Essen. Ohne Förderung durch Stifter und Unternehmen der Stadt wäre die Folkwang-Sammlung nie nach Essen gekommen. Die Tradition trägt das Haus bis heute

Das Jahr 1921 wird zum Schicksalsjahr für die Kunst im Revier. Karl Ernst Osthaus, der große Hagener Kunstmäzen ist tot, Sammler- und Museumsfreunde sorgen sich um den Erhalt der erlesenen Kollektion. Schon liegen Millionen-Angebote für Werke wie die „Lise“ auf dem Tisch, der Preis für die Osthaus-Sammlung steigt aufgrund der galoppierenden Inflation immer mehr. 15 Millionen Mark müssen zusammenkommen. Und während in Essen bald klar ist, dass man die Summe nur mit privaten Mitteln aufbringen kann, weil die Stadtkassen leer sind, buhlen auch Städte wie Düsseldorf und München um den Hagener Kunstschatz.

Auch interessant

Essen mit seiner bedeutenden Wirtschaftsmacht bekommt am Ende den Zuschlag. Etliche private Stifter und vermögende Mäzene wie die Hirschlands und die Waldthausens verbünden sich mit einflussreichen und kunstliebenden Direktoren der großen Ruhrgebiets-Konzerne. Allein das Rheinisch-Westfälische Kohlen-Syndikat stiftet sechs Millionen Mark. Syndikatsdirektor Albert Janus engagiert sich wie Ernst Henke, damaliger Vorstand der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke AG (RWE AG), für den Ankauf und gehört neben Oberbürgermeister Hans Luther zu den Mitunterzeichnern des Vertrags zwischen Stiftern und Stadt.

Auch interessant

Bis heute gehören Haus und Sammlung zu gleichen Teilen der Stadt und dem Folkwang-Museumsverein, für manche eine der ältesten Formen einer Public-Private-Partnership und bis heute eine große Ausnahme in der deutschen und internationalen Museumslandschaft. Der Vertrag von 1922 gilt immer noch.

1929 zieht das Museum Folkwang in die Goldschmidt-Villen an der Bismarckstraße. Bis heute ist auf diesem Gelände der Standort des Museums.
1929 zieht das Museum Folkwang in die Goldschmidt-Villen an der Bismarckstraße. Bis heute ist auf diesem Gelände der Standort des Museums. © Museum Folkwang/

Die aus Hagen überführte Osthaus-Sammlung wird dabei zunächst im Hans-Goldschmidt-Haus, dem ehemaligen Essener Kunstmuseum in der Bismarck-Straße, präsentiert. Später zieht die Kunst in die beiden, von der Brüdern Goldschmidt gestifteten Villen an der Bismarckstraße, bis heute Standort des Museums Folkwang.

Die Eröffnung 1929 wird zum Erfolg. Gelobt wird nicht nur die Architektur, sondern auch der „didaktisch durchdachte Rundgang“ und Ernst Gosebruchs „neuartige Methode“, die „Werke freier Kunst neuer und alter Zeit mit erlesenen Stücken handwerklicher Formgestaltung zusammenbringt“.

Zu Skulpturen von Rodin gesellen sich ab 1929 im Essener Folkwang Museum die „Badende mit Schildkröte“ von Matisse und Ferdinand Hodlers „Frühling“.
Zu Skulpturen von Rodin gesellen sich ab 1929 im Essener Folkwang Museum die „Badende mit Schildkröte“ von Matisse und Ferdinand Hodlers „Frühling“. © Archiv Ann und Jüren Wilde/VG Bild-Kunst Bonn | Albert Renger Patzsch

„Das Folkwangmuseum soll also ein Lebensbrunnen für die Volksgemeinschaft hier im Ruhrgebiet sein, die tagaus tagein in harter rauer Arbeit steht und der Erholung und Erhellung seelisch und geistig dringend bedarf“, wünscht sich der Oberpräsident der Rheinprovinz am Eröffnungstag. Und nicht nur für den Berichterstatter der Vossischen Zeitung steht damals fest: „Niemand, der die moderne Kunst liebt, wird künftig an Essen vorüberreisen können.“

„Niemand, der die moderne Kunst liebt, wird künftig an Essen vorüberreisen können“

Auch international wächst das Renommee. 1929 kommt der amerikanische Moma-Mitbegründer Paul Sachs nach Essen und prägt den legendären Satz vom „schönsten Museum der Welt“. Das Museum Folkwang nimmt ihn Jahrzehnte später noch einmal auf und holt für eine Ausstellung 2010 Meisterwerke nach Essen zurück, die durch die barbarischen Plünderungen der Nationalsozialisten verloren gingen und in alle Welt verstreut wurden.

Mehr als 1400 Werke werden dem Folkwang im Zuge der Beschlagnahmungen für die Propagandaschau „Entartete Kunst“ entrissen. Museumsdirektoren wie Paul Vogt gelingt es in den 1960ern, mit Geschick und finanzstarker Sponsorenhilfe einen Teil der verloren Folkwangschätze zurückzuholen, doch nicht alles lässt sich zurückkaufen.

In den 1990er Jahren führt der Weg ins Museum über die Goethestraße. Das damalige Museumszentrum beherbergt auch das Ruhrlandmuseum. Der postmoderne Stil hatte keinen Bestand und wurde abgerissen, um 2010 dem Neubau von David Chipperfield Platz zu machen.
In den 1990er Jahren führt der Weg ins Museum über die Goethestraße. Das damalige Museumszentrum beherbergt auch das Ruhrlandmuseum. Der postmoderne Stil hatte keinen Bestand und wurde abgerissen, um 2010 dem Neubau von David Chipperfield Platz zu machen. © Museum Folkwang

Dafür bereichern neue Abteilungen die Folkwang-Geschichte. Die Fotografie wird durch den Ankauf der Lehrersammlung von Otto Steinert und vor allem unter der Ägide der langjährigen Folkwang-Fotochefin Ute Eskildsen zum Aushängeschild. Das Ruhrlandmuseum zieht Mitte der 1980er Jahre mit an die Goethestraße wird bis zu seinem Umzug aufs Welterbe Zollverein zum Kunst-Partner im Essener Museumszentrum. Seit 2010 hat auch das Deutsche Plakatmuseum eine repräsentative, neue Bleibe unter einem Dach mit den vielen Folkwang-Schätzen aus den Bereichen der Malerei, Grafik und Fotografie.

2010 ist auch das Jahr der vorerst letzten Folkwang-Erweiterung. Star-Architekt David Chipperfield schenkt dem Museum eine neue, futuristisch schimmernde Hülle und mehr Platz. Eine 55-Millionen-Euro-Spende der Krupp-Stiftung macht den Neubau möglich. Der Chipperfield-Entwurf ersetzt den baufälligen Erweiterungstrakt von 1983, der denkmalgeschützte Folkwang-Altbau von 1960 bleibt erhalten. Dort ist die grandiose Osthaus-Sammlung heute wieder ein Anlaufziel für viele – bei freiem Eintritt, den Folkwang dank einer Millionenspende der Krupp-Stiftung bislang als einziges deutsches Museum dauerhaft anbieten kann.

Die kostbare Osthaus-Sammlung kann im Museum Folkwang heute bei freiem Eintritt besichtigt werden.
Die kostbare Osthaus-Sammlung kann im Museum Folkwang heute bei freiem Eintritt besichtigt werden. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

So hat sich die große Fördertradition über 100 Jahre fortgeschrieben und wird auch im Jubiläumsjahr von Unternehmen und Stiftungen wie RAG, RWE, Eon, Evonik und der Mercator-Stiftung fortgeführt, die in den vergangenen Jahren immer wieder Kunst-Großereignisse ermöglicht haben und Essen lange Jahre zur ersten Adresse großer „Blockbuster“-Schauen werden ließen. Nicht nur das: Ohne die vielen Förderer wäre nicht nur eine der kostbarsten Kunstsammlungen, sondern auch die Folkwang-Idee für das Ruhrgebiet auf immer verloren gewesen.