Essen. In Hagen gründet der Sammler sein erstes Museum. Als er mit nur 46 Jahren stirbt, hinterlässt er ein grandioses Erbe – das bald nach Essen kommt.

Der Mann, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Kunst der Moderne ins Ruhrgebiet bringt, soll eigentlich Kaufmann werden. Doch Karl Ernst Osthaus (1874 – 1921) will sein Leben nicht am Schreibtisch verbringen. Den Hagener Bankiers- und Kaufmannssohn zieht es in ferne Länder – und in die Ateliers von Künstlern seiner Zeit. Ihm bleiben nicht allzu viele Jahre, um seiner Idee von einem Museum nachzugehen, das unterschiedliche Künste und Kulturen der Welt gleichberechtigt unter einem Dach vereint.

Das Credo von Karl Ernst Osthaus: Kunst und Kultur sollen für alle zugänglich se Ein Millionenvermögen, das die Großeltern dem jungen Kunstgeschichte-Studenten 1896 vererben, ermöglicht ihm, zu einem der bedeutendsten Kunstmäzene seiner Zeit zu werden. Als er stirbt, hinterlässt er der Nachwelt eine einzigartige Sammlung, die in ihrer Qualität und Vielfalt ihresgleichen sucht. Zu finden ist dieser, durch die Kunstfeindlichkeit der Nazis leider dezimierte Schatz seit 100 Jahren im Essener Museum Folkwang.

Doch nicht in Essen, sondern in seiner Heimatstadt Hagen gründet Osthaus 1902 sein Museum, das aufgrund seiner Gemälde als weltweit erstes Museum für moderne Kunst gilt. Es bekommt den Namen Folkwang, was so viel heißt wie Volkshalle und dem altnordischen Versepos Edda entliehen ist. Für Osthaus ist das Museum weit mehr als ein Ausweis privater Sammlerlust, sondern ein soziales Anliegen, „Schönheit und Ästhetik in das alltägliche Leben der Bevölkerung an der Ruhr zu bringen“. Kunst und Kultur sollen für alle zugänglich sein. Sein Credo hat bis heute Bestand.

Sie ist bis heute ein Star der Folkwang-Sammlung: Die „Lise mit dem Sonnenschirm“ von Pierre-Auguste Renoir.
Sie ist bis heute ein Star der Folkwang-Sammlung: Die „Lise mit dem Sonnenschirm“ von Pierre-Auguste Renoir. © Museum Folkwang | Jens Nober

Damals vereint die stolze Sammlung schon Meisterwerke in schier unglaublicher Fülle: Arbeiten von Künstlern wie Paul Cézanne, Paul Gauguin, Georg Minne, Henri Matisse oder Georges Seurat gehören dazu, aber auch außereuropäische Kunst und Kunstgewerbe. Renoirs „Lise mit dem Sonnenschirm“ – bis heute ein „Star“ der Sammlung und bald wieder im Rahmen der großen Impressionisten-Schau zu sehen, die das Jubiläumsjahr einläutet-- hat Osthaus 1901 bereits erworben. Auf Vermittlung des belgischen Künstlers Henry van de Velde, mit dem ihn eine Freundschaft verbindet und dem er auch die Inneneinrichtung seines Folkwang-Museums anvertraut.

Im Hagener Museum Folkwang gibt es fast monatlich wechselnde Ausstellungen

Fast monatlich werden dort wechselnde Ausstellungen gezeigt – damals eine Sensation. 1905 ist Folkwang das erste deutsche Museum, das Vincent van Gogh eine Einzelausstellung widmet. 1907 kommt Cézannes berühmter „Steinbruch Bibémus“ dazu. Dazu kann Hagen als weltweit erstes Museum Werke von Henri Matisse präsentieren. Franz Marcs „Weidende Pferde“ und andere Ikonen erweitern die Sammlung von Jahr zu Jahr und machen Folkwang für viele zum „Mekka der Kunst“. Zum zehnjährigen Bestehen 1912 zählt das Museum fast 100 Gemälde, 50 Plastiken und zahllose Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken. Osthaus interessiert sich aber nicht nur für die französische Moderne und bald für neueste expressionistische Strömungen, sondern auch für Kunst der außereuropäischen Kulturkreise. Schon Ende des 19. Jahrhunderts macht er sich auf den Weg nach Nordafrika und in die Länder des Osmanischen Reichs und Ägypten, mehrmonatige Reisen führen ihn, oft auch in Begleitung seiner Ehefrau Gertrud, unter anderem nach Russland und Kleinasien.

Was Osthaus gesammelt hat, zeigt das Essener Museum Folkwang ab 1929 in neuer Nachbarschaft: Nolde-Gemälde werden neben ozeanischen Objekten präsentiert.
Was Osthaus gesammelt hat, zeigt das Essener Museum Folkwang ab 1929 in neuer Nachbarschaft: Nolde-Gemälde werden neben ozeanischen Objekten präsentiert. © Archiv Ann und Jürgen Wilde/VG Bild-Kunst Bonn | Albert Renger-Patzsch

Osthaus macht zahllose Erwerbungen, kauft zartfarbige Mosaiken, japanische Masken oder Zeugnisse ozeanischen Ahnenkults, zum Teil sogar komplette Zimmereinrichtungen, und plant anfangs sogar, ein Islamisches Museum einzurichten. Außerdem beschäftigt er sich mit der Gründung einer Folkwang-Malschule und regt die Einrichtung einer Künstlerkolonie mit Werkstätten an. Der von ihm angeregte Folkwang-Gedanke der Verbindung der Künste findet einige Jahre später mit der Gründung der Folkwangschule in Essen 1927, der heutigen Folkwang-Universität der Künste, seine bahnbrechende Vervollkommnung.

Osthaus liebt den intellektuellen Austausch, er hält Vorträge und Vorlesungen und protegiert, wo er kann. Doch der Bankierssohn ist kein Bohemian und endloser Prasser, am Ende werden auch ihm die Mittel knapp.

Der Bankierssohn aus Hagen hinterlässt ein unschätzbar wertvolles Bilderkonvolut

Als er mit nur 46 Jahren am 27. März 1921 in Meran an den Folgen einer Rippenfellentzündung, gezeichnet von einer schweren Tuberkulose stirbt, hinterlässt er Ehefrau Gertrud, drei Söhne, zwei Töchter – und ein unschätzbar wertvolles Bilderkonvolut. Der Bedingung, die Sammlung möglichst geschlossen abzugeben und mit dem Verkauf „mindestens ein Zehntel des Taxwertes“ zu erzielen, folgen die Erben am Ende. Ein Zusammenschluss von privaten Stiftern und großen Wirtschaftsunternehmen in Essen bringt das Geld zusammen. 1922 wird die Osthaus-Sammlung mit dem Bestand des Kunstmuseums fusioniert. Das Essener Museum Folkwang ist geboren.