Essen-Katernberg. Die Ausstrahlung von Zollverein in die Nachbar-Stadtteile ist laut diverser Akteure ausbaufähig. Ein Experte erklärt, wie das zu ändern wäre.
100 Unternehmen im Triple Z, 500 Studierende am Folkwang-Campus, Beschäftigte in Ruhr Museum und Red-Dot-Design-Museum – auf dem Zollverein-Gelände im Norden der Stadt Essen wimmelt es von Kreativschaffenden. Die Ausstrahlung in die angrenzenden Stadtteile und damit auch deren Aufwertung ist jedoch nach Meinung diverser Akteure ausbaufähig. Müsste es in Katernberg, Stopppenberg und Schonnebeck nicht ein aktiveres Studentenleben geben? Mehr Wohngemeinschaften, Concept-Stores, Unverpacktläden, Hafermilch-Cafés, Ateliers?
Bewohner der Zollverein-Stadtteile identifizieren sich mit Welterbe
„Die Kreativwirtschaft müsste sich eigentlich in entsprechenden Szenevierteln widerspiegeln“, findet Reinhard Hochkirchen, Bereichsleiter für die Gewerbeimmobiliensparte bei der Essener Immobilienfirma Hauscard. Sein Team versteht sich nicht nur als Makler, sondern auch als Stadtentwickler. Er beobachtet, dass sich die Bewohner der Zollverein-Stadtteile sehr wohl mit „ihrem“ Welterbe identifizieren. Man trifft sie auf Zechenfest und Zollvereinsteig, sie nutzen Eisbahn und Werksschwimmbad. Sie sind stolz auf Zollverein und zeigen es gerne, wenn sie Besuch von außerhalb bekommen.
Andersherum sieht Hochkirchen jedoch noch Potenzial. Ziel müsse es sein, dass sich auch die vielen Menschen, die auf Zollverein arbeiten, lehren und lernen gerne in Katernberg, Stoppenberg und Schonnebeck aufhalten, dort einkaufen und vielleicht sogar wohnen. Von dem Magnet Zollverein müssten auch die angrenzenden Stadtteile mehr profitieren.
Verzahnung von Zollverein und Essener Stadtteilen
Hochkirchen sieht da Stadtplaner, Politiker, Eigentümer, Werbegemeinschaften und die entsprechende Zielgruppe gleichermaßen in der Pflicht: „Man braucht Ideen und Perspektiven, die am besten in Gesprächskreisen entwickelt werden, die einen demografischen und sozialen Schnitt der betroffenen Bürger spiegeln.“ Auch Bezirksbürgermeister Michael Zühlke (SPD) wünscht sich eine Lenkungsgruppe speziell für die Vernetzung von Zollverein und den Nachbar-Stadtteilen, die nicht nur Ideen entwickelt, sondern auch konkrete Arbeitsaufträge verteilt.
Dabei sollte man laut Hochkirchen unbedingt schauen, ob man sich Projekte aus anderen Städten abschauen könne. Der Immobilienexperte nennt vier Beispiele.
- 1. Innenhofgestaltung: Es gebe ausreichend Innenhöfe, die man in die Stadtteilgestaltung mit einbeziehen könnte. Als Orientierung nennt Hochkirchen die Dresdener Neustadt, die in den 80er Jahren zu zerfallen drohte. Im Zuge eines Umdenkungsprozesses wurde eine Dynamik entfacht, die ein Künstler-, Gastro- und Szeneviertel herausbrachte. Diverse Innenhöfe wurden unterschiedlich gestaltet. So ein Projekt in Katernberg, Stoppenberg oder Schonnebeck könnte beispielsweise Studierende der Folkwang-Uni locken. Voraussetzung sei, dass Eigentümer ihren Innenhof zur Verfügung stellen und den nötigen Freiraum gewähren.
- 2. Fassadenwettbewerb: Das Tor zu den Stadtteilen ist nicht immer ansehnlich. An der Gelsenkirchener Straße gibt es diverse leere Ladenlokale, an der Katernberger Straße landen Problemimmobilien immer wieder in den Schlagzeilen. Fassadenwettbewerbe in anderen Städten, bei denen beispielsweise Gründerzeithäuser mit Fördermitteln neu gestaltet wurden, zeigten, dass dadurch der Stadtteil aufgewertet werden könnte. „Das sorgt für Gesprächsstoff, die Stadtteile werden dadurch hip“, erklärt Hochkirchen. Auch hier ist die Voraussetzung, dass die Eigentümer mit im Boot sitzen.
- 3. Shopbörse: „Jobbörsen gibt es viele, warum eigentlich keine Shopbörse“, so der Immobilienexperte. Diese könnten auf der Internetseite der Werbegemeinschaft angesiedelt werden, Vermieter würden dort ihre leeren Ladenlokale inserieren und so beispielsweise das Interesse von Start-ups auf sich ziehen, die noch im Triple Z angesiedelt sind. Laut Hochkirchen haben die Eigentümer eine Gesamtverantwortung für den Stadtteil, da sie maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung des Einzelhandels haben. „Wenn man Billigläden kritisiert, gehört da auch immer ein Eigentümer zu.“
Was passiert, wenn Eigentümer untätig bleiben, sehen Anwohner und Zollvereinbesucher derzeit an der Gelsenkirchener Straße. Bäcker und Reisebüro sind geschlossen, der Nikolausgrill umgezogen. „Es gibt zwei große Eigentümer in Stoppenberg, die kein Interesse an der Weiterentwicklung haben“, sagt Michael Zühlke. „Ich dachte immer, man könnte sie mit Geld locken, sodass sie ihre Immobilien verkaufen, dem ist aber offenbar nicht so.“
- 4. Fahrservice der Kaufmannschaft: In Hamburg haben sich Einzelhändler mit stationären Geschäften auf einer Onlineplattform zusammengeschlossen. Sie bieten einen Fahrservice für die Ware der Kundschaft an. Wer tagsüber in den teilnehmenden Geschäften shoppen geht, kann sich abends seine Einkäufe bringen lassen. So müsse der Kunde seine Produkte nicht mit sich herumtragen und könne sich flexibler bewegen.
Zollvereinsteig führt Wanderer ins Umland
Als Reinhard Hochkirchen einige dieser Vorschläge kürzlich auf der Katernberg Konferenz erläuterte, löste er eine kontroverse Diskussion aus. „Über das Generelle sind wir längst hinaus, es geht ums Detail“, sagte Zühlke und verweist darauf, dass es nicht an Ideen mangele, sondern vielmehr an einer aktiven Lenkungsgruppe. Es sei in der Vergangenheit schon viel passiert. Hervorzuheben sei unter anderem der Zollvereinsteig, der die Wanderer vom Welterbe ins Umland führe. Davon profitiere die Gastronomie bereits. Außerdem verweist er auf das Projekt „Zollverein - das Quartier“, dessen Leiterin Barbara Leppelt sich die Stärkung der Nachbarschaft zwischen dem Weltkulturerbe und den Menschen im Stadtbezirk VI zur Aufgabe gemacht hat.
Auch Margarete Meyer vom städtischen Amt für Stadterneuerung betont: „Es gibt keinen Stadtteil in Essen, wo zuletzt so viel Entwicklung passiert ist wie in Katernberg.“ Als Beispiel nennt Meyer die Künstlermauer an der Grundstraße, die Entwicklung des Bürger- und Handwerkerparks sowie die Renaturierung des Katernberger Bachs und im benachbarten Schonnebeck den Neubau der Gustav-Heinemann-Schule als Stadtteilzentrum. Zollverein und die Stadtteile sei ein Thema, das ihr Team schon lange bearbeite.
Das merke man auch durchaus, betont Reinhard Hochkirchen, der dazu ermutigen will, diese Schritte in Zukunft noch weiter zu intensivieren: „Im Hinblick auf die Verzahnung von Welterbe und Stadtteilen ist in den vergangenen 20 Jahren viel passiert. Wäre die Zeche zu einem Logistik- oder Gewerbezentrum umgebaut worden, will ich mir die Tristesse in den angrenzenden Stadtteilen gar nicht ausmalen, die das wahrscheinlich zur Folge gehabt hätte.“