Essen-Katernberg. Die Eltern beziehen Sozialleistungen, sprechen kaum Deutsch und leben seit zwölf Jahren in Essen. Hilfe bekommen sie von einem Sozialprojekt.
Drei Stufen geht es hinauf, von einer bröckelt der dunkle Stein. In diesem Haus in Essen-Katernberg wohnt eine Roma-Familie, die vor zwölf Jahren von Rumänien nach Deutschland gekommen ist, erst in Dortmund, dann in Bochum gewohnt hat und schließlich nach Essen gekommen ist. Die Eltern beziehen Sozialleistungen, sprechen kaum Deutsch und möchten in Essen bleiben. Ein Besuch.
Diverse Essener Vereine und Projekte setzen sich für Migranten ein
Der Vater sitzt auf der Couch in seiner Wohnung und erzählt lebendig, halb auf Deutsch, halb auf Rumänisch, dass er erst in Dortmund gelebt, dann in Bochum als Putzhilfe im Casino gearbeitet habe. Schließlich sei er nach Essen gekommen. Der Job ist weg, Kinder und Frau noch da.
Die Frau unterbricht, erklärt laut, aufgebracht und komplett auf Rumänisch, dass ihre Familie namentlich nicht in der Zeitung genannt werden soll. „Zugewanderte Roma-Familien aus Rumänien haben oft große Angst vor Behörden und Medien“, erklärt Thomas Meier später. Er ist Assistenz der Geschäftsführung beim VKJ, Verein für Kinder- und Jugendarbeit in sozialen Brennpunkten Ruhrgebiet. In Essen setzen sich diverse Vereine, Projekte und städtische Einrichtungen für die Integration von Familien wie der aus Katernberg ein. In der Sozialraumkonferenz im Stadtbezirk VI waren dieses Haus und diese Familie schon oft Thema, weil sie Hilfen zur Integration brauchte. Auch das VKJ-Team vom Projekt MifriN – Migranten und Migrantinnen in friedlicher Nachbarschaft – setzt sich seit 2017 für die Integration von Zugewanderten im Essener Norden ein.
Die Angst vor Behörden komme durch kulturelle und ethnische Erfahrungen wie Verfolgungen und Versklavungen, so Meier. Die Sorge, die das ausgelöst hat, würden sich über Generationen übertragen. Zu Unrecht? „Nicht unbedingt“, findet Thomas Meier und weist darauf hin, dass auch unter den ukrainischen Flüchtlingen Mitglieder der Roma-Community sind. Er beobachtet, dass die mitunter schlechter behandelt werden als andere Geflüchtete.
Rattenproblem in Problemhaus in Essen-Katernberg
Zurück in die Katernberger 80-Quadratmeter-Wohnung. Vater und Mutter wohnen dort mit ihren drei jugendlichen Kindern. Mit blauer Farbe wurden nicht nur die Wände, sondern auch Teile der Türrahmen gestrichen. In der Ecke ein Putzeimer, es riecht nach Reinigungsmitteln. Stoffreste wehen als Gardinen vor den geöffneten Fenstern. Schaut man hinaus, blickt man auf das Dach eines Anbaus. Hier tummelten sich vor über einem Jahr Ratten zwischen hunderten Müllsäcken. „Wir konnten die Fenster nicht aufmachen wegen des Gestanks“, erklärt der 46-jährige Familienvater. Seine Landsleute hätten nicht verstanden, dass man den Müll nicht aus dem Fenster, sondern in die Mülltonne schmeißt. Er finde so ein Verhalten respektlos.
Auch hier gibt Thomas Meier einen Einblick in die Kultur: In Rumänien müsse man den Müll nur an den Straßenrand stellen, dort werde er dann abgeholt. „Die wollen auch nicht im Müll leben“, ist sich Meier sicher. Unsereins könne sich jedoch die Lebensumstände dort nicht vorstellen.
Auch der 46-jährige Familienvater erklärt, dass er auf keinen Fall zurück in sein Heimatland möchte. Das Leben in Rumänien sei nicht lebenswert und auch nicht finanzierbar. Die Wohnung in Katernberg kostet 700 Euro kalt: „Der Vermieter nutzt uns aus“, glaubt der Rumäne, der lieber umziehen würde. Der Vermieter wisse, dass es für Zugezogene aus Südosteuropa in Essen schwierig sei, eine andere Wohnung zu bekommen und würde daher nur das nötigste an dem Haus machen. Das Bild, das zerbeulte Briefkästen und kaputte Lampen im Treppenhaus abgeben, gibt ihm recht. Die Miete zahlt das Sozialamt, die Familie lebt von Sozialleistungen.
Essener Projekt MifriN bietet Beratungen für Zugewanderte an
Bestätigen sie damit nicht jedes Klischee, das Biodeutsche an Stammtischen verbreiten und wahrscheinlich auch unter diesen Text in die sozialen Netzwerke tippen? Thomas Meier bietet wieder Einblicke in die Erfahrungen aus seinem Arbeitsbereich: „Das Bildungsverständnis verändert sich nicht in Jahren, sondern in Generationen.“ Gastarbeiter, die vor 60 Jahren nach Essen gekommen seien, hätten kein deutsch gesprochen, ihre Kinder schon besser und diese Kinder seien jetzt zum Teil als Eltern und sehr am Bildungserfolg ihrer Kinder interessiert.
Tatsächlich: Die Kinder des 46-jährigen Roma aus Katernberg sprechen fließend Deutsch, wenn auch mit Akzent. „Es ist hier besser für meine Kinder als in Rumänien“, erklärt er. Sie arbeiten bei Mc Donald’s und auf einer Baustelle. Für Thomas Meier ist es ein Erfolg, dass sie überhaupt zur Schule gegangen sind. Er sieht das auch als Verdienst des kommunalen MifriN-Projektes. Als das 2017 an den Start gegangen war, seien im Essener Norden kaum Roma-Kinder in der Schule aufgetaucht. Die Eltern hätten die Briefe des Schulamtes nicht geöffnet, seien überfordert gewesen mit der deutschen Bürokratie. „Am Anfang mussten wir direkt in die Häuser gehen, unsere Arbeit vorstellen und Hilfe anbieten, jetzt stehen die Familien Schlange vor unserem Büro“, erklärt Meier.
Roma arbeiten in Essener MifriN-Projekt für Roma
Über Mund-zu-Mund-Propaganda habe sich über die Jahre verbreitet, dass das MifriN-Team bei Handyverträgen, Bankgeschäften, Anträgen an das Sozialamt und Post vom Schulamt hilft – und zwar in der Muttersprache. Das sei das große Pfund, mit dem MifriN arbeitet: Im Einsatz sind Menschen, die selbst aus der Roma-Community stammen. Menschen wie Daniel Suciu, der einst selbst in der Beratungsschlange stand, weil er Ärger mit dem Jobcenter hatte. Jetzt hilft er seinen Landsleuten wie die anderen Projektmitarbeiter und Mitarbeiterinnen bei der Jobsuche, bei der Schulanmeldung und bei Anträgen.
MifriN-Projektleiterin Sanija Mehmeti weiß, die Familien wollen hier bleiben, sie wollen nicht wieder zurück in ihr Heimatland. Dafür brauchen sie Hilfe im Umgang mit der Bürokratie. „Durch die gleiche Sprache werden Schwellen überwunden“, weiß Sanija Mehmeti. Roma arbeiten in dem Projekt für Roma.
Finanzierung für Essener MifriN-Projekt steht auf der Kippe
Der Kontakt in die Roma-Gemeinschaft helfe auch dem Integrationszentrum und anderen städtischen Behörden, beispielsweise wenn die Kollegen und Kolleginnen über Probleme in den Immobilien erfahren. Möglich sei das durch die Arbeit vor Ort – mit einem Büro in der Altenessener Bäuminghausstraße 63 und einer Sprechstunde im Katernberger Stadtteilzentrum Kontakt.
Mit den Jahren habe sich das MifriN-Team Vertrauen erarbeitet, so Meier. Klassenlehrer meldeten, dass die Kinder die Schule regelmäßig besuchen, dass sie mit den Eltern sprechen wollen und einen Dolmetscher bräuchten. Auch da kann MifriN helfen. Die Kriminalität in Altenessen ist zurückgegangen – ein ähnlich vielschichtiges Thema wie das der Integrationsarbeit; Thomas Meier verbucht eine Schicht auf das Konto seines Projekts. „In Altenessen ist es jetzt ruhiger“, sagt er. „Mittlerweile gehen 100 Prozent der Roma-Kinder, die durch MifriN betreut werden, in die Schule und Behörden verzeichnen allgemein weniger Einsätze.“
Das Projekt wurde 2019 verlängert, jetzt steht es allerdings auf der Kippe. 145.000 Euro werden pro Jahr gebraucht, um Personal- und Sachkosten sowie die Büromiete für das Projekt abzudecken. Die Anträge seien gestellt, aber noch nicht bewilligt.
Es müsse darum gehen, langfristig Geld zu investieren, sagt Thomas Meier. Die Familien, denen das VKJ-Team erfolgreich geholfen hat, würden den Stadtteil Altenessen irgendwann verlassen. Dann würden jedoch neue Armutszuwanderer kommen, die ebenfalls Hilfe bräuchten: „Der Stadtteil bleibt, wie er ist und wird sich nie in ein Rüttenscheid verwandeln.“