Duisburg. Drei Jahre ist die Loveparade-Katastrophe inzwischen her. Rettungssanitäterin Bianca Ballhause war damals dabei und wird bis heute durch eine Tätowierung an diesen Tag erinnert. Die Vorwürfe, die Sicherheitskräfte hätten damals versagt, treffen sie noch heute, vor allem, weil sie unberechtigt seien.
24.07.2010. Ein Datum, gestochen in die Haut. Eingerahmt von blauen Wölkchen zwischen Schlüsselbein und linker Brust, dort, wo das Herz schlägt. Schreckensziffern zwischen vermeintlicher Himmelidylle. Ein Tattoo zum Trauma: Bianca Ballhause wird auch dieses Jahr wieder ihren eigenen Loveparade-Gedenktag durchleben.
Sie war auch vor drei Jahren dort vor Ort, als noch keiner daran dachte, dass es Gedenktage geben würde. Und viele Tote und Verletzte. Sie war im Dienst. Als Mitarbeiterin eines der beauftragten Sicherheitsunterunternehmen. Einlasskontrolle vor dem Karl-Lehr-Tunnel. War es Vorahnung?: „Als wir uns morgens am Hauptbahnhof trafen, unsere T-Shirts und Bändchen bekamen und dann über das leere Gelände gingen und die Rampe hinunter, hatte ich schon ein mulmiges Gefühl. Das ist zu klein, zu eng, dachte ich“, berichtet die 42-Jährige, die auch ausgebildete Rettungssanitäterin ist. Kenntnisse, die sie viele Stunden später an dem Unglückssamstag einsetzen musste.
Drei Jahre ist es her, dass sie wenige Tage nach der Katastrophe im Tunnel zufällig von einem Privatsender interviewt wurde. Für ihre offenen Worte gerügt wurde. Jetzt trieb es sie gezielt zur WAZ. Weil in den jüngsten Gutachter-Berichten zur Loveparade geschrieben worden war, die Sicherheitskräfte seien „überfordert“ gewesen.
Nicht überfordert – allein gelassen
Diese Aussage nimmt Bianca Ballhause persönlich. Sehr persönlich. Sie liest daraus einen direkten Vorwurf an sich und ihre Kollegen, die am Einlass die Besucher kontrollieren sollten. Und damit mitverantwortlich sein sollen, was dann geschah. „Nein“, sagt sie bestimmt, wehrt sich.
Verantwortlich sind für die 42-Jährige jene, die planten, veranstalteten, genehmigten, Sicherheit vorgaukelten, das Sagen an dem Tag hatten. Aber eben nicht sie und ihre Kollegen, die sich mehrmals den Menschenmassen entgegen stemmten, dreimal den Einlass sperrten und brenzlige Situationen mit eingerissenen Zäunen meistern mussten. „Wir sollten auf Anweisung der Polizei handeln, aber da war keine Polizei“, sagt sie. Und ergänzt: „Man durfte doch nicht mitten an der Rampe sperren. Und der Dienstwechsel mit Fahrzeugen durch die Menge. Dazu muss man nicht im Sicherheitsdienst sein, um zu erkennen, dass das nicht geht.“
Zusammenbruch im Krankenhaus
Zur Unglückszeit am Nachmittag stand sie noch auf ihrem Einlassposten. Nach dem letzten Eingangsstopp war dort oben eigentlich Ruhe. Aber dann kamen Leute, berichteten, da sei „was unten an der Rampe passiert“. Zu acht eilten sie dorthin, durch den langen, geradezu freien Tunnel. Und dann sah Bianca Ballhause, was sie nicht mehr aus dem Kopf bekommt, was sie heute Menschenmassen meiden und volle Zügen vorbeifahren lässt und was sie als „Massaker“ bezeichnet: „Die Bilder der ersten Toten werde ich nie vergessen.“
Die 42-Jährige „funktionierte“ am Tunnel wie „ein Roboter“, wandte an, was sie als Rettungssanitäterin gelernt hatte. Infusionen geben, Verbände legen. Und tat, was sie nicht gelernt hatte: Leichen mit Tüchern zudecken. „Ein junges Mädchen ist unter meinen Händen gestorben“. Später, nachts, landete die Sanitäterin nach einem Zusammenbruch selbst im Krankenhaus.
Warten auf die Anklageerhebung gegen die Beschuldigten
„Dieser Tag hat mein Leben verändert“, sagt die Essenerin. Bei dem Sicherheitsdienst arbeitet sie nicht mehr. Auch deshalb kann sie nun darüber öffentlich reden. Was sie mit ihrem Traumatologen bei den Gesprächsterminen ohnehin tut, um irgendwie wieder Stabilität in ihr Leben zu bekommen. Aber vorbei, vorbei ist es noch lange nicht.
Oberstaatsanwalt sieht keine Gefahr der Verjährung
Die Duisburger Staatsanwaltschaft erklärte am Montag auf Nachfrage der WAZ, dass bis 2015 nicht die Gefahr der Verjährung bestehe. Der Sprecher der Duisburger Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Michael Schwarz: „Für die erhobenen Vorwürfe der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung beträgt die Verjährungszeit fünf Jahre.“ Sie werde aber zudem durch zahlreiche Maßnahmen noch unterbrochen, wozu zum Beispiel die erste verantwortliche Vernehmung oder gerichtliche Beschlüsse führten. Damit verlängere sich der Verjährungszeitraum entsprechend. Dies gelte für alle Beschuldigten, gegen die ermittelt werde. Man sei damit auf jeden Fall also auf der sicheren Seite.
So wird sie jetzt den Jahrestag mehr schlecht als recht miterleben, ertragen. Wie bei der ersten Gedenkveranstaltung, „auf der nur Ministerpräsidentin Kraft auch Worte für uns Sicherheitskräfte fand“, wie bei der Gedenkveranstaltung vor einem Jahr mit Oberbürgermeister Link, der gute Worte der Versöhnung, der Entschuldigung fand, anders als sein Vorgänger Sauerland, „der sich versteckt hatte, der feige war“. Sie wartet auf die Anklageerhebung gegen die Beschuldigten, die wohl noch dieses Jahr kommen soll. Auf den Prozess. Endlich. „Es gibt Schuldige. Es muss Verantwortliche geben“, sagt Bianca Ballhause. Und in einer Mischung zwischen Stärke und Schwäche zupft sie an ihrem T-Shirt, das den Blick auf ihr Tattoo freigibt.