Großbrand in Essen: Wie Betroffene die Brandnacht erlebten
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Essen. Beim Großbrand in der Grünen Mitte in Essen haben 128 Menschen ihr zu Hause verloren. Spendenkonto eingerichtet. Das sagen die Betroffenen.
Beim Großbrand in Essens „Grüner Mitte“ haben in der Nacht auf Montag (21.2.) 128 Menschen ihr zu Hause verloren. Der Wohnkomplex Bargmannstraße 25-33, mitten in der „Grünen Mitte“ zwischen Uni und Limbecker Platz, gleicht einer rabenschwarzen Ruine.
Viele Menschen wohnen hier, stehen womöglich vor dem Nichts. Sie kamen nach dem Ausbruch des Feuers in der Nacht auf Montag zunächst in der Zentrale der FUNKE Mediengruppe unter, ehe Malteser, Rotes Kreuz und Feuerwehr in Windeseile das Hörsaalzentrum der Uni als Not-Lager öffneten.
Ein 45-Jähriger, der seit fünf Jahren in dem Neubau wohnt, berichtet am Montag: „Wir wurden um 20 nach zwei von Feuerwehr und Polizei geweckt, mussten sofort raus.“ Man habe sich nur noch die Jacke überwerfen können, dann musste man sofort raus, „das ging aber recht gesittet zu.“ Es stank nach Qualm, „und ich bin geschockt, wie schnell das Feuer sich verbreitet hat.“
Ob man zurückkehren kann? Alles ist unklar nach dem Großbrand in Essen
Wohnkomplex in Essen brennt lichterloh - Fotos zum Brand
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Der Mann ist jetzt in einem Not-Quartier untergekommen, „die Stadt und die Feuerwehr haben unheimlich schnell gehandelt“, lobt der Mann. Ob er je in seine Wohnung zurückkehren kann? „Wenn ich die Fotos von dem Brand stehe, denke ich: Wohl eher nicht“. Äußerlich gefasst berichtet der 45-Jährige, dass man auf alles vorbereitet sei, also auch auf den Fall, dass nichts mehr steht in der verbrannten Wohnung. Weiter äußern möchte er sich nicht.
Stadt und Feuerwehr haben durchgezählt: 27 Menschen können nicht bei Freunden oder Verwandten unterkommen, werden vom Vermieter Vivawest auf Hotels verteilt. Am Morgen des Unglücks sitzen viele hundert Menschen noch im Hörsaalzentrum an der Uni, die meisten sind Nachbarn, können aber am Morgen auch noch nicht zurück in ihre Häuser.
Anwohner stehen in Bademänteln im Hörsaalzentrum nach dem Großbrand in Essen
„Es roch sehr nach Qualm“, sagt eine Frau, die neben dem betroffenen Gebäude wohnt. Ihr Partner sitzt neben ihr und nickt, der Hund sitzt auf dem Schoß. Hier, im Hörsaalzentrum, werden sie mit Kaffee, Brötchen und Saft versorgt, viele haben ihre Wintermäntel über den Schlafanzug geworfen, stehen in Hausschuhen oder Badelatschen hier, wissen nicht, wann sie zurückkommen in ihre Wohnungen. Sie alle sind übernächtigt, geschockt, traurig. Notfall-Seelsorgerin Christiane Mühlenbeck berichtet: „Viele sind froh, dass sie überhaupt noch am Leben sind. Für die meisten wird nach diesem Tag nichts mehr so sein wie vorher.“
Vom Klopfen an seiner Haustür ist ein 86-Jähriger geweckt worden: „Die Polizei hat richtig gegen die Tür gedonnert!“ So laut, dass er es auch ohne Hörgeräte gehört hat. Dann hat er nur Ausweis und Impfpass eingesteckt, einen Mantel über den Pyjama geworfen und mit Hilfe seines 65-jährigen Mitbewohners das Haus verlassen. In diesem Pyjama sitzt er um 10.15 Uhr im Foyer des Hörsaalzentrums. Bevor er in ein Hotel gebracht wird, hoffe er noch, ein paar Dinge aus der Wohnung holen zu können, die zwar nicht vom Feuer betroffen gewesen sei, so hat man ihm gesagt, dafür aber vom Löschwasser: „Die ist unbewohnbar.“
Der 86-Jährige lobt die Betreuung durch die Malteser, die mit Kaffee und Käsebrötchen für ein Frühstück in ungewöhnlicher Atmosphäre gesorgt haben. „Ich hab‘ eigentlich nicht damit gerechnet, in meinem Leben nochmal in einen Hörsaal zu kommen“, sagt er verschmitzt. Ernst wird der Diplom-Ingenieur dagegen, als es um das verheerende Ausmaß des Brandes geht: „Das erinnert mich an das schreckliche Unglück im Grenfell-Tower in London, wo der Dämmstoff wie Zunder brannte. Kann es sein, dass auch hier in einem Neubau zum Dämmen billiges Material verwendet wurde? Das Feuer hat ja von einer Ecke auf den gesamten Komplex übergegriffen!“
Viele bedanken sich für die gute Versorgung
Nach 10 Uhr verlassen immer mehr Bewohner das Uni-Gebäude: Teils um – zumindest kurz – in ihre Wohnungen zurückkehren, teils weil Verwandte oder Freunde sie aufzunehmen. Alle danken beim Abschied den Helfern von Maltesern und Co., die sich um sie gekümmert haben. Die jetzt noch Getränke ausschenken, Rollstuhlfahrer begleiten, tröstende Worte sprechen.
Blass, aber gefasst, steht eine Mutter mit ihren beiden Söhnen (6, 15) gegen 10 Uhr vor dem Audimax: Sie haben hier die letzten Stunden der Brandnacht verbracht, schlaflos, aber warm und in Sicherheit.
Vom Lärm im Hausflur war sie in den frühen Morgenstunden aufgewacht: „Die Klingel war abgestellt.“ Als sie hörte, was los ist, eilte sie zu ihren Söhnen: „Es brennt, wir müssen raus.“ Sie schaut auf die Jungs: „So schnell sind die sonst nicht aus dem Bett.“ Ihr Mann ist gerade verreist, sie musste allein handeln, habe den Kindern aber wohl vermittelt: „Mama hat das im Griff.“ Im Hörsaalzentrum seien sie „super versorgt“ worden; nun tobt der Kleine schon wieder mit anderen Kindern über die Treppen. Der Große ist wortkarg, aber gelassen. In die Schule sollen die beiden heute aber nicht. „Die Schulsachen haben wir ja auch nicht eingepackt“, sagt die Mutter. Sie hätten noch Glück im Unglück gehabt: „Die Wohnung meiner Freundin ist völlig ausgebrannt.“
Nicht alle sind am Morgen nach dem Großbrand so gefasst. Eine junge Frau steht schluchzend vor dem völlig ausgebrannten Gebäude: „Meine Tante hat da unten gewohnt.“ Auch Božića und Nebojsa Erdesi blicken am Vormittag mit Schrecken auf die schwarze Hausfassade. Das Paar wohnt seit anderthalb Jahren nur zwei Häuser weiter in der Grünen Mitte, in der Nacht sind auch sie aus dem Haus geklingelt worden. Jetzt gehen sie mit Unbehagen in die Wohnung zurück. Nicht nur, weil die Bausubstanz „doch bestimmt die gleiche ist“, sagt Erdesi. Die beiden beunruhigt auch, dass es wenige Tage zuvor im Eltingviertel schon mehrfach gebrannt hat. Auch wenn es bislang keinen erkennbaren Zusammenhang gibt, bleibt die Unsicherheit: „Wir haben zumindest ein ungutes Gefühl.“
Passant: „Wie in einem Bürgerkriegsgebiet“
Wie geht es jetzt weiter? Auch Autos, die vor dem Haus parkten, sind von der Hitze beschädigt worden. Am Vormittag müssen die Abschleppwagen etliche Fahrzeuge abholen, mit zerborstenen Scheiben und völlig geschmolzenen Karosserien, manche Autos sind komplett ausgebrannt. „Wie in einem Bürgerkriegsgebiet“, entfährt es einem Passanten.
In den Nachbarhäusern, deren Fassaden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden, stehen am Vormittag noch immer fassungslose Augenzeugen in den Eingängen. Sebastian Sazon ist in der Nacht vom Geruch geweckt worden. „Es hat ganz stark nach verbranntem Plastik gestunken.“ Als er nach draußen schaut, sieht er das Feuer auf einer der gegenüberliegenden Terrassen und bald schon die nächsten Balkone brennen. Sofort beginnt er, die Nachbarn im Haus wach zu klingeln. Als er wenig später auf seinem eigenen Balkon steht, muss er die Gartenmöbel schon mit dem Gartenschlauch benetzen, weil der Wind die Funken über die Straße trägt. Da steht das gesamte Gebäude gegenüber bereits in hellen Flammen: „Als hätte jemand Benzin über die Fassade gegossen.“
Das gesamte Viertel ist noch Stunden nach dem Feuer ohne Strom. Eine Frau, die drei Häuser weiter wohnt, erkundigt sich bei einem Mann, der in einem Dienstfahrzeug des Energieanbieters „Westnetz“ sitzt, wann der Strom denn wieder laufe? Schulterzucken. Einige der betroffenen Bewohner, die noch hoffen, letzte Habseligkeiten aus dem weniger verkohlten Teil des Gebäudekomplexes holen zu können, werden zunächst einmal vertröstet. Zu gefährlich! Ein junges Paar, das seit 2016 in dem jetzt völlig ausgebrannten Haus wohnt, kann zumindest noch das Auto aus der Tiefgarage fahren. Nun fürchten sich die beiden vor möglichen Plünderern, die in den nächsten Tagen in die leeren Wohnungen eindringen könnten. Doch schon am Nachmittag werden die ersten Absperrgitter angeliefert, um das Terrain abzusichern.
Am Nachmittag kehren auch tierische Bewohner der Nachbarhäuser wieder zurück. Milo und Flubber hat sich Katzenhalter Florian noch schnell unter den Arm geklemmt, als er das Nachbarhaus in der Nacht Hals über Kopf verlassen hat. „Einfach nur die Straße runter“. In der FUNKE Zentrale fanden die drei wie viele am frühen Morgen zunächst sicheren Unterschlupf.
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