Duisburg-Marxloh. Die Marxloher haben sich von der Politik entfremdet. So wenige wie nirgends sonst in Duisburg sind diesmal wählen gegangen. Das hat viele Gründe.

Marxloh gilt bundesweit als Musterbeispiel eines Problemstadtteils und sozialen Brennpunkts. Dennoch – oder gerade deshalb? – leben dort viele Menschen, die sich stark mit ihrem Stadtteil identifizieren und sich leidenschaftlich für ihn engagieren. Doch von der Politik fühlen sich viele offensichtlich alleine gelassen. Denn bei der Kommunalwahl im September haben nur 1579 Marxloher, keine 17 Prozent der Wahlberechtigten, ihre Stimme abgegeben – so wenig wie sonst nirgends in Duisburg.

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„Diese geringe Wahlbeteiligung ist natürlich schlecht“, findet Thomas Mielke, der Vereinsvorsitzende vom Runden Tisch Marxloh, an den auch das örtliche Bürgerforum angedockt ist. Positiv sieht er immerhin: „Man kann mit seiner Stimme viel bewegen.“ So entschieden nur 360 Wähler darüber, dass Dieter Stradmann für die SPD für Marxloh in den Stadtrat einzieht. Dabei ist sein Vorsprung vor Marcus Jungbauer (CDU) denkbar knapp: Der Christdemokrat, der 2019 überraschend Hamborner Bezirksbürgermeister wurde und sich seither in Marxloh viel Respekt erarbeitet hat, unterlag dem Sozialdemokraten mit nur 45 Stimmen weniger.

Kein Vertrauen: Wahlen lösen Marxlohs Probleme nicht

„Die SPD ist als Gewinner rausgegangen, kann aber nicht stolz darauf sein“, betont Mielke, denn die Politik und die Marxloher würden sich immer mehr voneinander entfremden. Die Sozialdemokraten haben 30,8 Prozent in der Gesamtstadt und 32,6 Prozent im Bezirk geholt. „Wir haben hier viele Probleme“, so Mielke. So kritisiere das Bürgerforum seit Jahren „negative Folgen der Zuwanderung“, wilde Müllkippen, schrumpfende Infrastruktur und sinkende Lebensqualität. Vollmundigen Versprechungen aus der Politik wollen viele Marxloher demnach nicht mehr glauben. Sie wüssten gar nicht mehr, wen sie wählen müssten, damit sich etwas verbessere – oder würden teils gar nicht mehr glauben, dass eine Wahl überhaupt noch etwas für sie verändern könne. „Deshalb sind viele bewusst nicht zur Wahl gegangen“, weiß Mielke, der einige Nichtwähler vorm Wahllokal traf.

Zudem berichtet er von Irritationen, die so manche Wahlkampfaussage bei den Menschen hinterlassen habe. So sieht die CDU den Prenzlauer Berg in Berlin als Vorbild für die Marxloher Stadtentwicklung und die SPD vergleicht den Stadtteil im Duisburger Norden sogar mit einem Ferrari. Beides empfinden viele als realitätsfern.

Die Probleme vor Ort bewertet das Bürgerforum indes ganz anders: Es gebe viel zu wenig Kita-Plätze, die Schulen seien sanierungsbedürftig und hinkten bei der Digitalisierung hinterher, an beliebten Spazierwegen wie der früheren Wolfbahntrasse fehlten Sitzbänke und Laternen. All dies zu ändern, würde die Lebensqualität vor Ort direkt verbessern, weiß Thomas Mielke aus den überparteilichen Sitzungen des Bürgerforums und aus dessen Umfragen.

Millionenschwere Förderprogramme bleiben ohne Ergebnisse

So würden sich die Leute außerdem fragen, was mit den ganzen Millionen Euro passiert, die seit Jahren immer wieder durch Förderprogramme nach Marxloh fließen. „Wir sehen keine Ergebnisse. Es gibt nichts, was wir riechen, fühlen und schmecken können“, kritisiert Mielke. „Wie Fördergelder verwendet werden, sollte besser nachgewiesen werden als mit Fotos und schönen Worten in Hochglanzbroschüren.“

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Als Positivbeispiel verweist er auf den Verein Tausche Bildung für Wohnen. „Da kommen die Fördergelder gut an, dort ist jeden Tag Leben in der Bude und ein Haufen Kinder lernen etwas und haben Spaß.“ Genauso viel Spaß hätten Kinder aus der Nachbarschaft auch bei Angeboten des Runden Tisches, wo sie musizieren, tanzen, kochen oder ein Magazin herausbringen können. „Projekte müssen nachhaltig sein und bestenfalls nach der Förderzeit weiterlaufen.“

Der Stadtteil bracht mehr politische Kümmerer

Genauso nachhaltig sollten auch kleine wie große Problemlösungen im Stadtteil sein, findet Mielke, sie müssten merklich das Leben verbessern. Zudem möchte er, dass die Politik sich mit den Vereinen und den Menschen lösungsorientiert zusammensetzt. „Viele haben gar nicht die Zeit oder die Lust, sich mit Politik zu beschäftigen, nachdem sie zehn Stunden oder mehr hart gearbeitet haben. Oder weil sie keine Arbeit haben und es ihnen deshalb nicht gut geht.“ Daher rät er den Parteien zu mehr Basisarbeit, zu einer engen Verzahnung von Vereinen und Politikern aus der Nachbarschaft, zu mehr Kümmerern im Stadtteil.

Ob das den Marxlohern das Vertrauen in die Parteien und ihre Mitglieder wiedergeben kann, wagt Thomas Mielke nicht vorauszusagen, zumal sich gerade viele Migranten nicht mehr vertreten fühlen und erfolgreich mit eigenen Bündnissen zur Wahl antraten. Doch der Vorsitzende des Runden Tisches Marxloh ist davon überzeugt, dass sich etwas verändern muss – und das besser nicht erst einen Monat vor der nächsten Wahl.

>> LOB FÜR KAMPF DER WIRTSCHAFTSBETRIEBE GEGEN WILDEN MÜLL

  • „Dass wir keine Ergebnisse sehen, heißt ja nicht, dass keine Ergebnisse da sind“, sagt Thomas Mielke zum Eindruck der Marxloher bei Problemlösungen. So lobt er ausdrücklich die Wirtschaftsbetriebe beim Kampf gegen wilde Müllkippen. Nur würden gereinigte Stellen bereits schon am selben Tag wieder verdreckt.
  • Wie viele Vereine in Marxloh bedauert auch der Runde Tisch Marxloh, dass die Gesellschaft für Beschäftigungsförderung (GfB) ihre Ausleihstelle für Veranstaltungsausrüstung nach Neumühl verlegt hat. „Das trifft alle, die hier Veranstaltungen organisiert haben“, so Mielke.
  • GfB-Geschäftsführer Uwe Linsen betont, dass der Umzug dazu diene, die Verleihstelle verlässlicher geöffnet zu halten. Denn in Neumühl können nun Kollegen deren einzigen hauptamtlichen Mitarbeiter vertreten. Es gebe aber weiterhin Marxloher Vereine, Kitas und Schulen, die die Verleihstelle in Anspruch nehmen.