine Hornbrille und plaudert darüber, wie mies er sich als Kind im Kindergarten gefühlt hat: „Ich wollte kein Kleidchen tragen. Ich wollte keine Kleidung einkaufen gehen. Ich wollte draußen im Matsch spielen, und schon damals merkte ich, dass ich irgendwie anders bin.“

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Ahmed arbeitet heute als Krankenpfleger. Vor dreieinhalb Jahren entschied er sich dazu, das zu werden, was er - gefühlt - schon immer ist: ein Mann. „Ich wollte endgültig diesen Weg gehen, das Versteckspiel aufhören, das Verkleiden. Immer, wenn ich Kleider trug, fühlte ich mich schwul. Es fühlte sich an wie Karneval. Je mehr ich mich weigerte, mich wie ein Mädchen zu benehmen, desto weiblicher wollten mich meine Eltern haben.“

Noch heute stehen Mord-Drohungen im Raum

Das Outing in der Familie endete folglich mit massiven Drohungen. Als er sich offenbarte, sagten sie ihm: „Du beschmutzt die Familienehre, wenn du dein Geschlecht änderst.“ Die Mutter kündigte an: „Ich werde deine Brüder dazu bewegen, dich umzubringen.“

Im Pädagogischen Zentrum des Gymnasiums Nord-Ost ist es totenstill, als der 23-Jährige offenherzig seine Lebensgeschichte erzählt. Sein Vortrag wird unterbrochen von spontanem Applaus, und als Ahmed zu Ende erzählt hat, löchern ihn die Jugendlichen mit Fragen: Ja, er muss nach der Operation Hormone nehmen, „das werde ich mein Leben lang tun müssen.“ Ja, er wurde operiert, man nennt es „Geschlechtsanpassung“. Ja, er hat eine Freundin. Ja, er steht auf Frauen. Und seine Mutter? „Zu ihr habe ich keinen Kontakt mehr.“ Auch seine frühere, beste Freundin verkraftete die Entscheidung von Ahmed nicht, ein Mann zu werden, und brach die Verbindung ab.

Gewissenskonflikte: „Ist das gegen Gott, wenn ich anders sein will?“

Ahmed ist religiös. „Ich habe lange gedacht, Gott wollte mich als Mädchen haben, also kann ich mich dem nicht widersetzen. Doch irgendwann wurde mir klar: Es ist mein Leben. Und es ist nicht gegen Gott, wenn ich das tue, von dem ich weiß, dass es richtig für mich ist.“

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Ist die Frage des eigenen Geschlechts eine Entscheidung, die man trifft? Überraschend klare Worte fand Klaus Pfeffer, Generalvikar des Ruhrbistums. Pfeffer berichtete, noch bewegt zu sein von einem Besuch in einer Essener Familie. Dort beginne gerade der Prozess, dass die jugendliche Tochter zum Mann werden will. „Ich habe gelernt“, räumte Pfeffer ein, „dass es mit dem Geschlecht nicht so einfach ist. Es ist nicht so, dass es nur Mann und Frau gibt und der Rest ist der Teufel.“

Ahmed hatte Depressionen

Seine Kirche, bekannte Pfeffer, tue sich mit dem Thema Trans- und Homosexualität „immer noch sehr schwer.“ Pfeffer habe verstanden, dass die Frage der geschlechtlichen Identität „keine Entscheidung ist, die man mal eben trifft, sondern immer spürt.“ Und wenn da jemand spürt, eigentlich nicht im richtigen Körper zu leben, „dann löst das unendliches Leiden aus.“

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Wie bei Ahmed, übrigens: Er litt als junge Frau an Depressionen. Folglich war der Schritt, seinen Körper anzupassen, „eine echte Befreiung. Ich bin jetzt endlich ‘raus aus dem Gefängnis.“