Duisburg. Jupp Götz übergab Instrumente an ukrainische Musiker, die ihre eigenen bei der Flucht zurücklassen mussten. Wie die Musik den Menschen hilft.

Musik ist der kleinste gemeinsame Nenner der Menschheit. Manchmal vielleicht eine streitbare These, nicht so aber in der Flüchtlingsunterkunft an der Hamborner Straße in Duisburg am Freitag. Kaum hat Ludmilla ihr Akkordeon und Oleg seine Gitarre in der Hand, legen die beiden los. Eine sanfte osteuropäische Volksweise schwebt durch die Flüchtlingsunterkunft, Ukrainer bleiben überrascht stehen. Ein wenig traurig klingt das Lied, doch das mag auch an den westeuropäisch sozialisierten Ohren liegen. Ludmilla und Oleg lächeln jedenfalls.

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Doch von vorne: Als der Duisburger Musiker Jupp Götz zuletzt mit dem Akkordeonisten Heinz Hox in der Zeltstadt ein Konzert für die ukrainischen Geflüchteten gab, kamen Ludmilla und Oleg an die Bühne. Beide sind Musiker, beide mussten ihre Instrumente bei der Flucht zurücklassen. Für Götz eine klare Sache: Instrumente müssen her. Ein Akkordeon und zwei Gitarren konnte der Duisburger auf die Schnelle organisieren – und es hat sich gelohnt. Die beiden Ukrainer strahlen über beide Ohren.

Ludmilla lässt ukrainische Lieder durch die Duisburger Zeltstadt schweben

Ludmilla ist 66 Jahre alt und spielt Akkordeon, seit sie acht ist. „Mein Vater wollte, dass ich Akkordeon spiele“ erklärt sie, der Dolmetscher, der auch Oleg heißt, übersetzt. „Meine Mutter hat schön dazu gesungen und mit Löffeln geklappert“, erinnert sie sich, später habe sie auch immer wieder für Freunde in ihrer Heimatstadt Charkiw gespielt.

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Noch ein wenig später hat Ludmilla dann sogar Musik studiert und an ihrer alten Hochschule Akkordeon unterrichtet. Doch aller Akademisierung zum Trotze: Als Ludmilla am Freitag auf einer Bank sitzt und spielt, ist es die Schönheit in der Simplizität der Volkslieder, die die Seelen berührt, wie es einzig die Musik kann.

Oleg spricht Dank an Duisburger Zeltdorfchef aus

Oleg kommt aus der Stadt Kamjanske und spielt Gitarre, seit er denken kann. „Ich habe immer schon in einer Band gespielt, wir haben schon als Kinder Musik gemacht“, erzählt er. 2014 begann er, bei der Armee als Ingenieur zu arbeiten, dann traf ihn eine lange Krankheit. Musik macht er trotzdem noch, „von Zeit zu Zeit“, vor dem Krieg zum Beispiel mehrmals auf einem riesigen Festival in Charkiw.

Tscherwona Ruta: Die ukrainische Volksweise schwebte durch das Zeltdorf in Duisburg-Hamborn.
Tscherwona Ruta: Die ukrainische Volksweise schwebte durch das Zeltdorf in Duisburg-Hamborn. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer

„Ich spiele Rock und Pop, auf Ukrainisch und auf Russisch“, erklärt Oleg, „aber mit den Volksliedern, die Ludmilla spielt, bin ich aufgewachsen. Als Kind habe ich nichts anderes gehört“. Und wenn schonmal die Presse da ist, will Oleg gleich Danke sagen. An Sebastian Eimers, den Chef des Zeltdorfes, „weil er ein Mann ist, der uns zuhört“. Und an seinen Namensvetter, Übersetzer-Oleg, weil er für die Geflüchteten im Dorf viel mehr sei, als bloß ein Übersetzer.

Die Ukraine und Duisburg, in der Musik vereint

Dann stimmen Ludmilla und Oleg gemeinsam das ukrainische Volkslied „Tscherwona Ruta“ an. Die Volksweise erzählt von einer gelben Blume, die nur in der Nacht des ukrainischen Iwan-Kupala-Tag rot werden soll und Mädchen, die sie finden, Glück in der Liebe bringt. Wieder besticht das Lied mit einer unkomplizierten Harmonie und Melodie – und mit einer tief empfundenen Leidenschaft in seinem Klang.

Während Zeltbewohner zuhören und hier und da sogar mitsingen, steigt auch Jupp Götz mit ein. Die Art dieser Volkslieder kennt er aus seiner Kindheit, beide Eltern kamen aus Bayern nach Duisburg. Musikalische Völkerverständigung.

>> DER IWAN-KUPALA-TAG

  • Der Iwan-Kupala-Tag wird in der Ukraine, Russland, Belarus und Polen gefeiert und ist das Fest der Sommersonnenwende am 7. Juli, dem Feiertag von Johannes dem Täufer.
  • Viele Bräuche von Iwan Kupala haben mit Feuer und Wasser zu tun. So legen junge Frauen Blumenkränze mit Kerzen aufs Wasser, um die Zukunft zu deuten, junge Paare springen gemeinsam über ein Feuer.
  • Der Name leitet sich aus dem russischen Wort für „Johannes“ (Iwan) und Baden/Taufen (Kupala) ab – Johannes der Täufer.