Essen. Essens Ordnungsdezernent spricht über wachsenden Park-Streit, einzelne Stadtteile und warum er puristisches Handeln ablehnen muss.
Einen Parkplatz zu finden, kann in dicht besiedelten Essener Stadtteilen wie Rüttenscheid oder Margarethenhöhe eine komplizierte Aufgabe sein. Es gibt zwar viele legale Parkplätze, doch wer einen solchen nicht ergattern kann, weicht gerne auf kreative Lösungen aus: Parken in zweiter Reihe, halb oder ganz auf dem Gehweg, halb oder ganz in einem Baumbeet oder auf dem Radweg – all dies und noch einiges mehr lässt sich beobachten. Der städtische Ordnungsdezernent und Christdemokrat, Christian Kromberg weiß: „In Essen gibt es zu viele Autos und zu wenig Parkmöglichkeiten.“
Wie ist die Parksituation in Essen aus Ihrer Sicht?
Wir haben eine Art Dilemma-Situation. Der öffentliche Parkraum ist zu knapp, bezogen auf die Masse der Fahrzeuge, die zuletzt immer größer geworden ist. Die Essener und Essenerinnen können beziehungsweise – was auch ihr gutes Recht ist – wollen nicht auf ihr Auto verzichten. Und die Fahrzeuge müssen nun mal geparkt werden.
Gibt es seitens der Stadt ein Konzept, wie man mit dem Parkdruck umgehen kann?
Klar, wir haben eine Parkraumbewirtschaftung, die dazu dienen soll, dass Parkverhalten zu steuern. Es gibt zudem Anwohnerparkregelungen und die Pflicht, bei Neubauten Stellplätze auf dem privaten Grundstück nachzuweisen. So sollen möglichst Verkehre aus dem öffentlichen in den privaten Raum verlagert werden, damit der Verkehr beim Parkverhalten nicht implodiert.
In Essen wächst die Fußgänger-Fraktion
Gibt es eine Pflicht, diese Stellplätze oder Garagen für Autos zu nutzen?
Wenn in einer Garage ein Auto nicht mehr abgestellt werden kann, etwa weil sie vollgestellt ist mit anderen Dingen, dann ist das eine Ordnungswidrigkeit. Aber ich kann niemanden dazu verdonnern, in seine Garage reinzufahren. Ich appelliere dafür, Stellplätze auf privatem Grund zu nutzen und den öffentlichen Parkraum so zu entlasten.
Der öffentliche Parkraum ist aber sehr belastet. Das zeigt auch die Zahl der Privatanzeigen, die seit Jahren steigt. Macht Ihnen das Sorge?
Ich bin seit zehn Jahren Dezernent. In den ersten Jahren habe ich nur Briefe bekommen, weil ich irgendjemandem ein Knöllchen aufgedrückt habe. Das war sehr einseitig, uns wurde Abzockermentalität vorgeworfen. Das hat sich gewandelt. Es gibt eine wachsende Anzahl von Personen, die das Recht, unbeschwert zu Fuß zu gehen sehr massiv einfordert und sagt, dass wir zu milde mit Parkverstößen umgehen.
Diese Gruppe wirft Ihnen regelmäßig vor, Sie würden nichts dagegen tun, dass Autos den öffentlichen Parkraum blockieren.
Wir leiten jeden Tag Ordnungswidrigkeitsverfahren ein und schleppen auch Autos ab. Für die Überwachung des ruhenden Verkehrs stehen 56 Stellen zur Verfügung. Die Kollegen und Kolleginnen sind jeden Tag draußen, erblicken die Situation in einer unglaublichen Geschwindigkeit und gehen entsprechend vor. Wir machen unseren Job. Unsere Erfahrung ist aber auch: Wenn man die Leute verwarnt, hält das immer nur ein paar Wochen vor, deswegen müssen wir immer wieder nachlegen.
Gesetz gibt bei Gehwegparken Möglichkeit für Ermessensspielraum
Dabei gehen Sie aber nicht stringent vor.
Im Strafrecht gilt das Legalitätsprinzip. Wenn jemand eine Straftat begeht, muss diese geahndet werden. Im Ordnungsrecht hingegen gilt das Opportunitätsprinzip, also besteht ein Ermessensspielraum. Man kann eine Abwägung treffen. Bei einem körperlichen Angriff kann man kein Auge zudrücken und es gibt ein Strafmaß. Bei Ordnungswidrigkeiten gibt uns der Gesetzgeber die Möglichkeit, von einer Ahndung abzusehen, wenn Gründe des Allgemeinwohls dagegensprechen. Paragraf 47 des Ordnungswidrigkeitsgesetzes besagt, dass die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde liegt.
Was bedeutet das mit Blick aufs Gehwegparken?
Das Parken auf einem Gehweg ist eine Ordnungswidrigkeit, egal ob mit einem halben, einem ganzen, zwei oder allen Rädern. Es wird nicht dadurch legal, dass wir es im Einzelfall nicht ahnden. Es ist ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Das möchte ich deutlich betonen. Wir kommen immer öfter in die Situation, dass wir uns rechtfertigen müssen, dass wir beim Gehwegparken eingeschritten sind, so wie zuletzt an der Schornstraße im Südviertel. Der Weg ist aber ein anderer: Gehwegparken ist verboten, unter gewissen Umständen dulden wir es.
Wann dulden Sie es nicht?
Es sollte gehandelt werden, wenn Rettungskräfte nicht mehr durchkommen, wenn eine Daseinsversorge durch die Entsorgungsbetriebe nicht mehr gewährleistet werden kann und auch, wenn Menschen mit Behinderungen oder Kinderwagen nicht mehr in der Lage sind durchzukommen. Das ist aber eine Einzelfallentscheidung. Es ist zuletzt ein bisschen der Eindruck entstanden, dass man 1,20 Meter auf dem Gehweg Platz lassen muss, und dann ist alles legal. Es ist aber rechtswidrig.
Stadt Essen hat nur begrenzt Personal, um Verstöße beim Gehwegparken zu ahnden
Wann dulden Sie Gehwegparken?
Das kommt eben auf jeden Einzelfall an. Grundsätzlich habe ich nur begrenzte Ressourcen, also Personal zur Verfügung, um Verstöße zu ahnden. Das eigentliche Ziel, reibungslose Verkehre, keine Unfälle, wenige Behinderungen etc. sollte trotzdem möglichst optimal erreicht werden. Wir denken uns was dabei, wo wir Kontrollen durchführen und wie. Wir schauen uns auch immer den Stadtteil in Gänze an. Rüttenscheid ist zum Beispiel anders zu beurteilen als Bredeney.
Weil in Rüttenscheid der Parkdruck höher ist?
Ich erwarte von jedem, dass er so lange sucht, bis er rechtmäßig parken kann – überall. In Bredeney findet man dann gegebenenfalls einen Parkplatz. In Rüttenscheid wird man als Anwohner oder Anwohnerin manchmal aber auch keinen Parkplatz im öffentlichen Raum finden.
Dann setzen Sie auf den Burgfrieden, wie Sie zuletzt erklärt haben. Sie hoffen, dass sich die Leute miteinander arrangieren. Haben Sie das Gefühl, dass dieser Burgfrieden bröckelt?
Mein Gefühl sagt mir, ein Stück löst sich dieser Burgfrieden in dem ein oder anderen Stadtteil auf, weil es andere Bedarfe gibt oder der Parkdruck zu hoch wird. Mit Blick auf unsere vorhandenen Ressourcen konzentrieren wir uns auf Stadtteile, wo wir präsent sein müssen, weil es dort nicht mehr durch bürgerliche Selbstverwaltung funktioniert, sondern nur noch mit städtischer Intervention. Würden wir in Rüttenscheid nicht kontrollieren, würde Rüttenscheid nicht mehr funktionieren. Da würde an manchen Stellen kein Krankenwagen mehr durchkommen.
Welche Stadtteile zählen noch dazu?
Margarethenhöhe; da gibt es so gut wie keine andere Möglichkeit, als auf dem Gehweg zu parken, weil die Straßen vielfach sehr schmal sind. Wenn wir dort für jedes Fahrzeug ein Verfahren einleiten würden, wäre dort Parken so gut wie unmöglich. Bis vor einigen Jahren habe ich von dort fast nie Beschwerden gehört. Das hat sich geändert, also schauen wir jetzt verstärkt hin und entscheiden, was zu tun ist.
„Manche erwarten puristisches Handeln, doch das sieht der Gesetzgeber nicht vor“
Können Sie noch einen anderen problematischen Stadtteil benennen?
Auch in Haarzopf habe ich zuletzt öfter festgestellt, dass es Probleme gibt. Man kann dann puristisch vorgehen und jeden ahnden, oder man kann sich die einzelnen Situationen anschauen und beurteilen, ob Feuerwehr und Rollstuhlfahrer noch gut durchkommen, ob Büsche auf den Gehweg ragen oder das Auto kurz vor einer Kurve steht und somit die Sicht behindert. In der Innenstadt dulden wir beispielsweise gar kein Gehwegparken, weil es keinen Parkdruck gibt. Es gibt genügend bewirtschafteten Parkraum. Manche erwarten von uns puristisches Handeln, das ist aber vom Gesetzgeber nicht vorgesehen.
Die Statistik zeigt, dass der Burgfrieden zu bröckeln scheint, denn die Zahl der privat angezeigten Parkverstöße steigt seit Jahren. Sind Sie glücklich darüber?
So etwas führt zu sozialem Unfrieden. Sich gegenseitig anzuzeigen sollte eine Ausnahme sein, wenn eine unerträgliche Situation vorgefunden wird. Ich bin der letzte, der dazu aufruft, sich gegenseitig anzuzeigen.
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Begrenztes Personal beim Ordnungsamt, zu viele Autos, zu wenige Parkplätze. Auch die Parkraumbewirtschaftung bringt nicht die Lösung. Also zurück auf null: Was muss passieren?
Bei gewollten Veränderungen wie der Verkehrswende, kann das Ordnungsrecht nur flankierend unterstützen. Wenn die Bürgerinnen und Bürger Fahrzeuge haben und im Stadtteil parken wollen, müssen beispielsweise Parkhäuser gebaut werden. Dafür braucht es aber Platz und Geld.
Man könnte auch die Preise für das (Anwohner-)Parken erhöhen oder Lösungen wie die aus der Kalkstraße flächendeckend einführen, also mehr Gehwegparken erlauben.
Ich finde, man sollte die Leute nicht für legales und ordnungsgemäßes Verhalten bestrafen, deswegen bin ich kein Freund von zu hohen Parkgebühren. Aber wer „Mist baut“, der muss auch zur Kasse gebeten werden. Letztendlich muss eine ganze Reihe von Lösungen her. Das ist im Model-Split-Thema enthalten, das der Rat entschieden hat. Im Ergebnis will man bis 2035 weniger Individualverkehr haben – jeweils 25 Prozent Autoverkehr, Radverkehr, ÖPNV und Fußverkehr. Die Lösung muss der Komplexität des Themas gerecht werden.
Essens Ordnungsdezernent hofft auf autonomes Fahren
Womit könnte man Sie überzeugen, aufs Auto zu verzichten?
Am allerbesten wäre es, wenn ich mir per App ein selbstfahrendes Fahrzeug bestellen könnte. Das würde mich dann von der Haustür abholen, am Rathaus absetzen und dann weiterfahren. So könnte ich mich auf der Fahrt auf den Arbeitstag vorbereiten, ich hätte es gemütlich und warm. Das würde ich in Anspruch nehmen und so könnten wir die Zahl der Fahrzeuge in Essen massiv reduzieren. Die Fahrzeuge könnten die ganze Zeit unterwegs sein, abgesehen von der Zeit, in der sie geladen werden. Sie bräuchten gar keinen Parkplatz und das Thema wäre erledigt.
Autonomes Fahren wird aber auch in 20 Jahren noch nicht umgesetzt sein, oder?
Weiß ich nicht. Aber ich glaube an den Modal-Split. Der ist auch mithilfe von technischen Innovationen zu erreichen.
Haben Sie nicht Sorge, dass die Stimmung vorher kippt?
Davon sind wir weit entfernt. Im Großteil unserer Stadt funktioniert es gut. Wir stehen nicht vor Aufständen wegen der Parkplatzsituation. Man merkt aber, dass die Konfrontation zunimmt und die Politik reagieren muss.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Ist die Parksituation in Essen in zehn Jahren schlimmer, gleich geblieben oder besser?
Ich bin optimistisch.