Essen. Marcel Preuß lebte im ersten Stock des Brand-Hauses von Essen. Er hat fast alles verloren – bis auf drei Dinge. Warum er zum Brand-Ort zurückkam.
Der Physiker Marcel Preuß (36) gehört zu den knapp 130 Menschen, die im Haus an der Bargmannstraße lebten, das in der Nacht auf Montag abgebrannt ist. Der IT-Fachmann, der von Geburt an im Rollstuhl sitzt, hat alles verloren. Alles? „Drei Dinge habe ich noch“, sagt Preuß ruhig am Telefon. „Mein Rollstuhl, mein Schlafanzug und mein Handy.“ Selbst seine Brille ist weg. Zum Glück ist er weit- und nicht kurzsichtig, „das geht schon noch.“
Weil er noch nicht schlief, lebt er heute wahrscheinlich noch
Hätte Preuß in der Brand-Nacht gegen zwei Uhr nachts schon geschlafen, als das lodernde Feuer die Fassade des Hauses hochzog – „ich würde jetzt wohl nicht mehr leben.“ Preuß, der im ersten Stock in einer 70-Quadratmeter-Wohnung lebte, war gerade zu Bett gegangen. „Da ging plötzlich der Rauchmelder an und die Scheibe meines Schlafzimmers zersprang in Scherben.“ Er öffnete die Augen, sah das Feuer auf dem Balkon, hievte sich in den Rollstuhl, der immer direkt neben seinem Bett steht, und rollte sofort raus.
„Es war keine Zeit für irgendwas. Man konnte nicht nach seiner Geldbörse greifen, nicht die Jacke überziehen, nichts. Es war noch nicht mal Zeit, Angst zu haben.“ Im Hausflur rannten schon die Nachbarn in Panik die Treppen herunter, zwei Nachbarn griffen beherzt ohne große Worte seinen Rollstuhl, trugen ihn ins Erdgeschoss und dann ins Freie.
Preuß ist in einer Kurzzeitpflege untergekommen
Preuß lebt jetzt in einer Kurzzeitpflege, „barrierefreie Hotels gibt es nicht“, und „ich bin nur mit Telefonieren beschäftigt.“ Wie lauten seine Versicherungsnummern? Wie kommt er schnell an neue Papiere? Was ist mit Personalausweis, Führerschein, Krankenversicherungs Dokumenten? „Es ist alles weg.“ Überhaupt: Wird die Versicherung zahlen? „Weiß ich nicht.“ Preuß hat sich jedenfalls fest vorgenommen: Wenn sein Leben wieder in einigermaßen geregelten Bahnen läuft, dann „werde ich alle Daten und Dokumente digitalisieren.“
Vor sechs Jahren war er in den damals neu erstellten Block eingezogen, aus Dortmund war er nach Essen gezogen, „modern, sauber und sicher“ war die Devise, das hatte ihn gelockt, „und kurze Wege zur Arbeit.“ Mit Bargeld helfen derzeit Freunde aus, Verwandte wohnen weit weg, und wie es weitergeht, weiß Preuß noch nicht: „Das wird lange Zeit brauchen, um es zu verkraften. Ich habe Sorgen vor der Zeit, wenn Ruhe einkehrt. Wenn erst mal nichts mehr zu regeln ist.“
Am Dienstag ist Preuß noch mal nach der Arbeit zur Unglücksstelle gefahren. Er wollte einfach noch mal schauen. „Man braucht einige Zeit, um zu realisieren, dass die Wohnung wirklich nicht mehr begehbar, dass wirklich alles weg, alles kaputt ist.“ Er hat gesehen, dass auf seinem Balkon noch sein Alu-Tisch steht, schwer in Mitleidenschaft gezogen zwar, aber er steht noch.
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In der Kurzzeitpflege hat Preuß erstmal ein Dach über dem Kopf und ein Bett, Freunde rufen oft an und erkundigen sich. Die Stadt und andere Behörden haben unbürokratische Hilfe bei der Neubeschaffung aller Papiere angekündigt, viele große Firmen haben bereits große Geldspenden in Aussicht gestellt, es gibt ein Spendenkonto. „Trotzdem“, sagt Preuß, „ist das nicht zu begreifen, und so etwas kann man sich vorher einfach nicht vorstellen.“