Duisburg. Eine Duisburger Grundschullehrerin und grüne Ratsfrau hält eine Brandrede gegen die freie Schulwahl der Eltern. Sie fordert Chancengleichheit.

Die Brandrede ist so überraschend wie kurz. Die Ratsfrau Pelin Osman (Grüne), hauptberufliche Grundschullehrerin, hält es nicht auf ihrem Sitz, als die Bezirksvertretung Meiderich/Beeck an einem Herbstnachmittag eine Beschlussvorlage zu den Schuleinzugsbereichen ohne Diskussion annehmen will. Der Tagesordnungspunkt ist unstrittig, das weiß auch Osman.

Doch sie nutzt die Gelegenheit, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, das für sie in Duisburg zu wenig Beachtung findet: die freie Grundschulwahl der Eltern und die dadurch entstandene Kluft zwischen beliebten „Trendschulen“ und unbeliebten Grundschulen. Benachteiligt werde dadurch vor allem der Duisburger Norden.

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„Die freie Schulwahl ist für Eltern natürlich ganz schön“, sagt die Ratsfrau den Bezirksvertretern, „aber viele sind bereit, ihre Kinder quer durch die Stadt zu fahren, wo es bessere Schulen gibt.“ Gerade dies sieht sie als Lehrerin kritisch. „Es ist nachteilig für Kinder, wenn ihre Freunde in anderen Stadtteilen leben“, ist sie überzeugt und sieht darin auch Nachteile für Integration und das Vereinsleben im Stadtnorden – und gibt den Bezirksvertretern zu bedenken, bei solchen Beschlussvorlagen das außerschulische Lernen, das in den Vierteln, in Sportclubs und Freundeskreisen geschieht, nicht zu vergessen.

Politikerin sieht hohen Migrationsanteil an Grundschulen als „schöne Chance“

Die Grünen-Ratsfrau Pelin Osman, selbst Grundschullehrerin im Duisburger Norden, appelliert an Eltern, ihre Kinder möglichst in der Nachbarschaft einzuschulen.
Die Grünen-Ratsfrau Pelin Osman, selbst Grundschullehrerin im Duisburger Norden, appelliert an Eltern, ihre Kinder möglichst in der Nachbarschaft einzuschulen. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

„Der Duisburger Norden hat Kindern genauso etwas zu bieten wie die Stadtmitte oder der Süden“, sagt Pelin Osman später im Gespräch mit dieser Redaktion und will eine Lanze für die dortigen Grundschulen brechen. So würden viele Väter und Mütter aus Duisburg zwar einen hohen Migrationsanteil als Nachteil für die Zukunft ihrer Kinder sehen. Doch dem widerspricht Osman entschieden: „Grundschulkinder lernen total schnell die deutsche Sprache.“ Und interkulturelle Bildung versteht sie als „schöne Chance“ für die Kinder.

„Wir alle wissen um die krassen Herausforderungen im Norden, aber alle Lehrkräfte sind superengagiert.“ Die Ungleichheit im Stadtgebiet will sie nicht ausblenden. Dem gegenüber stehe aber das Wir-Gefühl, und die Teamarbeit sei besonders ausgeprägt, man bilde sich gerne fort, investiere viel Herzblut – trotz häufiger Frustration, weil Personalmangel herrscht, in der Corona-Pandemie das Internet an der Schule nicht funktioniert oder weil die Ausrüstung fehlt oder kaputt ist.

Dennoch gebe es auch Trendschulen im Norden, in deren Klassen „30 Schülerinnen und Schüler in einem alten Gebäude sitzen, das nicht darauf ausgelegt ist, während in der nicht so beliebten Nachbarschule deutlich weniger Schüler sind“. Deshalb sieht sie den Gesetzgeber in der Pflicht, die freie Schulwahl abzuschaffen und wieder an den Wohnsitz zu koppeln.

Stadt Duisburg soll mehr Grundschulen bauen

Solange soll die Stadt Duisburg aber nicht die Hände in den Schoß legen und selbst beginnen, möglichst gleiche Bedingungen an allen Schulen zu schaffen. „Wir brauchen mehr Schulraum“, fordert Pelin Osman neue Grundschulen, nicht bloß Container. Auch bei der Digitalisierung, bei der Ausstattung und beim Personal müssten Ungleichheiten beseitigt werden. Dadurch verspricht sie sich künftig weniger Druck auf aktuelle „Trendschulen“.

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„Aber eine gute Schulsozialarbeiterin ist wichtiger als jeder neue Beamer“, sagt Pelin Osman aus eigener Berufserfahrung. Gerade im kinderreichen Norden mit vollen Klassen sei ein guter Betreuungsschlüssel wichtig. Die Sozialarbeiter unterstützen die Kinder beim Lernen und haben einen engen Kontakt zu den Eltern. „Ich möchte sie nicht missen.“

Lehrer: In Duisburg sind Schüler „von Chancengleichheit noch sehr weit entfernt“

Mit dieser Einschätzung steht die grüne Politikerin nicht allein, wie Jens-Uwe Hoffmann, Rektor an der Fährmann-Schule in Beeck und Schulformsprecher, bestätigt: „Schulsozialarbeit ist in Duisburg eine wichtige Säule, die verstetigt gehört. Sie darf nicht wegbrechen, das wäre eine Katastrophe.“ Bisher bekommen die Fachkräfte immer nur Jahresverträge und müssen zittern, ob diese im nächsten Schuljahr verlängert werden.

„Die Klassen sind auch dort randvoll, wo die Schüler viel Förderbedarf haben“, betont Hoffmann, dass in kinderreichen Stadtteilen nicht nur die beliebten Schulen voll sind. Deshalb seien die freie Grundschulwahl und die Einzugsgebiete schon lange „ein ganz großes Thema“, ebenso wie die Notwendigkeit neuer Grundschulen und Gebäude sowie die personelle und technische Ausstattung. „Man kann die Situation von Grundschulen im Norden nicht mit der im Süden oder in der Stadtmitte vergleichen“, stellt er fest und ergänzt: „Wir sind von Chancengleichheit noch sehr weit entfernt.“

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>> FREIE SCHULWAHL IST GESETZLICH GEREGELT

● Eltern steht dem Gesetz nach grundsätzlich die Wahl frei, an welcher Grundschule ihre Kinder eingeschult werden, teilt Stadtsprecher Falko Firlus auf Nachfrage mit. Aber einen Anspruch auf Aufnahme hat ein Kind demnach nur in die Schule, die der Wohnung am nächsten ist. Dabei spielen aber auch die Kapazitäten der jeweiligen Grundschule eine Rolle.

● Bei einem Anmeldeüberhang berücksichtigt die Grundschule zunächst die Kinder im Einzugsbereich oder diejenigen, bei denen ein wichtiger Grund vorliegt (z.B. Geschwisterkinder). Letztlich entscheiden die Schulleiterinnen und Schulleiter.

● Wie viele Kinder im kommenden Schuljahr eine Grundschule besuchen, die nicht in der direkten Nachbarschaft ist, kann die Stadtverwaltung noch nicht sagen. „Auswertungen für zurückliegende Zeiten sind sehr zeitaufwendig und kurzfristig leider nicht leistbar“, heißt es aus dem Rathaus. Doch Stadtsprecher Falko Firlus betont, dass „nur wenige Einzelfälle“ bekannt seien, „bei denen Kinder weiter entfernte Schulen außerhalb ihres Bezirkes besucht haben“. Warum Eltern bestimmte Schulen bevorzugen, lasse sich zudem nicht pauschal beantworten, weil es „immer eine sehr individuelle Entscheidung“ ist.